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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Authentische Aeußerungen, welche er in Schrift oder Wort über diesen Verkehr gemacht hätte, sind allerdings bisher nicht bekannt geworden, aber aus seinem ganzen Verhalten läßt sich erkennen, daß sein Denken und Sinnen sich hinfort nur um die Politik Bismarck’s drehte, namentlich seitdem der Tod des Königs von Dänemark die schleswig-holsteinische Bewegung in Fluß brachte, in welcher auch er von jeher den Hebel zur deutschen Einheit erkannt hatte. Sein Plan, den allgemeinen deutschen Arbeiterverein für die Einverleibung der Elbherzogthümer in den preußischen Staat sich aussprechen zu lassen, wurde nur durch seinen unerwarteten Tod vereitelt; bis in die letzten Tage seines Lebens sorgte er mit fast ängstlicher Peinlichkeit dafür, daß alle seine Reden und Schriften in die Hände des preußischen Ministerpräsidenten gelangten.

Die Einbildungen Lassalle’s in dieser Beziehung waren um so verwunderlicher, als ihn ein unaufhörlicher Pfeilregen von polizeilichen und staatsanwaltlichen Verfolgungen billig über das Maß von Wohlwollen hätte belehren können, mit welchem sein keckes Treiben in maßgebende Regionen betrachtet wurde. Etwa ein halbes Dutzend schwerer Criminalprocesse, bei deren einem es sich sogar um eine mehrjährige Zuchthausstrafe handelte, hatte er im Winter von 1863 auf 1864 zu bewältigen; daneben lief eine lange Reihe kleinerer Widerwärtigkeiten, die an sich eben nicht bedeutend waren, aber doch die kostbare Zeit des Agitators stark beanspruchten; auch an gelegentlichen Verhaftungen fehlte es nicht. Namentlich als Lassalle unter dem prahlerischen Feldgeschrei: „Mit Berlin wird die Bewegung unwiderstehlich“ die Hauptstadt „erobern“ wollte, setzte sich die Polizei energisch diesem Beginnen entgegen; trotz aller Mühen konnte er an seinem eigenen Wohnsitze seine Anhänger kaum nach Dutzenden zählen.

Eines etwas größere Erfolges durfte er sich allmählich in de Provinzen rühmen; wenn auch weit entfernt nicht einer freiwilligen und massenhaften Erhebung des Arbeiterstandes, so doch in Folge seiner gewaltige Kraftanstrengungen eines langsamen Wachsthums des Vereins. Seine rheinische Agitationsreise hatte etwa 500 neue Mitglieder geworben; nach und nach siedelte sich der Verein in 52 Städten an, aber wie viel mehr letzterer nur ein flackerndes Strohfeuer, als die nachhaltige Gluth politischer Leidenschaft zu entfachen wußte, beweist am schlagendsten die Thatsache, daß er in fast der Hälfte jener Orte noch zu Lebzeiten Lassalle’s wieder einging. Trotz aller großen Worte vermochte die Bewegung niemals ihre künstliche Mache zu verleugnen, niemals das volle Leben eines ursprünglichen Organismus zu entfalten. Wirr liefen die Anschauungen, Gedanken, Gefühle in den einzelnen Gemeinden durcheinander; ein ewiger Zank herrschte vor, und er war um so unsterblicher, als Niemand recht wußte, was denn nun eigentlich geschehen und werden solle; die Häuptlinge zweiten und dritten Ranges verketzerten und verklagten sich gegenseitig; einzig noch die sclavische Anbetung des genialen Führers hielt die bunt gemischten Schaaren beisammen.

Und auch sie fing zuletzt an zu wanken. Der zweite Beamte des Vereins, Herr Vahlteich als Vereinssecretär, empörte sich gegen den Präsidenten, der den Unruhestifter zwar aus der Mitgliedschaft entfernte, aber bei diesem Anlasse bekannte, von Ekel über die innere Zwistigkeiten nahezu überwältigt zu sein.

Das hinderte ihn natürlich nicht, öffentlich den „geschlossenen Geist strengster Einheit und Disziplin“ zu preisen, der den Verein zu einer „ganz neuen Erscheinung in der Geschichte“ mache. Mit gleicher Mißachtung der Wahrheit pflegte er über die Höhe der Mitgliederzahl sich auszulassen; aus seinen vertrauten Briefen ist dagegen wohl erkennbar, wie scharf er die Achillesferse des Vereins erkannte. Er wurde nicht müde zu schreiben: „Wir können nur durch große Massen marschiren. Wenn wir nicht spätestens nach Ablauf eines Jahres große Zahlen auflegen können, sind wir ganz ohnmächtig.“ Er hat niemals große Zahlen auflegen können; bei seinem Tode mochte er drei- bis viertausend Anhänger zählen, eine Ziffer von lächerlicher Geringfügigkeit gegenüber den Hunderttausenden, mit denen er in seinen begehrlichen Träumen rechnete.

Die geringe Unterstützung der Arbeiter selbst machte die Werbung gebildeter Anhänger für Lassalle nach wie vor zu einem „Ziel, auf’s Innigste zu wünschen“. Aber auch hier kämpfte er wesentlich einen vergeblichen Kampf. Die theoretische Halbheit seiner Agitation trennte ihn gleich anfangs von Engels und Marx; vollends seitdem er seine neue Taktik begonnen hatte, folgten diese eingefleischten Revolutionäre von ihrem englischen Exile aus seinen Wegen nur mit misstrauischen Blicken; wo er selbst die alten Genossen erwähnt, hört man aus seinen Worten das böse Gewissen reden. Von seinen Freunden in Deutschland theilten Bucher und Rodbertus seine Ansicht über die falschen Wege, welche die Fortschrittspartei auf dem Gebiete der Arbeiterfrage eingeschlagen hatte, aber nicht minder entschieden verwarfen sie sein Vorgehen, und vergebens bemühte er sich, sie mit sich fortzureißen. Auch der alte Ziegler sagte sich schweren Herzens von dem bewunderten Freunde los. Herwegh blieb ihm zwar treu, aber er that nichts für ihn, als daß er das Bundeslied des Vereins dichtete. Wenig sangbar, wurde dieses Gedicht noch dazu von Hans von Bülow in den dunklen und schweren Weisen der Zukunftsmusik componirt, sodaß es niemals populär war und fast ganz unbekannt geblieben ist. Deshalb mögen hier wenigstens die Anfangs- und Schlußstrophen einen Platz finden:

Bet’ und arbeit’! ruft die Welt,
Bete kurz! denn Zeit ist Geld.
An die Thüre pocht die Noth –
Bete kurz! denn Zeit ist Brod.
und du ackerst und du säst,
Und du nietest und du nähst,
Und du hämmerst und du spinnst –
Sag’, o Volk, was Du gewinnst?
– – – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – – – –
Mann der Arbeit, aufgewacht!
Und erkenne deine Macht!
Alle Räder stehen still,
Wenn dein starker Arm es will.
Deiner Dränger Schaar erblaßt,
Wenn du, müde deiner Last,
In die Ecke lehnst den Pflug,
Wenn du rufst: Es ist genug!
Brecht das Doppeljoch entzwei!
Brecht die Noth der Sclaverei!
Brecht die Sclaverei der Noth!
Brod ist Freiheit, Freiheit Brod!

Wenn darnach Lassalle viel alte Freunde aus den gebildeten Schichten durch seine Agitation verlor, so gewann sie ihm wenig neue aus de gleichen Kreisen. Einiges junge Volk schloß sich ihm flüchtig an, ein Advocat, ein oder zwei Aerzte, ein Buchhändler, ein Candidat, auch ein baierischer Exlieutenant, aber von politischem Werthe waren diese vergänglichen und meist nur durch persönliche Bewunderung geschlossenen Verbindungen nicht. Nur aus zwei seiner Anhänger durfte er mit einiger Genugthuung als auf Demagoge blicken, die seiner agitatorische Kraft nicht völlig unwürdig waren, aus Liebknecht und Schweitzer, aber sein Unstern wollte, daß auch sie ihm keine werthvollen Stützen wurde. Schweitzer war ein begabter und thatkräftiger Mann, aber bekannt als Wüstling, der nur zu reichlich alle Genüsse des menschlichen Lebens erschöpft hatte: so betrachtete ihn gerade die besseren Mitglieder des Vereins mit unverhohlenem Widerwillen, und Lassalle mußte sein ganzes Ansehen einsetzen, um seine Aufnahme überhaupt bewerkstelligen zu können. Liebknecht wieder war persönlich ein unantastbarer Charakter, aber politisch ein fanatischer Republikaner aus der Schule von Engels und Marx; er gewann zu Lassalle und Lassalle wieder zu ihm kein rechtes Vertrauen.

Bei solcher Bewandtniß der Dinge mußte Lassalle die geistigen Kosten seiner Agitation so gut wie ganz allein bestreiten, und er hat diese Aufgabe in geradezu einziger Weise gelöst. Vor dem anderthalb Dutzend mehr oder minder umfangreicher Schriften, die er in anderthalb Jahren mitten in den ungeheuren Anstrengungen und Aufregungen seiner Agitation geschrieben hat, kann ein unbefangener Urtheiler nur mit staunender Bewunderung stehen. In unserer nationalen Literatur haben diese glühenden Ergüsse einer Beredsamkeit, welche aus den schwersten und verworrensten Fragen der Wissenschaft blitzende Waffen auch für die ungefüge Faust der unwissenden Masse zu schmieden weiß, kaum ein Vor- oder auch nur ein Nachbild. In ihrem großartigen Wurfe stehen sie einzig da, ein Denkmal, nicht aus reinem und volltönendem Erze, vielmehr in wunderbarer Mischung aus Gold und Schlacken gegossen, aber strahlend von dem bestrickenden Glanze einer gewaltigen Geisteskraft. Wer diese Schriften liest, wird oft von aufrichtigem Abscheu ergriffen werden angesichts der wüthenden Schmähungen, mit denen sie verdiente Männer, wie beispielsweise einen Schulze-Delitzsch, überschütten, aber durch diese trüben Sümpfe windet sich der Gedankenpfad dann wieder in so kühnem Schwunge zu

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