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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

fand ich sie und verschlang sie, so weit meine mangelhafte Kenntniß des Italienischen sie zu verstehen oder vielmehr zu errathen mir verstattete. Was ich aber verstanden und errathen, das war mir vollkommen neu und unbekannt. Und so ging es, der kleinen Schrift gegenüber, wohl allen Ornithologen damals. Ich hatte denn auch keine Ruhe, bis ich Alles verstand. Mit Hülfe von Grammatik und Lexicon lag nach etwa vierzehn Tagen die vollständige Uebersetzung der hochinteressanten Rede schwarz auf weiß vor mir – und ich konnte diese Uebersetzung damals fast auswendig. Schade, daß sie nicht gedruckt wurde! Sie wäre dessen heute noch werth.

Mein besonderes Interesse erregte in der Broschüre folgende Stelle, welche uns mitten in unser Thema führen wird:

„Zu den auffallendsten Anomalien der Thiere Neuhollands werden Sie (durch J. Gould’s damals erscheinendes epochemachendes Werk ‚Die Vögel Australiens’) mit Vergnügen noch einige andere hinzukommen sehen, von denen man bis heute keine Ahnung hatte. So die Nistweise eines Vogels, über den man bisher in Zweifel war, ob er zu den Hühnern oder zu den Geiern gehöre. Es pflegen sich nämlich viele dieser Vögel zusammenzuthun, um blos mit Hülfe ihrer Füße große Haufen vegetabilischer Stoffe, welche leicht in Fäulniß übergehen, zusammenzuscharren und zur Aufnahme der Eier zuzubereiten, welch letztere sie, eines einen Fuß weit vom andern entfernt, mit dem spitzen Ende nach unten tief in die Nistwälle hineinstellen etc..“

Man glaubte damals noch ziemlich allgemein, daß der Strauß das Brütgeschäft der lieben Sonne überlasse; man wußte, daß die Eier der Süßwasser-Taucher oft zur Hälfte im Wasser liegend – gleichsam im warmen Wasser – von den Eltern ausgebrütet werden: aber von solch wunderbarer Nist- und Brütweise hatte derzeit kein Naturforscher eine Ahnung. Gould’s und seines Gehülfen Gilbert’s Entdeckungen begegneten deshalb manchem Zweifel, wenn auch nicht bezüglich der verhältnißmäßig enorm großen Eier, von denen einige schon zu Ende der zwanziger Jahre durch Salomon Müller an das Leydener Museum eingesendet worden waren, wo ich sie später gesehen habe.

Und doch ging es mit dieser Entdeckung wie mit so mancher andern: sie liegen zuweilen Jahrhunderte lang vergraben, und kommen erst durch spätere wiederholte Entdeckung zu Ehren.

Schon zu Anfang des vorigen Jahrhunderts nämlich veröffentlichten die „Philosophical transactions“ – Jahrgang 1703 – ein Verzeichniß der auf den Philippinen beobachteten Vögel auf Grund handschriftlicher Mittheilungen des mährischen Jesuiten Pater G. J. Camel, dessen Gedächtniß Linné bekanntlich in dem Huldigungsnamen der edlen „Camellia“ erhalten hat. Unter den Mittheilungen Camel’s befindet sich nun auch folgende:

Avis ovimagna – das große Eier legende Huhn – von den Eingeborenen Tavon genannt – kleiner als das gewöhnliche Huhn – legt rostrothe Eier, so lang wie Gänseeier, aber weniger dick, und zwar 40, 50 bis 60 Stück an sandigen Seeküsten, Flußufern und selbst an sandigen Stellen der Gebirge, vier Spannen tief eingescharrt und der Sonne zum Ausbrüten überlassen. …“

Bald genug fand sich jetzt, daß es sich hier um eine ganze Familie von Vögeln handelte, welche die neuere Ornithologie mit vollem Recht unter dem Namen „Megapodidae“ von den übrigen Gliedern der Hühnerordnung wegen ihrer so auffallenden Fortpflanzung abgetrennt hat. Von den für dieselbe gebildeten Trivialnamen sind die der „Wallnister“, „Hügelhühner“ etc. nicht auf die gesammte Familie zu beziehen, da, wie wir sehen werden, die Mehrzahl der gegen zwanzig gegenwärtig beobachteten oder doch bekannten Arten weder Wälle noch Hügel, sondern Gruben scharrt; richtiger ist als Gesammtname Großfuß- oder Scharrhühner.

Ich übergehe die Beschreibung der verschiedenen Arten, von denen man die bekannteren in unseren Museen, mehrere auch in zoologischen Gärten findet und von denen unsere Illustrationen drei Arten zur Anschauung bringen. Das nicht mit abgebildete Großfußhuhn von Niua-fou, Megapodius Pritchardi, welches, wie den Lesern erinnerlich sein wird, der Gegenstand eines polemischen Meinungsaustausches zwischen der „Neuen Freien Presse“ und der „Gartenlaube“ geworden ist, gleicht im Allgemeinen der einen gezeichneten Art Megapodius Fraicineti, nur daß bei Pritchardi der Schopf gänzlich fehlt und die Basis der Schwingen etwas Weiß aufzeigt. Neuerliche Entdeckungen besonders seitens der reisenden Naturforscher des um deutschen Handel und deutsche Wissenschaft hochverdienten Hauses Godefroy in Hamburg, lassen übrigens das Auffinden weiterer Arten auf den kleineren Inseln Centralpolynesiens, dem speciellen Handels- und Erforschungsgebiete des genannten Hauses, als möglich erscheinen.

Was die geographische Verbreitung der Scharrhühner betrifft, so findet man dieselben von den Nikobaren östlich bis Niua-fou durch nahezu 100 Längenkreise und von den Philippinen und Mariannen bis Südaustralien, in einer Ausdehnung von etwa 50 Breitengraden. Auffallend ist zunächst die enge Beschränkung des Vorkommens der meisten Arten auf kleine Inselgruppen oder auf kleine Inseln Malayasiens und Polynesiens, von denen so ziemlich jede ihre besondere Art besitzt, während Neuguinea und Australien – ein Beweis mehr für den früheren Zusammenhang dieser großen Inseln – je drei verschiedene Arten und davon eine oder zwei gemeinsam haben und um so mehr als „Schöpfungscentrum“ der ganzen Familie zu betrachten sein dürften, als auch mehreren der Tiefsee-Inseln zwischen Borneo und Neuguinea einige Arten gemeinsam sind.

Die Lebens- und Fortpflanzungsweise dieser Thiere anlangend, so scheint allen Arten gemeinsam die Vorliebe für einen Aufenthaltsort zu sein, den man als „verkümmerten Wald“ bezeichnen könnte. Alle Forscher stimmen in der Angabe überein, daß sich diese Plätze stets in der Nähe der Seeküste, der Binnengewässer, Lagunen etc. befinden, oder daß sich die Vögel wenigstens zur Legezeit dahin begeben.

Ihre Nahrung besteht aus Baumfrüchten, Sämereien, Insecten, vielleicht auch Pflanzenknospen und Wurzelknollen. Auch verschlucken sie, wie alle Hühnerarten, groben Sand.

Sie scheinen, aber nur zur Legezeit, gesellige Vögel zu sein und, wo sie von den Europäern nicht gar zu sehr decimirt worden sind, noch heute in größerer Anzahl zu leben. Von den Eingeborenen werden sie übrigens ihrer großen und wohlschmeckenden Eier wegen sorgsam geschützt und ihre Eiermagazine fast überall streng überwacht.

Wie alle Hühner an den Boden gewiesen, verlassen sie diesen nur ungern und in der Noth, entziehen sich der Verfolgung meist laufend und fliegen nur bei plötzlicher Ueberraschung auf die untersten Aeste, in solchem Falle leider eine nur allzu leichte Beute des Jägers, während sie im dichten, oft stacheligen Gestrüpp schnell und gewandt dahinrennend schwer zu erlegen sind. Ihr Flug ist übrigens weder besonders langsam, noch sehr ungeschickt, aber von kurzer Dauer.

Die Systematiker haben die Großfußhühner nach deren plastischer Eigenthümlichkeiten in vier Sippen getrennt, von denen zwei, Megacephalon und Leipoa, nur je eine Art, die dritte, Talegalla (Alectura, Catheturus), zwei oder drei, die vierte, Megapodius, vierzehn oder fünfzehn Arten enthalten. Für uns kommt hier mehr ihre Nistweise in Betracht, und in Bezug auf diese kann man sie, wie schon bemerkt, in Wallbauer und Grubenscharrer theilen.

Zu letzteren gehört die Mehrzahl der bis jetzt beobachteten Arten, darunter die größte von allen, das auch im Bilde vorgeführte, durch eine Rückwärtsverlängerung des Schädels, kurze, stumpfe Nägel und einen zart rosigen Hauch des weißen Unterleibes ausgezeichnete „Großköpfige Scharrhuhn“ (Megacephalon Maleo). Wallace, welcher einen der größten Nistplätze an der Nordost-Küste von Celebes besuchte, fand in einer circa eine englische Meile langen, über der Fluthgrenze erhabenen Strandfläche von lockerem Sande allenthalben die vier bis fünf Fuß im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_438.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)