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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


hetzende Geschöpfchen dicht an die schweigende Dame im Fensterbogen heran und suchte einen Blick zu erhaschen.

„Wir gehen doch nun selbstverständlich nach Berlin – ja, Mercedes?“ fragte sie mit bittender, schmeichelnder Stimme. „Es bleibt uns absolut nichts anderes übrig. Felix wollte eine deutsche Erziehung für die Kinder; nun, die können sie ja nirgends besser haben – urdeutsch sage ich Dir! Und für mich wäre das ein Glück, ein Glück!“ sie preßte die Hände auf die Stirn, als befürchte sie, vor Seligkeit den Verstand zu verlieren. „Die Großmama ist zwar todt, und Mama hat den Streich gemacht, sich von einem Starosten in’s Blaue hinein entführen zu lassen, aber ich habe so viele Freunde dort, so Viele, die damals für mich geschwärmt haben – ach, mein Gott, ich glaube, ich könnte mich sogar freuen, den unausstehlichen alten Gecken, den Fürsten Konsky, wiederzusehen. Wir reisen natürlich gleich mit dem ersten Zug morgen? Weißt Du, ich persönlich mache mir nicht so viel draus,“ sie schnippte mit den feinen Fingern in der Luft, „ob diese entlaufene Nonne mich zu beleidigen sucht oder nicht; ich schüttle die heimtückischen Nadelstiche ab und amüsire mich dabei, aber Du, Du?“

Es drängte sich bei diesen Worten ein leidenschaftlicher Ausruf auf die Lippen der jungen Frau, die bisher mit starren Augen unbeweglich in den Vorgarten hinausgesehen hatte. Sie war sehr bleich, und an ihrer unruhig athmenden Brust sah man, daß die widerstreitendsten Empfindungen nach einem Ausbruch rangen, aber nichts schien dieser Frau ferner zu liegen, als intime Erörterungen oder ein Meinungsaustausch mit dem quecksilbernen Wesen, dessen überstürzte Plauderei ihr den eigenen Gedankengang störte.

„Nun, Mercedes?“ drängte die kleine Frau wie athemlos, und ein grelles Feuer leuchtete in den schönen, intensiv grünschillernden Augen.

„Wir bleiben. Ich bin über das Meer gekommen, um den letzten Wunsch meines Bruders zu erfüllen, und das will und werde ich.“

Lucile wandte sich um, lief an dem verblüfften Bedienten, der eben mit dem verlangten Glas Wasser eintrat, vorüber in das anstoßende Zimmer und warf die Thür schmetternd zu, um hinter ihr, nach alter Gewohnheit, gegen ihre Kammerjungfer und Vertraute das tieferbitterte Herz auszuschütten.




15.

Der Schillingshof hatte in wenig Tagen eine ganz andere Physiognomie angenommen. Die Vorübergehenden mäßigten meist ihre Schritte, wenn sie in die Nähe des Eisengitters kamen, um bequem und mit Muße das fremdartige Leben und Treiben vor dem Säulenhause beobachten zu können.

Zuerst hatten wohl die zwei Farbigen die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Jak, ein starkgebauter Mann von der schönen, glänzend schwarzen Negerrace, wie sie an den Ufern des Senegal lebt, schien die Säulenhalle zu lieben; er konnte stundenlang an einem der schlanken, weißen, akanthusgekrönten Schäfte lehnen und vergnüglich den mächtigen Fontainenstrahlen zusehen, wie sie hoch in die Lüfte sprangen und als Diamantengefunkel niederstäubten; oder er streute den dreisten Sperlingsschaaren Krumen auf die Steinstufen, während die dicke Deborah im geblümten Perkalkleide und ein kokettes Mullhäubchen mit grellbunten Schleifen auf dem Wollhaar, durch den Vorgarten watschelte und sich oft bis zur Athemlosigkeit mühte, ihr Goldkind, die kleine Paula, im Auge zu behalten, die mit flinken Beinchen dem herumtollenden José und seinem Cameraden, Pirat, nachstrebte.

Diese kleine, laute Gesellschaft war es, die, nachdem der erste frappante Eindruck der „Negersclaven“ verblaßt, das jenseits des Gitters promenirende Publicum immer wieder fesselte. Man war gewohnt gewesen, hier stets in eine vornehme, abgeschlossene Stille hineinzusehen; selten einmal, daß die Frau Baronin, einen Plaid um ihre ewig fröstelnde Gestalt gewickelt, mit nachschleifender grauer Schleppe und hochmüthig fremden Augen in dem grämlich grauen Gesichte, wie ein Schemen zwischen den Bosquets aufgetaucht war – lautlos und mutterseelenallein. Nun flatterte es wie kreisendes Schmetterlingsvolk durch Allee und Buschwerk, bunte Bälle und Reifen flogen in die Lüfte; hier lag ein achtlos hingeworfener Kindersäbel quer über dem Wege, dort versperrte ein im Stiche gelassener Puppenwagen die Passage, und die kleinen Fremdlinge, die so schnell auf deutscher Erde heimisch wurden, waren schön wie Engel, verwöhnt und geschmückt wie Fürstenkinder.

Dann war da ein Wesen, von welchem man nicht recht wußte, ob es in die Species der wirklichen Backfische oder in die jener erwachsenen Mädchen gehöre, die kindliches Gebahren und bezaubernde Naivetät bis in die Zwanzig hinein bewahren. Es kam meist im Geschwindschritt, auf den zierlichsten Füßchen, die Kieswege daher, riß im Vorübergehen Blätter von dem Gesträuche, an denen die kleinen, blitzenden Zähne kauten, und lief ebenso ungenirt mit den hohen, spitzen Absätzen über den kostbaren, ängstlich behüteten Sammetrasen des Parterres, um irgend eine leuchtend weiße Blüthe aus den Blumenrondels zu holen und sie in die Locken zu stecken, oder sie in muthwilliger Zerstörungslust Blatt um Blatt zu zerpflücken. Das sah sich hinter dem Eisengitter an wie eine Bühnenscene voll köstlicher Naturfrische, und die Leute konnten sich nicht satt sehen an dem tollen Geschöpfchen, das sie auch bewunderten, wenn es in der Platanenallee übelgelaunt und gelangweilt zwischen Kissen und purpurseidenen Steppdecken auf einem der Eisenmöbel hingestreckt lag. Dann baumelte gewöhnlich eines der Füßchen aus einem Gewoge von Stickereien, Spitzen und Rockfalbeln und zeigte wie ein Pendel in seinen Tempos die auf- und niedergehenden Gemüthsstimmungen; die Hand rührte fleißig die silberne Tischglocke, und die Kammerjungfer kam auf die Signale hin abwechselnd mit Büchern, Flacons, Shawls und dergleichen aus dem Hause gelaufen, bis meist eine Riesenbonbonnière die Laune verbesserte und auch die spielenden Kinder herbeilockte. Dann knabberten alle die jungen Zähnchen unermüdlich – das war eine allerliebste Gruppe; aber zu denken, daß diese übermüthige, mit den Füßen baumelnde, naschende Pukgestalt die Mutter der beiden Blondköpfchen sei, das wäre Niemand eingefallen – der alten Frau gewiß auch nicht, die seit einigen Tagen so viel am Giebelfenster des Klostergutes erschien. Sie lehnte sich nie hinaus, ja, sie bog kaum den Kopf seitwärts nach dem verhaßten Parterre des Schillingshofes, aber ihre Augen starrten wie magnetisch angezogen mit scheuem Seitenblicke auf die verschlungenen, weißen Wege nieder, und wenn die schlanke Kindergestalt Josés im königsblauen Matrosenanzuge mit dem Hunde um die Wette drunten vorüber jagte und die Laute seiner commandirenden Stimme heraufschallten, da griff die feste, arbeitstüchtige Hand unwillkürlich nach dem stützenden Fensterkreuze, und über das bleiche, kalte Gesicht ergoß sich die Röthe ungläubiger Bestürzung.

Baron Schilling hatte gleich in der ersten Stunde den Befehl gegeben, daß seine Appartements, die nach Süden hinlaufende Zimmerflucht des Erdgeschosses, für Lucile hergerichtet würden, da er vollständig in das Atelier übergesiedelt war, und die kleine Frau war noch an demselben Abende in Begleitung ihrer Kammerjungfer mit „Sack und Pack“ und mit einer Hast eingezogen, als säße ihr das hinter den holzgeschnitzten Salonwänden hausende Gespenst bereits im Nacken.

Nun strömte allabendlich blendender Lichtglanz aus dieser Fensterreihe in die Säulenhalle draußen; denn Lucile duldete kein düsteres Eckchen – sie liebte es, sich in Licht zu baden, wie in den köstlichen Specereien, die das Kammermädchen in das tägliche Bad werfen mußte, und die stets das ganze Haus durchdufteten, und nächst der lauen, würzigen Welle war es nur kühler, seidenweicher Battist, der die subtile Haut des graziösen Tänzerkindes umspielen durfte. Die Füßchen, in denen fortgesetzt die unterdrückte Künstlerschaft prickelte, huschten in atlasgefütterten Pantöffelchen durch’s Haus, und in den feinen Hals hinab flossen feurig süße Weine in so respectablen Quantitäten, „als gäbe es auf der Gotteswelt nichts Anderes, den Durst zu löschen,“ sagte der Bediente Robert immer ganz empört und doppelt zornig, weil Baron Schilling auf Mamsell Birkner’s Anzeige hin sofort für Küche und Keller die kostspieligsten Anschaffungen aus seiner Tasche bewerkstelligt hatte, einzig und allein um – dieser spanischen Bettelgesellschaft willen.

Trotz alledem hatte auch die Dienerschaft des Schillingshofes, wie die Spaziergänger hinter dem Eisengitter, ihr Wohlgefallen an der übermüthigen, kleinen „gnädigen Frau“, die ihnen stets im Vorübergehen einen muthwilligen Scherz, ein schäkerndes

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