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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

fünften Jahre sitzt er zu Pferde und reitet wie sein Vater; auch hütet er die Heerden, lernt den Gebrauch der Fangschnur (Lasso), der Wurfkugeln oder Bolas, der Lanze und der Schleuder. Ist das braune Bürschchen zehn oder zwölf Jahre alt geworden, so ist es so selbstständig, wie bei uns ein Mann von fünfundzwanzig Jahren; es unterhält sich selbst und nimmt an der Seite der Eltern Theil an deren Raubzügen; denn auch die Patagonierinnen folgen häufig ihren Männern in den Krieg, und während diese Letzteren über die Soldaten oder über die Hirten herfallen, beeilen sich die Weiber, das Vieh fortzutreiben, wobei ihnen die Kinder behülflich sind. Muth und Kühnheit läßt sich diesen Wilden keineswegs absprechen. Jedem Angriffe widerstehen sie anfangs tapfer; sie wehren sich zäh und ergreifen erst die Flucht, wenn sie einsehen, daß der Kampf erfolglos für sie bleiben muß.

Das Reitzeug der Tehueltschen besteht aus Sattel und Zaum, und der Sattel von Guanacohaut ist mit Stroh ausgestopft. Das Gebiß des Pferdes ist von Holz oder Knochen; die sehr kleinen Steigbügel sind nur für die große Zehe bestimmt. Unter den Sattel wird ein Fell oder ein mehrfach zusammengefaltetes Stück Zeug gelegt. Die Sattelgurten werden aus dreizehn oder vierzehn Bändern gedrehter Haut vom Halse des Guanaco gemacht und mit zwei Ringen versehen, die mit einem Lederriemen zusammengebunden werden, und die Steigbügel hängen an Hautstreifen von den in die vordersten Sattelbäume gebohrten Löchern herab. Die mit Riemen an den Füßen befestigten Sporen bestehen aus zwei Stückchen harten Holzes, in deren Ende man Nägel mit scharfgefeilter Spitze steckt.

Die Jagd ist dem Patagonier eine Geschäftssache, der er eifrig obliegt. Sein Wild sind das Guanaco (ein Lama), der Strauß, der Puma und kleinere Thiere, und seine Jagdwaffen bestehen aus dem Lasso, sowie aus den Bolas oder Wurfkugeln. Zum Straußfang verwendet er Bolas mit zwei Kugeln und zur Guanacojagd solche mit drei Kugeln. Die zähe, leichte Schnur, an der die Stein- oder Metallkugeln befestigt sind, ist zweiundeinhalb bis drei Meter lang. Mit staunenswerther Geschicklichkeit weiß er diese Waffen zu handhaben.

Die Tehueltschen sind ohne Ausnahme und ohne Rücksicht auf Alter, Rang oder Geschlecht unverbesserliche Trunkenbolde. Ohne Murren legen sie eine Reise von zehn oder fünfzehn Tagen nach der nächsten argentinischen Niederlassung zurück, um dort Häute oder Straußenfedern gegen Tabak (Pitrem) und Branntwein (Pulque) auszutauschen. Um letzteren fortzubringen, benutzen sie Schläuche aus Schaffell oder aus der Schenkelhaut des Straußes.

Kaum sind sie jedoch heimgekehrt und die Frauen haben die Pferde abgeladen, so wird der Tabak vertheilt und eine Rauchorgie beginnt. Der Tabak wird in einen steinernen Pfeifenkopf gefüllt; der Raucher legt sich auf den Bauch und zieht den Qualm der Pfeife ein. Erst dann, wenn er ihn nicht mehr im Munde behalten kann, stößt er ihn durch die Nase wieder hervor. Nach einiger Zeit bietet er einen schrecklichen Anblick dar. Er verdreht die Augen, von denen man nur noch das Weiße sieht; sie treten hervor, als ob sie aus dem Kopf heraus gedrängt würden – die Pfeife entfällt seinen Lippen; er scheint alle Kraft verloren zu haben, wälzt sich in zuckender Bewegung auf dem Boden umher und zappelt mit Händen und Füßen wie ein schwimmender Hund. In diesem widerwärtigen Zustande völliger Verthierung findet der patagonische Raucher das höchste Wohlbehagen. Die Umstehenden lassen ihn gewähren, bringen in Ochsenhörnern Wasser für ihn herbei und stellen dasselbe neben ihn hin. Er trinkt das Wasser und schläft dann seinen Rausch aus. Auch Frauen und selbst Kinder rauchen bisweilen.

Eigenartig sind die religiösen Ansichten der Patagonier. Der schon erwähnte Missionär Falkner giebt folgenden Bericht über dieselben.

Die Tehueltschen glauben, daß es eine Menge guter und böser Götter gebe. An der Spitze der Ersteren steht Guayara-Cunny oder der Herr der Todten. Der böse Dämon heißt Atskanna-Kanath. Die guten Götter wohnen in großen Höhlen unter der Erde, und wenn ein Eingeborener stirbt, kommt seine Seele zu der Gottheit, welche seiner Familie vorsteht. Die guten Götter machten die Welt und erschufen zuerst den Tehueltschen, dem sie Lanze, Bogen und Pfeile gaben; später wurden die Spanier erschaffen; nur erhielten dieselben Flinten und Schwerter. Die Verstorbenen werden in Sterne verwandelt; die Milchstraße ist das Gebiet, auf welchem alte Tehueltsche Strauße jagen, und die magellanischen Wolken sind die Federn der Strauße, welche sie tödten. Die Erschaffung der Welt ist noch nicht vollendet, und noch ist aus den unterirdischen Höhlen nicht alles an das Tageslicht dieser oberen Welt gekommen. Die Zauberer, wenn sie ihre Trommeln schlagen, oder mit den mit Muscheln oder Steinen gefüllten Lederbeuteln klappern, geben vor, in andere Gegenden unter die Erde zu sehen. Die Zauberer sind auch Aerzte und wissen mit ihren Zauberbeuteln alle möglichen Gebrechen zu heilen.

Capitain Bourne hatte einst Gelegenheit, das probate Heilverfahren eines solchen Aeskulap zu beobachten.

Ein Kind war krank geworden und schrie jämmerlich. Der gelehrte Herr hatte seine Zaubermittel mitgebracht, eingewickelt in zwei Stück Fell. Mit wichtiger Miene kauerte er sich an die Erde und betrachtete ernsthaft den kleinen Patienten, der merkwürdiger Weise auf einen Augenblick sein Jammergeschrei unterbrach. Durch diesen Erfolg ermuthigt, verordnete der Aeskulap vor allen Dingen ein Lehmpflaster. Mit gelbem Lehm, der mit dem nöthigen Wasser zu einem dünnflüssigen Brei angerührt ward, besalbte man das leidende Kind vom Kopf bis zu den Füßen, leider ohne anscheinenden Erfolg, denn das Schreien ward um so energischer wieder aufgenommen. Es mußten also stärkere Mittel angewandt werden. Den geheimnißvollen Paketen entnahm der Arzt einige Sehnen und Knochen vom Strauß, sowie eine Klapper. Erstere wurden unter geheimnißvollem Murmeln unverständlicher Worte befühlt und befingert, die Klapper aber energisch geschüttelt und dabei dem Patienten starr in’s Auge gesehen. Damit ward die Cur für beendet erachtet. Der Arzt erhielt etwas Tabak als Honorar, schüttelte zum Abschied dankbar mit der Klapper und – entfernte sich. Die Eltern waren überzeugt, daß das Leiden gehoben sei, und mit der Zeit ward der kleine Patient auch ruhiger – vielleicht auch gesund.

Es giebt Zauberer und Hexen. Erstere dürfen nicht heirathen; sie werden gewöhnlich schon von Kindheit an zu diesem Berufe bestimmt; man giebt dabei denen den Vorzug, welche frühzeitig eine weibische Anlage zeigen. Sie werden sehr bald in Frauenkleider gesteckt und mit der Trommel und den Klappern versehen, die zu ihrer Profession gehören. Solche Personen, welche mit der fallenden Sucht behaftet sind, werden ohne Weiteres zu dieser Beschäftigung bestimmt.

Das Begraben der Todten und die religiöse Verehrung, die man ihrem Gedächtniß widmet, wird mit großer Feierlichkeit begangen. Wenn ein Tehueltsche stirbt, so wird eine der vornehmsten Frauen sogleich dazu bestimmt, den Leichnam zu skeletiren. Das geschieht dadurch, daß man die Eingeweide, welche zu Asche verbrannt werden, herausschneidet, sodann das Fleisch so rein wie möglich entfernt und endlich die Knochen vergräbt, damit das noch übrige Fleisch ganz wegfaule.

So lange die Ceremonie des Skeletirens dauert, gehen die Eingeborenen, mit langen Mänteln aus Fellen bedeckt, das Gesicht mit Ruß geschwärzt, mit langen Lanzen rings um das Zelt des Todten herum, singen Trauermelodien und schlagen auf den Boden, um die bösen Geister zu schrecken. Einige besuchen die Wittwe oder Wittwen und andere Verwandte des Todten – wenn nämlich von diesen etwas zu hoffen ist; sonst erachten sie es nicht der Mühe werth. Während des Beileidsbesuches schreien, heulen und singen sie auf die schrecklichste Weise, zwingen sich zu Thränen und stechen sich mit scharfen Dornen in Arme und Beine, daß sie bluten. Für diese Trauerdarstellung werden sie mit Glasperlen, Glöckchen und anderen Kleinigkeiten bezahlt, welche bei ihnen in hohem Werthe stehen. Die Pferde des Verstorbenen werden ebenfalls sogleich getödtet, damit er in dem Lande der Todten dieselben nicht entbehre; nur wenige werden zurückbehalten, um den Leichenzug zu verschönern und die Ueberreste des Verblichenen in die Grube zu bringen.

Die Gebeine werden nach zwei bis sechs Monaten wieder ausgegraben, in eine Haut gepackt und auf einem der Lieblingspferde, welches mit Tüchern, Federn etc. geschmückt ist, zum eigentlichen Begräbnißplatz gebracht, welcher meist Tagereisen von dem früheren Wohnorte des Verstorbenen entfernt ist. An Ort und Stelle werden die Skelete in einer Grube reihenweise in sitzender Stellung geordnet, ihnen die Waffen, die sie bei Lebzeiten trugen, in die Hand gegeben, darauf die Grube mit Bäumen, Rohren, und Zweiggeflechten bedeckt und Erde darauf geschüttet. Die Skelete der todten Pferde werden ringsum aufgestellt.



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