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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Gesangvereine sind ja auch schon in Thätigkeit, die Kosten für den Erzguß des großen Reliefs und der beiden Figuren „Krieg“ und „Friede“ aufzubringen.

Möchte doch das nationale Werk durch reichliche Spenden für dasselbe aus allen deutschen Gauen thunlichst schnell gefördert und es so ermöglicht werden, daß unser hochbetagter Kaiser, dessen Lebenskraft im Vorjahre so schwere Proben bestanden, das Riesendenkmal inmitten der deutschen Fürsten, seiner Paladine und Heerführer noch selbst enthüllen könne. Herr Regierungsrath Sartorius in Wiesbaden nimmt die Spenden in Empfang. Den Meister aber können wir nicht besser ehren, als dadurch, daß wir zu eigner Wohlfahrt seine erzgewordenen Gedanken lebendig in uns erhalten für alle Zeit.

C. G.




Zur Geschichte der Socialdemokratie.
Von Franz Mehring.

3. Lassalle’s Ende.

Die neue Taktik Lassalle’s offenbarte sich zuerst in einer großen Rede, mit welcher er im Herbste 1863 die zweite Epoche seiner Agitation eröffnete; als er ihren Entwurf noch in Ostende niederschrieb, sagte er zu seinen Vertrauten: „Was ich da schreibe, schreibe ich nur für ein paar Leute in Berlin.“ Diese Rede handelte über die Parteifeste der liberalen Opposition in der Conflictszeit, über die Presse der Fortschrittspartei, endlich über den Frankfurter Abgeordnetentag von 1863, der sich mit dem österreichischen Bundesreformplane beschäftigt und ihn nicht völlig zurückgewiesen hatte. Nach allen diesen Richtungen eröffnete Lassalle ein heftiges Kreuzfeuer von Angriffen; von links her stürmte er gegen die Schanzen des festen Lagers, welches von rechts der preußische Ministerpräsident von Bismarck zu erobern suchte; eine Fülle des bittersten Hohnes schüttete der revolutionäre Agitator über das preußische Abgeordnetenhaus, welches standhaft das verfassungsmäßige Recht des Landes vertheidigte.

Der Sinn dieser Taktik lag auf der Hand. Lassalle erkannte die Unmöglichkeit, durch eigene Kraft in dem deutsche Arbeiterstande eine nachhaltige Bewegung zu erwecken; so versuchte er in dem Kampfe zwischen der Krone und dem Parlamente eine Einmischung, welche den mächtigeren Theil, indem sie ihn unterstützte, dadurch für den Fall des Sieges zu Gegenleistungen für den unerwarteten Bundesgenossen verpflichten sollte. Es war eine harte Ungerechtigkeit, Lassalle deshalb einen Ueberläufer zur Reaction zu nennen. Er opferte nicht seine Ueberzeugungen, um dem preußischen Ministerpräsidenten zum Siege zu verhelfen, sondern er wollte ihm zum Siege verhelfen, um ihn seinen eigenen Ueberzeugungen dienstbar zu machen. Die tiefe Unwahrhaftigkeit dieses abenteuerlich-phantastischen Planes lag vielmehr darin, daß Lassalle, um ihn durchzuführen, seinen Einfluß auf die Volksmassen in schwindelhaftester Weise übertreiben und sich in ein Netz von Lügen verstricken mußte, das gleichmäßig aus den verwerflichsten Kniffen des Diplomaten- wie des Demagogenthums gewoben war.

Freilich, so weit es überhaupt möglich war, durch diese verwickelten Schlingen mit freiem Fuße zu schreiten, hat er es vermocht; in jener Herbstrede von 1863 verstand er meisterhaft, noch seinen Ueberzeugungen vollkommen treu zu bleiben und schon der preußischen Regierung weit die Hand entgegenzustrecken, sich gleich gerüstet zu zeigen, ob nun der Blitz der deutschen Revolution, wie er sich ausdrückte, „aus diesem oder jenem Wege“ herniederfuhr. Indem er das ewige Poculiren und Toastiren mitten in einer schweren Krisis des Vaterlandes verhöhnte, geißelte er nur ein Treiben, das seiner energischen Thatkraft in tiefster Seele zuwider war; indem er eine erbarmungslose Kritik an der deutschen Presse übte, vergalt er nur Gleiches mit Gleichem, und indem er endlich die anfänglich schwankende Haltung der Fortschrittspartei gegenüber den bundesstaatlichen Reformkünsteleien der österreichischen Regierung als eine Art Verrath am Vaterlande schilderte, verfocht er den deutschen Beruf des preußische Staates, wie er ihn schon 1859 in seiner Broschüre über den italienischen Krieg verfochten hatte. In allen diesen Fragen stand er auf gleichem Boden mit dem preußischen Ministerpräsidenten, wenngleich diese Berührung nur die sprüchwörtliche Berührung der Gegensätze war.

Auf der Rückreise von Ostende nach Berlin hielt Lassalle die mehrgedachte Rede in großen Massenversammlungen am Rhein, an dessen Ufern er einzig und allein einen wenigstens halbwegs nennenswerten Anhang hatte, in Barmen, Düsseldorf, Solingen. Um den verhältnißmäßig immer noch kleinen Kern seiner Parteigänger sammelte sich schnell die heiß- und leichtblütige Bevölkerung jener Gegenden, in welcher die große Industrie schon 1848 sociale Uebelstände hervorgerufen hatte, in welcher die berauschenden Erinnerungen des tollen Jahres niemals völlig verklungen waren. Glänzend bewährte sich wiederum die Fähigkeit des großen Demagogen, die Massen willenlos dem Winke seiner Wimper zu unterwerfen sobald er ihnen selbst Aug’ in Auge gegenüber stand. In Solingen, wo der allgemeine deutsche Arbeiterverein nur 92 Mitglieder zählte, hingen einige Tausende von Arbeitern athemlos an seinen Lippen; als einige Gegner eine Störung verursachte, wurden sie blitzschnell entfernt, nicht ohne blutige Gewalttätigkeit. Darauf hin löste der Bürgermeister die Versammlung auf, und Lassalle richtete jenes bekannte Beschwerdetelegramm an den preußischen Ministerpräsidenten, das damals wie ein fahler Blitz über seine geheimen Pläne zuckte, von seine Gegnern triumphirend ausgebeutet, von seinen Anhängern mit fassungslosem Staunen betrachtet wurde.

Für Lassalle selbst war die Depesche nach seinem Wiedereintreffen in Berlin vermuthlich der Anknüpfungspunkt zu mehrfachen persönlichen Zusammenkünften mit Herrn von Bismarck. Lange hat über diesen Unterredungen ein mehr oder minder undurchdringlicher Schleier gelegen; erst in der vorjährigen Herbstsession des Reichstages hat ihn bekanntlich der Reichskanzler selbst gehoben. Die Worte, in denen er es that, sind für beide Theile und namentlich für die Kennzeichnung des gegenseitigen Verhältnisses zu bezeichnend, als daß sie hier nicht nach ihrem wesentlichen Inhalt wiedergegeben werden sollten.

Fürst Bismarck sagt: „Unsere Beziehung konnte gar nicht die Natur einer politischen Verhandlung haben. Was hätte mir Lassalle bieten und geben können? Er hatte nichts hinter sich. In allen politische Verhandlungen ist das do ut des (ich gebe, damit Du giebst) eine Sache, die im Hintergrunde steht, auch wenn man anstandshalber einstweilen nicht davon spricht. Wenn man sich aber sagen muß: was kannst Du armer Teufel geben? – er hatte nichts, was er mir als Minister hätte geben können. Was er hatte, war etwas, was mich als Privatmann außerordentlich anzog; er war einer der geistreichsten und liebenswürdigsten Menschen, mit denen ich je verkehrt habe, ein Mann, der ehrgeizig im großen Stile war, durchaus nicht Republikaner; er hatte eine sehr ausgeprägte nationale und monarchische Gesinnung; seine Idee, der er zustrebte, war das deutsche Kaiserthum, und darin hatten wir einen Berührungspunkt.“ Bekanntlich ist diese Charakteristik viel angefochten worden, und sie läßt sich auch erheblich anfechten, wenn man nur ihre äußere Schule betrachtet; erfaßt man ihre tieferen Sinn, so taucht sie das Wesen des Agitators in grelles Licht. Beispielsweise läßt sich der Behauptung, daß Lassalle durchaus kein Republikaner gewesen sei, eine lange Reihe öffentlicher Aeußerungen von ihm entgegenstellen, in denen er pathetisch betheuert, von Kindesbeinen an denke er republikanisch, aber wer seine vertrauliche Briefe auch nur flüchtig durchblättert hat, wird überzeugt sein, daß vielleicht niemals ein moderner Mensch so wenig von einer demokratischen Ader hatte, wie dieser sozialistische Agitator.

Während so der preußische Ministerpräsident auf den erste Blick den großen Rechenfehler in Lassalle’s Plänen erkannte und durchaus keine Neigung zu einem Bündniß mit „wilden Völkerschaften“ bezeigte, scheint Lassalle durch seine grenzenlose Eitelkeit völlig über den Eindruck getäuscht worden zu sein, den er in diese Unterredungen machte, scheint er für politisches Entgegenkommen gehalten zu haben, was nur persönliches Interesse war.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_415.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)