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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Wort hinwarf. Ganz anders dagegen verhielt es sich mit der Dame, die mit den beiden Kindern und ihren schwarzen Untergebenen in den ursprünglich angewiesenen Logirräumen verblieben war. Dieser weltfremden Erscheinung gegenüber kämpfte in den Leuten fortwährend der Widerstreit zwischen dem unwillkürlichen Unterwerfungstrieb und der Geringschätzung, mit der Bedientenseelen auf Verarmte herabzusehen pflegen. Sie sprach nie mit ihnen; das leichte Kopfneigen, mit welchem sie ihren Gruß erwiderte, war noch viel stolzer, als das der verreisten „Gnädigen“. Man haßte sie dafür, und doch stellten sich Alle in Positur, und das Plaudern und Schwätzen in der Flurhalle verstummte, wenn sie durch den Corridor kam im schwarzen Spitzenkleide, das den blaßgelben Ton der Schultern durchleuchten ließ; sie war bei aller Zartheit und Biegsamkeit der Gestalt dennoch eine wahrhaft majestätische Frau, ein junges, blendend schönes Weib, das mit verdüsterten Augen voll finsteren Ernstes in die Welt blickte. Es kam auch keiner der einheimischen Domestiken in die Appartements, die sie bewohnte; sie ließ sich ausschließlich von ihren Schwarzen bedienen, und nur am ersten Abend war Mamsell Birkner in das Schlafzimmer beschieden worden, um sich von Deborah das Bettzeug des Hauses zurückgeben zu lassen. Sie war dann ganz consternirt und wie geblendet in das Souterrain gekommen und hatte erzählt, daß die Dame unter weißatlassener Steppdecke und zwischen Spitzengarnituren schlafe, wie sie die Gnädige kaum auf ihren Staatskleidern habe; der Toilettentisch funkele von Gold- und Silbergeräth, und sie wollte darauf schwören, daß auf dem Rahmen des Handspiegels und auf allen Kästchen und Büchschen Edelsteine seien, so viel echte Edelsteine, wie man sie in allen Sammetetuis der Gnädigen mit dem besten Willen nicht zusammenlesen könne. „Wer’s glaubt, Mamsellchen! Echte sind’s ganz gewiß nicht – höchstens böhmische,“ hatte der Bediente Robert gesagt. „Na, und wenn auch! Die Gnädige sagt, die Leute hätten ihr Hab und Gut im amerikanischen Kriege verloren; möglich, daß sie die paar Kostbarkeiten aus dem Unglück gerettet haben – aber auf wie lange denn? Wenn wir die Gesellschaft nicht mehr ernähren – und bis in alle Ewigkeit können sie doch nicht im Schillingshofe bleiben – da wird wohl ein Steinchen nach dem anderen ‚flöten gehen’, man will doch essen! Geld haben sie nicht – das steht bombenfest. Paßt auf, wir müssen immer und immer wieder auslegen, und es wird so lange auf Regimentsunkosten gezehrt, bis – die Gnädige kurzen Proceß macht!“

Der Bedientenzorn aber wurde noch mehr herausgefordert, als am Tage nach der Ankunft ein Flügel in das Haus getragen wurde, den Frau von Valmaseda über das Meer herüber „mitgeschleppt“ hatte. „Ein Hund und ein Clavier im Schillingshof“ – zwei Verfehmte, denen absolut kein Zutritt gestattet war! Man konnte kaum den Moment erwarten, wo die Frau Baronin zurückkommen und die Bescheerung finden würde – das gab einen Hauptspaß. Ein besonderes Aergerniß war auch die Verschwiegenheit der mitgekommenen Domestiken. Den Schwarzen, die ein ziemlich gutes Deutsch sprachen, schien sofort jegliches Verständniß abzugehen, wenn auf die Verhältnisse ihrer Herrschaft jenseits des Meeres angespielt wurde; sie hatten nicht einmal ein „Ja“ oder „Nein“ auf dringlich gestellte Fragen, und die Kammerjungfer Minna, die ihrer Herrin auf Tod und Leben ergeben war, ließ sich auch nicht die mindeste Auskunft ablocken. Sie hatte nur einmal auf die Frage nach dem Gemahl der Frau von Valmaseda geantwortet, daß die Dame so gut wie nicht verheirathet gewesen sei. Ihr Bräutigam sei im Kampfe gefallen und habe sich eine Stunde vor seinem Tode durch den Feldgeistlichen mit ihr trauen lassen. Das machte die jungfräuliche Wittwe freilich interessant in den Augen des männlichen Personals, und die weichmüthige Mamsell Birkner weinte bittere Thränen über das tragische Geschick, aber Keines hätte gewagt, darauf hin die Dame näher zu mustern – man fürchtete sich förmlich und zog sich scheu zurück, wenn sich das schöne Frauengesicht im Vorübergehen plötzlich zur Seite wandte und den Blick der sammetschwarzen Augen flüchtig und wie Eis kältend über die Dastehenden hingleiten ließ.

Sie verließ nur einmal des Tages ihre Räume, um sich in dem Theile der Platanenallee zu ergehen, der den großen Garten durchschnitt; im Vorgarten war sie noch nie gesehen worden, so wenig wie sie sich dem Atelier näherte. Manchmal war es, als zöge es den rasch wandelnden Fuß gewaltsam dort hinüber, wo hinter breiter Glaswand das leuchtende Grün wohlbekannter Blattformen, von springenden Wasserstrahlen wie von Silberpfeilen durchzuckt, herüberwinkte, aber es war, als zähle sie die Platanenstämme, so pünktlich kehrte sie stets an derselben Stelle um. Und der Herr des Schillingshofes respectirte streng die unsichtbare Schranke, hinter welcher sich die Tochter der Tropen voll Widerwillen vor der Berührung des Deutschthums isolirte. Er vermied die Begegnung; für ihn schien ja mit dem Einzuge der Kinder in sein stilles, ödes Haus das Morgenroth eines neuen Lebens aufgegangen zu sein – die Staffelei stand verwaist und die Farben auf der Palette trockneten. – „Das müßte die Gnädige sehen!“ zischelten die Leute des Hauses unter einander, wenn sie ihn, die kleine Paula auf dem Arme, durch den Garten gehen sahen. Das Kind grub die Händchen in seinen schönen, krausen Kinnbart und schmiegte zutraulich das blonde Gelock an sein braunes Antlitz, und er hob sie hoch im Gebüsche und ließ sie in die Vogelnester sehen, oder er ließ mit José um die Wette flache Kiesel über den Teichspiegel springen, und in den Kinderjubel hinein klang sein frisches, heiteres Lachen. „Wie man nur so lachen kann, wenn man eine solche Nachteule zur Frau hat!“ murmelte dann Lucile ganz erbittert, wenn sie in der Allee an ihrer Schwägerin vorüberhuschte....

Die Nachmittagssonne brannte heiß, aber unter den Platanen war es so schattig, daß Donna Mercedes den kleinen Sonnenschirm zusammenfaltete und ihn auf den nächsten Gartentisch warf. Sie war heute der Tageshitze wegen in ihrem Morgenkleide von dünnem, indischem Muslin verblieben. In diesem weichen, schleierartig um die Glieder schwebenden Gewebe, das durch sein Mattweiß dem blaßgelben Teint einen entschiedenen Bronzeglanz und dem über den Nacken fallenden, in einem Netze gebändigten Haar die Schwärze der Rabenfeder lieh, mochte die finsterblickende Frau recht wohl als der Typus jener in sybaritischem Luxus grenzenlos verwöhnten „Plantagenfürstinnen“ gelten, von denen man behauptet, daß die elfenhaft schwebenden Füßchen ohne Bedenken über hingestreckte Sclavenleiber wie über den Teppich zu schreiten verstünden, während in den schmächtigen Händen eine fast männliche Kraft schlummere, die urplötzlich zur energischen Züchtigung Mißliebiger hervorbreche.

Sie ließ heute den Blick freier aber den Garten hingleiten – kein zudringliches Auge war zu scheuen; von der Dienerschaft ließ sich Niemand sehen, und der Herr des Schillingshofes war vor einer Weile durch den Vorgarten nach der Stadt gegangen.

Vor der dunklen Fichtengruppe, an deren Zweigen hellgrüne Triebe wie Fransen schaukelten, blendete die weiße Wand des Ateliers, und aus den Scheiben des anstoßenden Glashauses sprühte das zurückgeworfene, heiße Sonnengold. An den unverkünstelten Rosenhecken brachen zu Tausenden die vollen, schweren Centifolienblüthen auf; Gänseblümchen, gelbe Butterblumen und dickköpfige, rothe Kleeblüthen wogten mit dem fetten, hochaufgeschossenen Wiesengrase als buntfarbige Wellen unter dem leichte Sommerwind; Feldthymian und Lavendel dufteten, und die kleine, rasch dahinfließende Wasserader, die den Teich speiste, säumte ein blauer Vergißmeinnichtstreifen. Und weit drüben – der fernblickende Teichspiegel lag dazwischen – erhob es sich undurchdringlich grün wie wildes Dickicht; das war der Zaun des Klostergartens. Stattliche Obstbaumwipfel, aber kein einziger Zierbaum, stiegen hinter ihm auf; dort roch es kräftig nach Bohnenkraut, Dill und Krauseminze, und ganze Schaaren weißer Schmetterlinge kamen über die grüne, struppige Wand, um sich an den Sommerblumen der Beete zu letzen.

Dieses entsetzliche Klostergut! Man sah die windschiefen, bemoosten Ziegeldächer der Hintergebäude; aus den offenen Luken guckten Stroh- und Heubüschel, und da, wo nicht das Blätternetz am Weinspalier mitleidig die Wand bedeckte, war der Kalkbewurf abgefallen und ließ die nackten Bruchsteine sehen. Man hörte, wenn auch schwach, aber doch in widerwärtiger, nervenangreifender Wiederholung das Krähen der Haushähne herüber, Taubenschwärme flogen geräuschvoll ab und zu, zankten und bissen sich auf den Firsten, und aus schwer zugänglichen Giebelvorsprüngen flog Dohlengesindel in die Luft. Das Alles war urdeutsch; ebenso der einfache, ungekünstelte Hausgarten des Schillingshofes, und der Wind, der, den Duft blühenden Kornes und quellenden Tannenharzes im Athem, warm und doch mit scharfwürziger Herbe an

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_395.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2016)