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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

genug an sie selbst herangetreten sind – brr! –“ sie schüttelte sich. „Ich habe, Gott sei Dank, von all der scheußlichen Mordbrennerei nicht viel gesehen,“ fuhr sie fort, und in einen nahestehenden Lehnstuhl sinkend, grub sie die Füße in das Bärenfell, das sich auf der Steinmosaik des Fußbodens hinbreitete. „Als es gefährlich wurde, da brachte Felix mich und die Kinder nach Florida, auf die ganz entlegene Besitzung Zamora, die Mercedes gehört. Ganz Südcarolina war verwüstet, Charleston gefallen und Columbia niedergebrannt, und ich habe das Alles nicht eher erfahren, als bis eines Tages Mercedes kam, um mich darauf vorzubereiten, daß man gleich nach ihr – meinen armen Felix bringen werde.“

Sie hielt inne – ihr kleines Gesicht wurde ganz blaß, und die Lippen zuckten. Die Erinnerung an den schmerzlichen Schrecken jener Stunden überkam sie plötzlich, aber sie huschte ebenso rasch und scheu darüber hin, wie der leichtbeschwingte Vogel über einen Abgrund. „Mercedes sah aus wie eine Zigeunerin, so sonnenverbrannt und verwahrlost im Anzug,“ fuhr sie fort, unter einem aufkeimenden Lächeln die Thränen von den Wimpern wischend. „Felix sagte, sie hätte seinen weiten und schwierigen Transport wie ein Mann durchgesetzt – ja, sie ist eben von anderem Schrot und Korn, als ich. Den Sarraß am Gürtel und den Revolver in der Hand, Nachts durch den Busch schleichen, um die Stellung des Feindes auszukundschaften, oder, in den Soldatenmantel gewickelt, am Lagerfeuer zu bivouakiren, das wäre nun einmal nicht meine Sache – ich danke schön. Aber es muß wohl so im Blut der Spanierinnen liegen, daß sie überall gern das Mädchen von Saragossa spielen, ihrer Schönheit zum Schaden.... Als Desdemona, wie Mama mit ihren schönen Armen, könnte Mercedes Ihnen niemals sitzen, cher Baron“ – jetzt glitzerte das Sprühteufelchen der Bosheit wieder aus ihren Augen – „sie hat einen furchtbaren Säbelhieb bekommen; die Narbe ringelt sich wie eine blutrothe Schlange über ihren rechten Oberarm hin.“

Die hohe, schlanke Frau stand dort an der Staffelei – und um den bronzeschimmernden Arm, der, leicht bedeckt vom Aermel, lässig an der Seite niederhing, schlang sich verborgen das blutige Zeichen, das der Krieg seinen Kämpfern aufdrückt.

Baron Schilling trat, wie von einem raschen Impuls getrieben neben sie. Sie wandte ihm halb die Augen zu, seltsam flimmernd, wie traumverwirrt, als kehrten sie eben zurück von brennenden Städten und zerstampften leichenbedeckten Reisfeldern. „Aber nicht so – nicht so! Nicht ohne Vertheidigung bis zum letzten Herzschlag – wer möchte sich so lammgeduldig abschlachten lassen?“ protestirte sie, auf die Gestalt der Hugenottin deutend, und so unmittelbar an Lucile’s Bemerkung bezüglich der Blutscene anknüpfend, daß man sah, sie sei der ganzen übrigen verrätherischen Plauderei, welche dort vom Lehnstuhl vernehmlich herübergeklungen war, vollkommen entrückt gewesen.

„Ich wollte eine Frau darstellen, die für das Ideale stirbt,“ sagte Baron Schilling ruhig.

Sie fuhr mit einem wildflammenden Blicke herum. „Und wir?!“

Sie haben nur für Ihre Herrenrechte gekämpft –“

„Nicht für den Sieg des Geistes, der Bildung über die rohe Masse? Nicht für den heiligen Boden der schönen, gesegneten Heimath?“ – Sie wandte ihm in stolzer Entrüstung den Rücken. – „Was weiß man in Deutschland!“ setzte sie achselzuckend und bitter hinzu; ihr Blick irrte ziellos droben durch den Raum, während sie mit bebenden Fingern all ihrem Gürtelbande pflückte. „Man tanzt blindlings mit vor dem Götzen ‚Humanität’, den der Norden heuchlerisch aufgestellt hat; man glaubt an die scheinheilige Maske, die sich der glühende Neid vorgebunden, um die Macht des Südens zu brechen, ihm die leitende Rolle im Staatswesen zu entreißen, seine edlen, stolzen Geschlechter zu Bettlern zu machen – o heilige deutsche Verblendung! – Man läßt die weißen Brüder zermalmen und liebkost die schwarze Race –“

„Wenn man die Stricke barmherzig zerschneidet, die einen Geknebelten am Boden niederhalten, so ist das noch lange keine Liebkosung. Diese dunkelhäutigen Menschen –“

„,Menschen?!“ unterbrach sie ihn achselzuckend, mit leisem Hohnlächeln und einer unnachahmlichen Geberde voll tödtlicher Verachtung über die Schulter blickend.

Wie ein Seraph stand sie da in ihrem weißen Gewande – und in diesem schmiegsamen Leibe wohnte das schnödeste Vorurtheil, eine harte Seele, die eisengepanzert durch die Welt ging, der zarten äußeren Frauenschöne, die ihr verliehen, zum Trotze.

„Jetzt begreife ich, daß Sie zurückschaudern vor der deutschen Luft, die sich gegenwärtig aufmacht, stagnirendes Unrecht aus seinen dunklen Ecken zu fegen,“ sagte er, unwillig in ihre Augen blickend.

„Ach ja – ich las schon davon. Und sie thut das mit gewohnter deutscher Gründlichkeit – daran ist nicht zu zweifeln,“ versetzte sie, satirisch beipflichtend. „Was sie dabei an gutem, angestammtem Rechte mit hinwegfegt, das kommt ja nicht in Betracht bei den Reformen, die unsere Weltverbesserer in Scene setzen.“ Diese verhaltene Stimme bebte vor Erregung, und wohl gerade deshalb brach die stolzverschlossene Frau das Thema ab. „Glauben Sie ernstlich, daß wir dort drüben das vorgesteckte Ziel schließlich erreichen werden?“ fragte sie, nach der Richtung des Klostergutes zeigend, scheinbar kühl und gelassen.

„Ich will es glauben, weil ich das Vertrauen auf schönes weibliches Empfinden im Frauenherzen nicht verlieren möchte,“ antwortete er mit einer Art zornigen Lächelns. „Aber ich wünsche sehnlich, daß die Entscheidung in weitester Ferne liege –“

Sie hatte schon nach seinen ersten Worten den Fuß auf die Schwelle der Glasthür gesetzt, um zu gehen; jetzt wandte sie den Kopf noch einmal zurück.

„Und weshalb?“ fragte sie.

„Das sollten Sie nicht fragen, die Sie stündlich sehen müssen, daß mit den Kindern ein unaussprechliches Glück in mein Leben eingezogen ist.... Ich verliere meine Lieblinge, sobald die Großmutter versöhnt ist, und wer möchte ohne Schmerz Liebe aufgeben, die das Dasein neu beleuchtet? Die Kinder hängen an mir“ – er hielt inne – „oder gönnen Sie auch das dem deutschen Manne nicht?“ fragte er, schwankend zwischen ironisirendem Scherz und zweifelndem Ernst – er hatte gesehen, wie sich ihr Blick unter den zusammengezogenen Brauen verdunkelte.

„Bah, wie mögen Sie nur so reden Baron!“ rief Lucile herüber. „Nicht gönnen! Lächerlich! Ist denn Dame Mercedes nicht eben im Begriff, meine armen Kinder ohne Gnade und Barmherzigkeit in die scheußliche Mördergrube da drüben zu werfen?“

Donna Mercedes ignorirte diese Bemerkung vollständig.

„Ich habe mir gegen den letzten Wunsch und Willen meines Bruders nie eine Einwendung erlaubt,“ wandte sie sich an Baron Schilling. „Aber es wäre eine Lüge, wollte ich sagen, ich hätte nicht vom ersten Wort seiner Instruction an den geheimen Wunsch gehabt, die alte Frau auf dem Klostergut möchte in ihrer grausamen Härte verharren und die Enkel zurückweisen. Denn dann treten die Rechte in Kraft, die Felix mir testamentarisch übertragen hat, und ich darf auch sagen. ‚Sie sind mein – meine Kinder!“

Sie drückte die schmächtige Hand unwillkürlich auf die Brust und war so für einen flüchtigen Augenblick von allen Frauengestalten, die das Atelier in seelenvoller Darstellung belebten, wohl die hinreißendste im Ausdruck der tiefen, aber auch eifersüchtigen Zärtlichkeit, die Anderen ihr Idol nicht gönnt.

„Dieses stillschweigende Abwarten widerstrebt mir; es ist eine Marter für mich,“ fuhr sie fort. „Es bedarf oft meiner ganzen Willensstärke, daß ich die Kinder nicht plötzlich nehme und mit ihnen der Großmutter gegenüber trete, um der qualvollen Ungewißheit ein Ende zu machen, die Entscheidung eigenmächtig herbeizuführen“ – sie hielt inne auf die lebhaft abwehrende Handbewegung hin, mit der er sie unterbrach. „Es geschieht nicht,“ setzte sie, den schönen Kopf schüttelnd, in sinkendem Tone hinzu. „Aber einen Anfang wenigstens möchte ich sehen – einen ersten Schritt zum Ziele –“

„So wollen Sie mir vorläufig einen Einblick in Felix’ Familienpapiere gestatten; ich fürchte, wir werden sie brauchen,“ fiel er ein.

„Sie stehen sofort zu Ihrer Verfügung.“

Mit einem auffordernden Handwinken trat sie rasch durch das Glashaus hinaus in den Garten.

Lucile sprang auf und folgte ihr. Sie hing sich an Baron Schilling’s Arm, während sie durch die Platanenallee dem Säulenhalle zuschritten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_410.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)