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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


dem Innern gesandt, um ihre Handelsverbindungen aufzusuchen, neue anzuknüpfen und ausbleibende Zahlungen einzuziehen.

Vom südlichen Ufer des Sees aus führen drei Hauptwege durch die Zulia-Ebene nach dem innern Hochlande. Der Rio Catatumbo, als längster Wasserweg, verbindet die Gegenden um Cucutá mit dem See; einen zweiten, Landweg, betritt man in San Carlos am Rio Escalante, und für den dritten Weg, welcher nach den Provinzen Trujillo und Mérida führt, sind die beiden Hafenplätze Moporo und La Ceiba die Ausgangspunkte.

Kleine Segelschiffe vermitteln die Verbindung zwischen diesen Punkten und Maracaibo; sie erreichen gewöhnlich in vierundzwanzig Stunden ihren Bestimmungsort. Die Schiffe werden von farbigen Eingeborenen geführt, welche mit dem Fahrwasser und auch mit den Launen des Sees sehr vertraut sind. Die oft über den See plötzlich dahinsausenden Chubáscos (schwere mit Regen begleitete Winde) arten zuweilen in gefahrdrohende Stürme aus; sobald dies der Patron des Schiffes erkennt, sucht er schnell eine schützende Bucht zu erreichen und läßt dann unbesorgt das Unwetter über sich dahinbrausen. Uebrigens sind dort auch Wasserhosen keine Seltenheit. Ungeheuere Massen von Mosquitos schweben zuweilen wolkenartig über den See dahin; diese sammeln sich in den ausgedehnten Sümpfen und Wäldern des Zulia und werden dann durch Westwinde hinaus auf den See getrieben.

Nach kurzer Fahrt bis Punta Icotea, bis wohin die beiden Ufer noch eng zusammentreten, gelangen wir plötzlich hinaus auf die weite, meerähnliche Fläche des Sees. Inzwischen hat sich der Tag mit einem prachtvollen Sonnenuntergang verabschiedet und dunkle Nacht umgiebt uns. Da fesselt ein wunderbares Naturschauspiel unsere Blicke: im Süden, über der mit unermeßlichem Urwald bedeckten Zulia-Ebene spielt ein unaufhörliches, furchtbar schönes Wetterleuchten; riesige Feuergarben schießen nach allen Richtungen; ein sich immer wiederholendes Aufzucken leuchtender Strahlen wechselt ab mit momentan vollkommener Dunkelheit, und schreckenerregender Donner dröhnt, Unwetter verkündend, zu uns herüber. Diese sich jede Nacht wiederholenden elektrischen Naturspiele über der sumpf- und wasserreichen Waldregion des Rio Catatumbo erblickt man schon vom Golf von Maracaibo aus, und die Schiffer nennen sie bezeichnend los fuegos del Catatumbo, die Feuer des Catatumbo.

Je mehr wir uns beim Anbruche des Tages dem eine Menge Buchten bildenden südlichen Ufer nähern, desto malerischer tritt uns dasselbe entgegen; an den meisten Stellen bildet mauerartig dichter Urwald einen Pflanzensaum, dessen Artenreichthum und Pracht aller Beschreibung spottet. In den Fluthen des Sees spiegeln sich die majestätischen Urwaldriesen und Palmenkronen. Wir haben während der Fahrt nur wenige Arten von Wasservögeln, Möven, Pelekane, Seeschwalben, und hoch in den Lüften schwebend zuweilen einen Fregattvogel gesehen, und bei Bajo seco hat ein riesiger Kaiman unser Interesse erregt, hier aber tritt uns ein reiches Thierleben entgegen. Schaaren von Papageien, unter denen sich die großen rothen Aras durch ihr Schreien auszeichnen, fliegen über den Wald; aus der Ferne tönt das dumpfe Geheul der Brüllaffen, und die sumpfigen Uferstellen sind belebt von unzähligen Wasser- und Sumpfvögeln. Kaimans treiben in den Buchten ihr Wesen, und auch der Manati ist ein Bewohner dieser Gegend. Aber welch einen Reichthum an Thieren birgt erst das Innere des Waldes, obschon er in den heißen Mittagsstunden wie ausgestorben erscheint! Ueber diesem Waldmeer, in duftiger Ferne, erhebt sich die Cordillera, mit ihren rauhen Paramos (Hochgebirgseinöden) und den schneebedeckten Gipfeln von Mérida einen großartig schönen Hintergrund bildend. Leider gehört diese Waldregion des Zuliatieflandes zu den ungesundesten Venezuelas.

Die schon angedeuteten, vom Ufer durch den Wald nach dem Innern führenden Wege sind keine Kunststraßen. Man hat zunächst Pfade gehauen, welche nach und nach durch den vielen Verkehr der Last- und Reitthiere das Ansehen von Straßen erhielten. Nach und nach ließen sich an diesen Straßenzügen Menschen nieder; Lichtungen entstanden, und so findet man auf seinem mühsamen Ritte cultivirte Strecken, auf denen Mais, Zuckerrohr, Manioc, Bananen etc. in üppigster Fülle gebaut werden. Unser Bild (Seite 397) stellt eine solche Lichtung dar, durch welche der Weg führt. An den Seiten stehen Hütten, welche zugleich Schenken (Pulperias) sind, in denen der Reisende als Erfrischung das einheimische Getränk Guarapo, Zuckerrohrsaft, zu sich nimmt. Wir reiten nun wieder meilenweit durch den engen, von Baumriesen und Palmenkronen beschatteten Pfad, aber wehe, wenn dies während der Regenzeit geschehen muß! Dann sinken die Lastthiere bis an den Hals in den Schlamm, und nur mit größter Anstrengung vermögen sie sich durch die mit Blätter und herabgestürzten Aesten gefüllten Lachen zu arbeiten. Einen trockenen Durchgang suchend, klemmen sie sich oft mit ihren Ladungen zwischen Baumstämmen und Lianengeflechte. Umgestürzte Bäume hemmen zuweilen das Vorwärtsschreiten, sodaß man genöthigt ist, sich einen Seitenpfad zu bahnen. Zahlreiche Maulthiertrupps, mit Kaffee und anderen Waaren beladen, arbeiten sich mühsam durch Schlamm und Gestrüpp, und die halbnackten, mit Schmutz bedeckten Treiber vollführen ein weit in den Wald hinein schallendes Geschrei, um ihre Thiere vorwärts zu bringen. Da entdecken wir auf den Gepäckstücken deutsche Namen, und weiterhin begegnen wir auch einigen jungen Landsleuten, welche von ihrer Rundtour aus dem Innern nach Maracaibo zurückkehren. Sie sehen aus wie wir: ihre Kleidung ist vom emporgespritzten Schlamm überzogen. Von ihren Kunden in der Cordillera werden sie Kometen genannt, weil sie plötzlich erscheinen und dann wieder verschwinden, um gelegentlich ihren Besuch zu wiederholen.

Ich kann es mir nicht versagen, am Schlusse dieser Erinnerungen des reizenden Abschiedes zu gedenken, den ich von Maracaibo nehmen durfte und der am besten die Menschen charakterisirt, welche mir, dem deutschen Reisenden, eine so überaus gastfreundliche Herzlichkeit entgegengebracht hatten. Ich hatte mich mit zwei ebenfalls durchreisenden Landsleuten schon am Lande verabschiedet, und wir standen nun wehmüthig und schweigsam am Bord des kleinen noch an der Landungsbrücke liegenden Schiffes. Durch einen unvorhergesehenen Zwischenfall verzögerte sich das für den Nachmittag festgesetzte Auslaufen des Fahrzeugs bis zur vollständigen Dunkelheit. Gedankenvoll blickten wir nach den hellerleuchteten Häusern hinüber und achteten nicht auf die nahenden Ruderschläge, bis endlich eine dunkle Masse, welche sich unserm Schiffe bereits bis auf kurze Entfernung genähert hatte, als großes Boot erkennbar wurde. Da mit einem Male ertönte ein herrliches deutsches Abschiedslied zu uns herüber, und bald lag das Boot der deutschen Sänger, auch mit den wenigen in Maracaibo lebenden deutschen Frauen am Bord, an der Langseite unseres Schiffes. Während wir uns nochmals die Hände drückten, stiegen von einem auf der Rhede liegenden deutschen Schiffe Leuchtkugeln wie buntfarbige Sterne empor. Jetzt trennte sich das Boot von uns und wieder erklangen die kräftigen Männerstimmen. Ein leichter Wind schwellte die inzwischen gehobenen Segel unseres Schiffes; weiter und weiter wurde die Entfernung von unseren Landsleuten, bis bald der heimathliche Sang verhallte und die letzten Lichter da drüben am Lande nur matt den liebgewonnene Ort bezeichneten. Endlich war alles dunkel; und noch einmal riefen wir den Zurückbleibenden mit kräftigen Stimmen über die Wellen ein herzliches Lebewohl zu.




Blätter und Blüthen.


„1870 bis 1871. Vier Bücher deutscher Geschichte“. So nennt sich Johannes Scherr’s jüngstes (bei Otto Wigand in Leipzig erschienenes) Werk, dessen zwei Bände den Freuden des akademisch approbirten Geschichtsstils manchen erneuerten Wehruf entlocken werden wegen des Mangels an würdesteifer Gemessenheit und sogenannter „objectiver“ Haltung. Allerdings spricht und blickt uns aus Art und Ton dieses Buches wiederum das unverkennbare Charaktergepräge, die stark markirte Geistesphysiognomie des Autors an, der es geschrieben hat. Im Uebrigen braucht man jedoch nur etwas schärfer hineinzusehen, um sich zu überzeugen, daß hinter aller publicistischen Stilfärbung, hinter aller Eigenart eines bald schneidig, bald herzwarm oder derbhumoristisch aufblitzenden Stimmungs- und Gesinnungsausdrucks auch in diesem neuen Werke Scherr’s alle jene Merkmale einer kernhaften „Objectivität“ und Sachlichkeit sich finden, welche seine bisherigen historischen Arbeiten meist so unangreifbar gemacht – vor Allem also der zielbewußte, fest durchgeführte, von unbestechlichem Wahrheitssinn geleitete Plan, dabei eine hohe Reife und Beweiskraft der Urtheile und Auffassungen, und endlich die sauberste und sorgfältigste Gründlichkeit in der kritischen Prüfung der Thatsachen, der Sichtung und Bemeisterung eines ungeheuren Materials.

Schon der Anlaß zu der umfassenden Schöpfung ist sichtlich nicht

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