Seite:Die Gartenlaube (1879) 444.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

in’s Gesicht. Der Wolkenschleier war zerrissen. Sie fühlte sich von zärtlichen Armen umschlungen, ein warmer Hauch streifte ihre Wange. Langsam, verwirrt öffnete sie ihre Lider und sah in zwei Augen, die in banger Sorge auf sie niederblickten.

„Rudolph! Du lebst?“ rief sie und hob ihr Haupt jäh von seinem Schooß empor. „Rudolph! Kein Traum?“

„Nein, Clotilde! Kein Traum!“ flüsterte er, leise weinend. „Ich lebe. – O Clotilde! – Ich saß da: eben wollte ich enden. – Und wie ich so plötzlich durch die Stille der Nacht Deinen Ruf vernahm – da brach ich zusammen. Und der Schuß ging los. … Ich hörte ihn noch, eh’ meine Sinne schwanden …“

„Rudolph!“ rief sie, kniete neben ihm nieder, faßte seine beiden Hände und hielt sie, in ihren eignen gefaltet, stumm zum klaren Mondlicht empor. Dann legte sie sich schluchzend an seine Brust. Und wortlos, unter dem nächtlichen Himmel, in der ernsten Stille um sie her, feierten sie das Auferstehungsfest ihrer Liebe.




Ich habe Clotilde gesehen unter dem „Glorienschein“ als strahlende Braut. Dann lebte ich in ihrer Nähe, als die Sonne ihres Glückes untergegangen war, und sie mit erblichenen Wangen, aber ungebeugtem Muth „ihr Brod mit Thränen aß“. Und nochmals sah ich sie, eine wiederaufgeblühte Rose, von hinreißendem Liebreiz in ihrer ernsten, reifen Schönheit.

Auf der weinumrankten Veranda vor der Villa ihres Oheims, die nach seinem „letzten Willen“, nebst anderem irdischen Gut, in ihren Besitz übergegangen war, saß sie vor mir an einem reinen Sommertag und streckte ihre weißen Hände nach einem jauchzenden Knaben aus, den ihr Gatte ihr entgegenhielt.

„Gieb ihn mir, Rudolph,“ bat sie, „und setze Dich zu uns! Ruhe Dich hier aus nach Deinen langen Arbeitsstunden! O, wie bleich siehst Du aus!“

„Können Deine lieben Augen sich an diese Farbe nicht gewöhnen?“ fragte er heiter und nahm an ihrer Seite Platz. „Sei ruhig, Herz! Mir ist sehr wohl, am wohlsten, wenn ich viel geschafft.“

Clotilde hatte Recht; er war noch bleich. Aber aus seinen stahlblauen Augen strahlte das Feuer ernster Männlichkeit, und seine hohe Gestalt war wieder kraftvoll aufgerichtet.

Als ich das schöne Paar so vor mir sitzen sah, in milder Ruhe nach den Stürmen ihres jungen Lebens, ihr neues Glück in treuen Armen haltend, da überkam auch mich ein feierlicher Friede. Sie sind im sicheren Hafen, dachte ich. Gott schütze sie!




Blätter und Blüthen.


Das Ideal eines Kochtopfs. Als Ergänzung zu dem Artikel „Verbesserte Kochapparate“ von Fr. Dornblüth in unserer jüngsten Nr. 23 tragen wir hier den Bericht über eine Kochtopferfindung nach, welche zu den wenigstens für den einfachen bürgerlichen Hausstand wirthschaftlich vortheilhaftesten gehören dürfte, wenn sie nicht als die allervortheilhafteste zu betrachten ist. Der Erfinder des neuen, einigermaßen an den Warrens’schen erinnernden Kochapparates ist Karl Becker in Unna. Es handelt sich dabei um einen Einsatzkochtopf, dessen äußerer Mantel rings anderthalb bis drei Centimeter von dem eigentlichen, ganz von kochendem Wasser umspülten Kochtopf entfernt ist. Für Fleisch, Kartoffeln und die lockeren Gemüse ist dieser Einsatztopf mit zahllosen kleinen Löchern versehen, welche die Circulation des kochenden Wassers oder der Brühe erlauben, wodurch es ermöglicht wird, daß die Speisen ebenso schnell wie in einem gewöhnlichen Topfe gar kochen, während sie doch von der Flamme durch eine Wasserschicht getrennt sind. Ein weiterer Vortheil ist, daß dieser Einsatzkochtopf ein Abgießen der Brühe überflüssig macht, wodurch viele kleine Küchenkatastrophen, als Danebengießen, Verbrennen der Finger etc. unmöglich gemacht werden. Wenn man nämlich den Einsatz heraushebt, so bleibt das Wasser oder die Brühe in dem äußern Kochtopf und man hebt nur das Fleisch, feste Gemüse oder die Kartoffeln heraus. Die letzteren kann man in dem durchlöcherten Einsatz prachtvoll abdunsten lassen, wodurch sie sehr an Wohlgeschmack und mehliger Beschaffenheit gewinnen. Für das Abkochen von Milch und breiigen Gemüsen dient ein undurchlöcherter Einsatz, der ebenfalls Gewähr gegen jedes Ueberkochen und Anbrennen bietet, sodaß man hierbei kräftigeres Feuer geben kann, um das umspülende Wasser schneller zum Sieden zu bringen. In diesen patentirten Geschirren, die in den verschiedensten Größen durch die Firma Kirschbaum und Siebrecht in Iserlohn zu beziehen sind, wird also wie gewöhnlich mit Wasser gekocht, und nicht mit Dampf, wie bei der Warrens’schen Einrichtung.




Das singende Buch. „Sie spricht wie ein Buch“ ist eine Redensart, die man alle Tage hinsichtlich einer Person gebrauchen hört, während Niemand sagen kann: „sie singt wie ein Buch“, und doch könnte man jetzt viel eher Gelegenheit bekommen, ein Buch singen, als ein Buch sprechen zu hören. Der Physiker Varley hat nämlich ein von Pollard und Garnier verbessertes musikalisches Telephon erfunden, bei welchem kein Magnet mitwirkt, vielmehr ein eigenthümliches Gesangbuch die Töne wiedergiebt. Dieses Buch besteht aus dreißig Blatt Papier von Taschenformat, zwischen denen achtundzwanzig Blatt Stanniol von etwas kleinerem Format so eingeschaltet sind, daß immer auf ein Blatt Papier ein Stanniolblatt folgt. Von den letzteren sind die geraden Nummern auf der einen Seite und die ungeraden auf der andern mit einander verbunden, und die eine Hälfte steht durch eine Klemmschraube mit dem einen Pol der secundären Rolle eines Inductionsapparates, die andere mit dem andern Pole in Zusammenhang. Wenn nun in der primären Rolle die den Tonschwingungen entsprechenden elektrischen Schwingungen circuliren, die durch ein gewöhnliches Kohlentelephon (vergl. „Gartenlaube“ 1877, S. 799) aus beliebiger Ferne hergesandt werden, so singen die durch ein einfaches Papierband zusammengehaltenen Buchblätter die Melodie in einem sanften Hoboe- oder Violoncelltone mit, indem sich die Stanniolblätter bei jeder Schwingung nähern und wieder von einander entfernen. Der Ton des Gesangbuches ist zwar nicht ganz rein, aber bei einiger Geschicklichkeit des in das Telephon hineinflötenden Sängers doch sehr angenehm, und ein Kirchenchor aus lauter derartigen Gesangbüchern, deren Eigenthümer in einem entfernten Nebensaale wären, müßte eine eigenthümliche gespenstige Wirkung ausüben.



Kleiner Briefkasten.

E. S. in E. Daß Ihre Empfindungen über die neueste Vorgänge in Posen in den Kreisen unserer Leser allgemein getheilt werden, beweisen uns zahlreiche Zuschriften in Prosa und in Versen, von denen wir des Scherzes halber Ihnen folgenden poetischen Stoßseufzer mittheilen:

   Das neue Wunder in Zalesie.
Den Kindern und den Narren dienen
Des Glaubens Träume fabelhaft:
Die heil’ge Jungfrau ist erschienen
Bei Gostyn mit Marpinger Kraft.
Am Rheine erst und nun in Posen!
Nun können Russen und Franzosen
Sich freuen unsrer Nachbarschaft.

A. G. Gedichte zu beurtheilen, müssen wir weniger beschäftigten Redactionen überlassen. Wir unsererseits können auf derartigen Einsendungen nur durch Abdruck oder Vernichtung antworten.

Th. H. in L. Als ungeeignet vernichtet.


Zur Beachtung.

Im Laufe des nächsten Quartals wird außer den Fortsetzungen der Marlitt’schen Erzählung „Im Schillingshof“ zum Abdruck kommen:

„Aus vergessenen Acten“,
eine Criminalgeschichte von Hans Blum.

Außerdem eine Reihe belehrender und unterhaltender Artikel.

Die Redaction.

Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 444. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_444.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)