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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Das Nationaldenkmal für den Niederwald:
Im Hofe der Werkstätten.
Nach der Natur aufgenommen von Rudolf Cronau.


Clotilde.

Novelle von L. Herbst.

(Fortsetzung.)


„Sie werden mir bald Recht geben,“ fuhr Frau von Dunker unerschütterlich fort. „Sehen Sie, gnädige Frau, der Herr von Brauneck hat Sie seiner Zeit sicherlich vergöttert, eine so schöne junge Frau. Unglückliche Verhältnisse, unverschuldete Verluste rissen ihn von Ihrer Seite – Armuth ist ein schlechtes Liebesband … Wenn Sie sagen, daß Sie Herrn von Brauneck einmal liebten, so werden Sie nicht wünschen, daß er sein Leben fortan in dürftigen Verhältnissen verbringt, daß er im Schweiße seines Angesichts sein Brod essen soll.

Bei seinem edeln Sinn für Eleganz und Reichthum“ – sie strich dabei leicht mit der Hand ihr schweres seidenes Kleid und die Spitzen ihres Sammetmantels – „bei seinen vornehmen Bedürfnissen kann er nur in großen Verhältnissen glücklich sein. Wer wird das besser begreifen, als Sie? Und so muß es Ihnen ja eine Herzenserleichterung sein, wenn Sie wissen, daß er das Alles an meiner Hand finden wird.“

„Erlauben Sie mir eine Frage!“ fiel Clotilde, diesen Redefluß hemmend, ein. „Weiß mein Mann – weiß Herr von Brauneck, daß Sie gekommen sind, mir dies zu sagen?“

„I, Gott bewahre; wohin denken Sie! Das sind Frauenangelegenheiten, von denen die Männer am besten nichts wissen.“

„Und Sie haben sonst noch eine Mittheilung für mich?“

„Ich komme jetzt auf den Kern unserer Unterredung, gnädige Frau. – Sie wissen, zu einem Bündnisse Herrn von Brauneck’s mit mir bedarf es zunächst noch einer gewissen Formalität, die durch Ihren guten Willen sehr erleichtert würde. Ich hoffe, daß meine offene Darstellung Sie zu einem Antrage auf Scheidung geneigter machen wird. Nicht wahr, gnädige Frau, ich irre mich nicht?“ fragte sie mit ihrem gewinnendsten Lächeln.

Clotilde hatte sich erhoben und stand groß und stolz vor der Fremden.

„Es thut mir leid,“ sagte sie mit klarer, fester Stimme, „Ihnen sagen zu müssen, daß unsere Ansichten über die Liebe, wie über das Band der Ehe weit aus einander gehen. … Meine Liebe zu meinem Gatten ist todt, wie ich für ihn. Ich bin zu einer Scheidung bereit, die er ohne Säumen betreiben mag. Aber nichts in der Welt wird mich dazu bewegen, den ersten Schritt zu thun. – Das ist mein letztes Wort.“

Sie schwieg und sah die Fremde mit einem so vornehmen Blick aus den großen dunklen Augen an, daß diese sich erhob und ohne ein Wort der Entgegnung ihren Abschied nahm.

Als Clotilde sich allein sah, sank sie schluchzend in den Stuhl.

„O, welch ein Tag! Welch ein Tag!“ flüsterte sie und preßte die Hände in einander. „Um dieses Weibes willen bin ich verworfen! Und ich habe ihn so treu geliebt! O, wäre ich todt!“




7.

Von Tag zu Tag erwartete Clotilde die Ankunft einer Schrift. Im Wachen, wie im Traume schwebte ihr ein großes, langes Actenblatt vor, das sie mit ihrem Herzblut unterschreiben müsse. Doch es blieb aus, einen Tag wie den andern. Darüber vergingen Monate.

Ein großes Ereigniß erregte das Vaterland: der Krieg von 1870.

Clotildens tiefes Weh ging freilich in diesem Weltereignisse nicht unter, aber ihr Herz ward doch, wie alle andern Herzen, davon bewegt; ihre Gedanken wurden in andere Bahnen gelenkt.

Große Schlachten waren geschlagen. Großer Jubel durchzog das Land, aber auch tiefe Trauer und Wehklagen um die gefallenen Helden.

„Hier ist ein dicker Brief, ein Feldpostbrief, gnädige Frau,“ sagte eines Tages Hanna. „Von wem mag der nur sein? Wir haben doch Niemand im Felde.“

„Gieb her, Hanna! Wir werden es ja sehen,“ beruhigte Clotilde und drehte de Brief um und um. „Das ist eine mir fremde Hand und der Poststempel nicht zu erkennen.“ – Sie erbrach das Siegel; es schien ein amtliches zu sein. Ein großer, halbbeschriebener Bogen hüllte einen andern verschlossenen Brief ein.

Clotildens Augen fielen zunächst auf die Aufschrift dieses Briefes von einer ihr nur zu wohl bekannten Hand. Unter der an sie gerichteten Adresse stand in kleiner Schrift „Nach meinem Tode zu bestellen.“ Das Blatt in ihrer Hand begann zu zittern und Hanna schob einen Stuhl herbei, in dem sie ihre erbleichte schwankende Herrin sanft niedergleiten ließ.

Als Clotilde sich wieder aufgerichtet hatte, sagte sie:

„Ich bitte Dich, Liebe, laß mich allein.“

Clotilde betrachtete, als sie allein war, noch immer den ungeöffneten Brief, wie man einen geliebten Todten zu betrachten pflegt. Endlich überwand sie sich, die von fremder Hand geschriebenen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_420.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)