Seite:Die Gartenlaube (1879) 412.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

immer noch nicht essen,“ sagte er mit einem tückischen Blicke auf die kleinen, harten Früchte, die seine Geduld auf eine so lange Probe stellten. Er steuerte auf die Mittelthür des Hintergebäudes los, die gerade auf den Hauptweg mündete. Sie war grau verwittert, hing schief in den Angeln und sah wenig einladend aus, daß es aber so stockfinster hinter ihr sein würde, hatte der kleine José doch nicht gedacht. Er klammerte sich mit beiden Händen ängstlich an Veit’s Sammetkittel, als die Thür hinter ihnen zufiel.

„Ich glaube gar, Du fürchtest Dich, Du Lump! Willst Du wohl Deine Hände wegthun?“ schalt der lange Junge und schlug auf die kleinen Finger, die ihn festhielten. „Das ist unser Holzstall, und da habe ich meine Lapins.“

Man hörte Pferdegestampf und die Brummstimmen der Kühe dumpf herüber, und der heiße Dunst des Kuhstalles schlug durch irgend eine offene Luke herein. Allmählich wurde es auch heller – der Tagesschein dämmerte vom Garten her durch kleine, mit Eisenstäben verwahrte Fensterlöcher, vor denen dichtes Weinblättergespinnst lag, und dieses ungewisse Licht beschien auch die Lapins in ihrem Bretterverschlag, über welchen hinweg eine Treppe in die oberen Räume lief.

Dieses steile, dunkle Holztreppchen ging es im Sturmschritt hinan, nachdem Veit’s grausame Hände die unglücklichen Kaninchen an den Ohren herbeigezerrt und verschiedene Mal durch die Luft geschlenkert hatten – und José lief mit auf Tritt und Schritt. Das zarte Kind, das von seiner ersten Lebensstunde an behütet worden war wie ein Prinzenleben, es kletterte in diesen weitläufigen verlassenen Hintergebäuden über halsbrechende Treppen und Leitern, über freischwebende Balken und lief arglos an den dunkelgähnenden Schlünden hin, durch welche die Getreidebündel auf die Tenne hinabgeworfen wurden – immer ohne einen Laut des Widerspruches dem unruhig vorwärts hastenden großen Burschen wie seinem Leitstern auf den Fersen folgend und eifrig bemüht, ebenso herzhaft zu tappen und aufzustampfen, wie er – genau so kräftig klang es freilich nicht – der hatte aber auch „wundervolle“ kleine Hufeisen auf seinen Absätzen.

Ach, wie schön war es doch, daß man auch einmal so ein rechter Junge sein konnte! Jack und Deborah waren nicht da mit ihrem ewigen Bitten und Warnen, und man durfte sich auf den fremden Treppen und Gängen austoben, ohne der Mama oder Minna den Besatz von der Schleppe zu treten, was allemal einen Heidenlärm gab. Und wie süß das kaum eingefahrene, frische Heu duftete, in das man bis über die Kniee weich einsank – und was war das für ein wonniger Schrecken, wenn plötzlich aus einer ganz entlegenen Ecke eine aufgejagte Henne ängstlich gackernd und schreiend emporfuhr und halb fliegend, halb rennend das Weite suchte, ihr verschlepptes Nest mit blanken, weißen Eiern zurücklassend!... In jedem Sonnenstrahle, der als langes, scharf abgekantetes Goldband durch die Dachluken fiel, wimmelten Myriaden von Stäubchen geräuschlos lebendig – man hörte das Rucksen der Tauben in nächster Nähe auf dem Dache und konnte durch einzelne verschobene Ziegel hinabsehen in den großen, gepflasterten Hinterhof mit seinen Truthühnern, den dumm einhertrottenden Kälbern und dem großen, einsamen Baume in der Ecke, in welchem die vielen aus- und einfliegenden kleinen Vögel brüten mochten. Und oben unter dem Dach des zweistöckigen Seitengebäudes, das an das Klostergut selbst stieß, pfauchte plötzlich auch eine schöne, buntgefleckte Katze aus einer halboffenen Kammerthür – sie schien die Knaben angreifen zu wollen, vor Veit’s hochgeschwungener Reitpeitsche aber ergriff sie sofort die Flucht und kletterte angstvoll am Sparrwerk empor.

„Ei was – die Miez hat junge Katzen,“ schrie Veit und rannte in die Kammer hinein. Auf dem Boden eines alten, halb aus den Fugen gegangenen Bastkorbes hockten in der That drei noch sehr junge Kätzchen. „Werd’s gleich dem Papa sagen; Fritz muß sie heute noch ersäufen – das giebt allemal einen Hauptspaß,“ jubelte er.

José kauerte sich auf die Dielen und sah mit großen, strahlenden Augen in den Korb – er hörte gar nicht, was der Andere sagte. Drei so allerliebste, geschmeidige Thierchen, weichgebettet auf allerlei buntem Lappenzeug, in einem Korbe beisammen, das war ja noch hübscher als das Zaunkönignest, das ihm Onkel Arnold neulich in einem großen Weißdornbusch gezeigt hatte. Mit scheuem Finger strich er zärtlich über die weichen Fellchen.

Diese mädchenhafte Sanftheit reizte und ärgerte den großen Jungen.

„Du bist doch noch schrecklich dumm,“ schalt er. „Macht doch der Einfaltspinsel ein Wesens mit dem Viehzeug, wie die Tante Therese mit ihren jungen Truthühnern!“

(Fortsetzung folgt.)




Ein Meister am Werk.


Die einmüthige Erhebung der Nation im Jahre 1870 und die Errungenschaften des Krieges durch ein großartiges Denkmal aller Zeit vor Augen zu führen, ist wohl nichts Minderes, als eine nationale Pflicht. In Tausenden von Gemeinden rüstete man sich, je nach Kraft und Mitteln, der großen Zeit Wahrzeichen aufzurichten, und es war natürlich, daß diese tiefgehende Pietät auch einen nationalen Gesammtausdruck finden mußte.

Der Minister Graf zu Eulenburg war es, der diesem in der Luft liegenden Gedanken zuerst Form und Ausdruck gab. Er berief im Herbst 1871 eine Anzahl von Vertrauensmännern aus allen Parteien nach Wiesbaden, trug ihnen die Angelegenheit vor und fand einmüthige Sympathien dafür, sodaß man unverweilt beschloß, dem Gedanken die That folgen zu lassen.

Zunächst bildete sich ein großes Comité, meist aus Koryphäen des Reichstages, welches die Nation um Aufbringung der auf 250,000 Thaler festgesetzten Bausumme mit dem glücklichsten Erfolg anrief. Durch Festlichkeiten in Vereinen und durch Einzelgaben war der Betrag, der für das große beabsichtigte Werk gewiß auch ein bescheidener zu nennen ist, sehr bald gedeckt.

Der geschäftsführende Ausschuß unter dem Vorsitz des Grafen zu Eulenburg und unter der geschäftlichen Leitung des Regierungsrathes Sartorius zu Wiesbaden erließ ein Preisausschreiben, welches den erfreulichsten Erfolg hatte. Die eingegangenen 26 architektonischen und 11 plastischen Entwürfe zeigten, daß in deutschen Landen so mancher Berufene war, aber nur Wenige konnten die Auserwählten sein. Prämiirt wurden die Entwürfe der Architekten A. Pieper und H. Eggert und der des Bildhauers Johannes Schilling.

Sämmtliche drei Entwürfe gingen jedoch über die veranschlagte Bausumme voraussichtlich weit hinaus. Die nun erfolgende beschränkte Concurrenz hatte abermals einen hohen intellectuellen Erfolg, der jedoch ohne praktische Nachwirkung blieb, weil sich die Schöpferkraft der prämiirten drei Meister noch immer nicht in die gegebenen Schranken hatte finden können; Genius und Geld haben sich eben zu allen Zeiten übel mit einander vertragen.

Man betraute nun den siegreichen Vertreter der plastischen Kunst allein mit einem dritten Entwurf. In sehr kurzer Zeit konnte Professor Schilling diesen dem Comité vorlegen, und wenn sich das Volkswort „Aller guten Dinge sind drei“ je einmal bestätigte, so war es hier der Fall. Der Entwurf war der einfachste, der billigste, doch zweifellos dabei der imposanteste. Nach seiner Genehmigung führte die „Gartenlaube“ den Entwurf des hochaufstrebenden Riesendenkmals im Jahrgang 1874 (Seite 533) dem deutschen Volke zum ersten Male vor Augen, und alle Kundgebungen darüber sprachen nur von Wohlgefallen.

Jetzt ist der Meister im vollen Werke begriffen, und gewiß ist es an der Zeit, daß wir ihn einmal bei der Arbeit aufsuchen. Deutschland hat wohl auch ein gewisses Anrecht, etwas Näheres über den Mann selbst zu hören, in dessen Hände es die künstlerische Versinnlichung der Wiedergeburt seines nationalen Hausrechtes legte. Leider fließen die Nachrichten über sein Leben nur spärlich – ihm ist das Werk Alles und die Person Nebensache.

Schilling wurde am 23. Juni in Mittweida, unfern dem romantischen Zschopaufluß, geboren, doch blieb die rührige sächsische Mittelstadt ohne Einfluß auf ihn, da sein Vater mit dem zweijährigen Knaben dauernd nach Dresden übersiedelte. Früh schon regte sich ein lebhafter Schaffensdrang in ihm, der durch die Kunstschätze in der Stadt, die man mit Recht das nordische

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_412.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)