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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


No. 25. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Im Schillingshof.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Ein kaltes Lächeln zuckte um Mercedes’ Mund. Sie war offenbar nicht gewohnt, einen ihrer Aussprüche zu verleugnen, mochte er auch noch so rücksichtslos sein. Hatte Felix nicht gesagt, der Mann da oben habe die Schilling’schen Familiengüter mit der ungeliebten „langen Cousine“ zurückgeheirathet? – Nun wohl, es geschah ihm ganz recht, zu erfahren, daß er dadurch bei Anderen den Glauben an seine makellos ideale Richtung verwirkt habe. Ihre Augen begegneten mitleidlos, ja, mit grausamer Genugthuung, fest dem empörten Blick, der sie fixirte. Aber plötzlich stieg ein jähes Roth in ihr Gesicht, und die stolze Frau nahm eiligst das lang nachschleppende Gewand auf, um das Arbeitszimmer zu verlassen, das sie ohne die Aufforderung des Besitzers betreten hatte, vorher aber mußte sie sich schlechterdings zu einigen entschuldigenden Worten bequemen.

Er stieg die Wendeltreppe herab, und sie deutete, ihm um wenige Schritte entgegentretend, nach dem Glashause.

„Pirat hat Unheil angerichtet,“ sagte sie mit einer leicht grüßenden Neigung des Kopfes. „Ich hörte den Lärm in der Allee, und die Besorgniß, daß Ihr Eigenthum beschädigt werden könnte, hat mich hierher getrieben.“

„Es bedarf durchaus keiner Entschuldigung für Ihre Anwesenheit im Atelier, gnädige Frau,“ versetzte er kalt. „Es steht jederzeit offen für Besucher aus der Stadt, wie aus der Ferne. Ein Atelier ist ja weder Familienzimmer, noch Boudoir,“ setzte er kühl und flüchtig lächelnd hinzu. Damit ging er an ihr vorüber, wie er gewohnt war, an Fremden hinzugehen, die seine weltberühmten Bilder zu sehen kamen.

Er trat in das Glashaus, hob den triefenden Drachenbaum aus dem Bassin und stellte ihn, wie auch die umgeworfenen Topfpflanzen, an Ort und Stelle. Mit finstergerunzelten Brauen sah er sich um. Aus allen Ecken sprangen Wasserstrahlen, einzelne steil in die Luft steigend, um drunten in das eigene, unter Blattpflanzen versteckte, kleine Bassin zurückzustieben – andere dagegen schossen in dünnen, silbernen Bogen hoch aus dem Pflanzenwald empor und sammelten sich im großen Mittelbassin. Das sah köstlich aus, Baron Schilling aber ging umher, und eine Wassersäule nach der andern erlosch unter seiner Hand.

„Ich begreife den Gärtner nicht – er verwahrt sich doch sonst entschieden gegen die übergroße Feuchtigkeit, der Pflanzen wegen,“ sagte er unmuthig.

„Ach, cher Baron, das bin ich gewesen,“ rief Lucile, die ihm gefolgt war. „Die Entdeckung war unbezahlbar für mich. Hui, wie die Fontainen alle aufzischten! Der Athem verging mir ordentlich vor wonnigem Schrecken. Dann habe ich mich da auf die rothgepolsterte Bank hingestreckt, habe abgefallene Orangenblüthen gekaut und in die Palmenkronen geguckt, auch dazwischen ein wenig im Atelier gekramt – nun, wissen Sie, wie es eben ein toller, naseweiser Kindskopf treibt, wenn er einmal auf ein paar köstliche Minuten der Zuchtruthe glücklich entlaufen ist.... Apropos, was hat denn die Unglückliche verbrochen, der Sie die Augen zugeklebt haben?“ unterbrach sie sich plötzlich und lief in das Atelier zurück. Sie kehrte einen der mit Leinwand bespannten Rahmen um, deren verschiedene an den Wänden lehnten.

„Die Unglückliche“ war ein Studienkopf, ein Frauenantlitz unter einem lockigen Gewoge bräunlich untermalter Haare, denen später wohl goldige Lichter aufgesetzt werden sollten. Die Züge dagegen waren bereits sorgfältig ausgeführt, aber ein breiter dunkler Streifen lief quer über die Augen, sodaß nur die obere Hälfte der sammetweißen Stirn und drunter die feinen Nasenflügel, der sanftgeschwungene Mund in dem lieblichen Oval, wie unter einer Halbmaske sichtbar wurden. Der Streifen lief vandalisch plump bis in das Haar hinein – es sah aus, als habe der Maler mißmuthig den ersten, besten Pinsel ergriffen, um mit einem einzigen breiten Zuge die Augen zu zerstören.

„Die arme Geblendete macht mich ganz fabelhaft neugierig, müssen Sie wissen,“ sagte die kleine Frau. „Sind Sie selbst so unmenschlich gewesen, cher Baron? Und warum, wenn man fragen darf?“

„Weil ich mich überzeugt habe, daß diese Augen nicht in ein Madonnengesicht gehören,“ versetzte er rasch herüberkommend. Ein dunkler Blick streifte zürnend „den tollen, naseweisen Kindskopf“, der ihm so indiscret nachspürte. Er nahm das Bild aus ihrer Hand und schob es hinter einen der Schränke.

Lucile drehte sich auf dem Absatz um und lächelte verschmitzt – Baron Schilling hatte Herzensgeheimnisse.... Ihr Blick suchte Mercedes, die nach seiner kühlen Antwort vorhin schweigend und mit stolzer Gelassenheit wieder hinter die Staffelei getreten war – sie hatte sich nicht durch das Glashaus entfernen wollen, so lange er sich drüben aufhielt, und einen anderen Ausgang nach dem Garten kannte sie nicht. Dann hatte sie das kleine Intermezzo mit dem verunstalteten Bilde unwillkürlich an den Boden gefesselt. Lucile zeigte hinüber nach ihr.

„Sie kann sich nicht losreißen,“ sagte sie zu Baron Schilling. „Ich glaub’s – das ist so eine Blutscene, wie sie im Secessionskrieg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_409.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)