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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Werkzeuge der verschiedensten Racen und haben vollauf Mittel zum Studium.

Es soll uns aber noch viel bequemer gemacht werden. Der Gelehrte hat heute gar nicht mehr nöthig große Reisen zu unternehmen, um die Racen und Völker zu beobachten und zu studiren – die Speculation hat voll Verständniß die Aufgabe der neuen Wissenschaft erfaßt und bringt jetzt Angehörige der entferntest wohnenden Nationen und Erzeugnisse ihrer Gewerbthätigkeit nach Deutschland – nicht nur, damit die Laien sie voll Bewunderung anstaunen und sich an ihren Eigenthümlichkeiten ergötzen, sondern auch als Mittel zum Studium für den Fachgelehrten.

Das Verdienst, durch Herbeischaffung derartiger Hülfsmittel dem Ethnologen von unbestreitbarem Nutzen zu sein, darf in erster Reihe Karl Hagenbeck, der bekannte und geachtete Thierhändler in Hamburg, dessen die „Gartenlaube“ schon öfter Erwähnung gethan, für sich in Anspruch nehmen. Karl Hagenbeck hat weder Mühe noch Kosten gescheut, diese seine Aufgabe zu erfüllen, er hat aber auch außerdem in uneigennütziger Weise die Museen für Völkerkunde in Leipzig, Hamburg, Berlin etc. mit werthvollen, interessanten Schenkungen reichlich bedacht und auch auf diese Weise die Forschungen der Völkerkunde unterstützt.

Seit dem Jahre 1875 hat Karl Hagenbeck in Berlin, Dresden und anderen Städten Lappländer, Eskimos, Araber, Nubier, Neger, Ostindier etc. vorgeführt, ausgerüstet mit deren eigenthümlichen Waffen, Werkzeugen und Geräthen und begleitet von deren Hausthieren. Gegenwärtig macht derselbe bekanntlich die Runde durch Deutschland mit Eingeborenen von der Südspitze von Amerika, welche er in Puntas Arenas, dem einzigen civilisirten Orte an der Magellanstraße, durch seine Vertreter einschiffen ließ.

Es sind also wahrscheinlich echte Patagonier, die wir auf diese Weise zu sehen bekommen. Die Hauptperson ist der stattliche, breitschulterige Pikjotke; in seiner Begleitung befindet sich Baasinka, ein großes, starkes Weib von dreißig Jahren. Pikjotke’s Frau war weder von ihrem Manne, noch von dem Agenten des Herrn Hagenbeck zu bewegen, die Reise nach Europa anzutreten, eine Familie mußte aber die Rundreise unternehmen, und so sah sich denn Pikjotke genöthigt, in Ermangelung der wirklichen Ehehälfte, Baasinka mit ihrem siebenjährigen Sohne Louis zur Reisegefährtin mitzunehmen, um so mehr, als dieselbe vom Gatten und Vater verlassen worden war und mit Freuden die dargebotene Gelegenheit ergriff, Europa einen Besuch abzustatten.

Der Lauf des Rio Grande bildet die Südgrenze der Argentinischen Republik. Das südlich von diesem Strome bis zur Magellanstraße liegende, noch wenig durchforschte Land nennt man Patagonien. Es ist dies ein noch unabhängiges, 965,000 Quadratkilometer großes Pampas-Gebiet, auf das Argentinien und Chile Besitzansprüche erheben.

Nichts kann trauriger sein, als der Anblick dieser unendlich scheinenden wüsten Pampas. Langsam wälzen periodisch anschwellende Ströme, die stets in östlicher Richtung anlaufen, von den Cordilleren her ihre trüben Fluthen dem Weltmeer zu; die Vegetation erscheint kümmerlich, und nicht viel reicher ist dort das Thierleben entfaltet. Am Tage hört man das Schreien der Raubvögel, die sich um die Leichen eines Guanaco oder Gamarehs zanken; am fernen Horizont sieht man den südamerikanischen Strauß hineilen, während in der Nacht, unterbrochen vom Heulen des Windes, das Brüllen des Puma und Jaguar die Musik der Pampas bilden.

Ueber die Menschen, welche in diesem rauhen Gebiete umherschweifen, herrscht in ethnographischer Hinsicht noch einige Unklarheit. Die Hauptursache der Verwirrung liegt in dem Umstande, daß die dortigen Völkernamen nur von den Himmelsgegenden hergenommen und daher ganz relativ sind. Man unterscheidet Pueltschen, die Oestlichen, Hueltschen, die Westlichen, Tehueltschen, die Südlichen etc.. Den Süden des Festlandes (Patagonien) bewohnen die Tehueltschen, oder, wie sie sich selbst nennen, die Tsonekas. Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß die Bezeichnung Patagonier eine den Tehueltschen selbst völlig unbekannte ist. Den Begleitern Magellan’s, welcher im Jahre 1520 die Einfahrt in die nach ihm benannte Straße entdeckte, fielen die großen Fußspuren auf, welche die Eingeborenen im Sande zurückließen, weshalb sie die Tehueltschen bezeichnend Patagones, das heißt: Leute mit großen Füßen, nannten.

Patagonien gehört zu den wenigst erforschten Länderstrichen Südamerikas. Städte und Dörfer giebt es an der rauhen Südspitze Amerikas nicht aufzusuchen; die wenigen dürftigen Colonien, die man an den Ufern der Straße angelegt hat, dienten mehr dem Nutzen der vorüberfahrenden Schiffer und sind nach längerem Kränkeln wieder eingezogen worden. Europäische Fahrzeuge besuchen zuweilen die Küste von Patagonien, um auf Thranthiere Jagd zu machen.

Die ersten zuverlässigen Mittheilungen über die Bewohner Patagoniens verdanken wir den Berichten Thomas Falkner’s, eines Jesuiten-Missionärs, welcher vierzig Jahre in dem Lande wohnte. In den Jahren 1856 bis 1861 schmachtete ein Franzose, A. Guinnard, in der Gefangenschaft der Eingeborenen; auch von ihm rühren eingehendere Berichte her, die ich meinen Aufzeichnungen zu Grunde legen konnte. Endlich bereiste Patagonien vor etwa neun Jahren ein britischer See-Officier, George Chaworth Musters, in Gesellschaft einer Horde Tehueltschen von der Südspitze, wo die chilenische Colonie Puntas Arenas liegt, der Länge nach bis zum Rio Negro. Sein in deutscher Uebersetzung bei Herm. Costenoble in Jena erschienenes Werk „Unter den Patagoniern“ hat mir neben zahlreichen anderen Quellen ebenfalls zur Benutzung vorgelegen.

Die Patagonier sind eine große und äußerst derbe Menschenrace. Ihr Körper ist massig, Hände und Füße sind verhältnißmäßig klein und ihre Gliedmaßen weder so muskulös, noch so starkknochig, wie man nach der Größe und der äußern Masse anzunehmen geneigt sein könnte. Die Hautfarbe der Patagonier ist ein gesättigtes Rothbraun und variirt zwischen der Farbe rostigen Eisens und reinen Kupfers.

Der Kopf ist im Ganzen ziemlich breit, aber nicht hoch, die Stirn, wenige Fälle ausgenommen, schmal und niedrig. Das Haar, schwarz, grob und sehr schmutzig, hängt lose um den Kopf der Männer; das der Weiber ist dürftiger und wird in zwei mitunter durch eingeflochtenes Pferdehaar verlängerten Zöpfen getragen. Von Natur mit wenig Haar versehen, tilgen sie übrigens alles bis auf das Kopfhaar. Die Augenbrauenbogen ragen vor; die Augen sind ziemlich klein, schwarz und immer ruhelos. Der Mangel an Augenbrauen vermehrt die Eigenthümlichkeit des Ausdrucks dieser Augen, und eine Mischung von Einfalt und Verschlagenheit, Trotz und Furchtsamkeit, mit jenem eigenen wilden Blick, den man nie bei civilisirten Menschen findet, spricht sich bei den Patagoniern sehr deutlich aus. Die unmittelbare Wirkung davon ist, daß man an die Nothwendigkeit erinnert wird, stets auf der Hut zu sein, so lange man in ihrem Bereiche ist.

Die rundlichen Gesichter macht besonders das Vorstehen der Backenknochen ungewöhnlich breit. Die Nase ist wenig niedergedrückt, schmal zwischen den Augen, aber breit und fleischig um die ziemlich großen Nasenlöcher, der Mund breit, roh geformt und dicklippig. Die Zähne sind meist sehr gut, obwohl ziemlich groß, die Schneidezähne in eigenthümlicher Weise abgeplattet, sodaß die innere Substanz an denselben sichtbar wird. Das breite Kinn ragt hervor.

Die Größe der Tehueltschen ist keineswegs so auffallend, wie man sie geschildert hat. Musters giebt als Durchschnittsgröße für die Männer 1 Meter 72 Centimeter an, doch erreichen Einige 1 Meter 93 Centimeter. Die Weiber sind etwas kleiner.

Den Hauptbestandtheil der Männerkleidung bildet ein weiter Mantel aus Guanacofellen, der bis zu den Füßen herabfällt; gewöhnlich hält ein Gürtel dieses Oberkleid um die Hüften zusammen, sodaß der Träger es nach Belieben vom Oberkörper zurückwerfen und die Arme frei benutzen kann. In angeborenem Anstandsgefühl tragen sie ferner unter dem Fellmantel noch ein Unterkleid. Aus der Haut der Kniekehle des Pferdes und gelegentlich auch aus der Haut des Beines eines großen Puma fertigen sie eine Art Gamaschen Die Haut wird bis an’s Knie heraufgezogen und um den Fuß herum befestigt; so wird sie einen oder zwei Tage getragen bis der Stiefel die Gestalt des Fußes angenommen hat, dann wird das Leder an den Zehen abgeschnitten und zusammengenäht. Ist die Sohle durchgelaufen, oder ist sehr nasses oder Schneewetter, so werden außerdem noch Ueberschuhe von Haut getragen. Die Fußstapfen die dadurch entstehen, sind allerdings groß genug, um auf den Gedanken zu führen, daß sie von Riesenfüßen stammen. Die gewöhnliche Kopfbedeckung der Männer ist zwar blos ein farbiges Band, um das Haar zusammenzuhalten, doch werden zuweilen, besonders bei

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_424.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)