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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

fragte Leonhard mit seiner scharfen Stimme – „einen Brief von Deinem Rudolph?“

„Ja! Er kam mir sehr überraschend.“

„Du hast einen Brief von Deinem Manne?“ fragte der alte Herr und sah sie verwundert an – „und davon sagten Du mir nichts?“

„Ich las ihn noch nicht vollständig, lieber Onkel. Der Ruf zu Dir unterbrach mich.“

„Das thut mir leid, mein liebes Kind. Da geh’ doch gleich auf Dein Zimmer und stärke Dich an der Freude! Du siehst so angegriffen aus –“

„Ja, Du bist seltsam bleich,“ setzte Leonhard, sie fixirend, hinzu. „Der Brief trug keinen amerikanischen Stempel – Dein Mann scheint schon auf dem Heimwege zu sein.“

„Es scheint so,“ sagte das gequälte junge Weib mit schmerzlicher Anstrengung. „Ich möchte jetzt weiter lesen; bitte, beurlaubt mich!“

Und ohne eine Antwort abzuwarten, eilte sie hinaus. Auf ihrem Zimmer sank sie erschöpft in die Kniee; sie rang nach Athem und hob die Hände, wie um Auflösung flehend, gen Himmel. Dann zog sie den Brief aus der Tasche und las ihn mit starren, trockenen Augen vom Anfang bis zum Ende, aber auch nicht der leiseste Schein von Tröstung klärte ihre verstörten Züge auf. Mechanisch erhob sie sich, hüllte sich in ihren Shawl, verdeckte das Gesicht mit dem Schleier ihres Hutes und schlich durch das Haus und die Gartenpforte in’s Freie. Sie ging fort und fort, bis sie den Friedhof und das kleine wohlgepflegte Grab erreichte, in dem ihr Kind ruhte. Dann aber war ihre Kraft dahin; bewußtlos sank sie auf dem kleinen Hügel nieder.

Eine mitleidige Frau, die in der Nähe an einem Grabe weinte, eilte hinzu, als sie die schöne junge Frau wanken und fallen sah. Ihren Bemühungen gelang es bald, sie wieder in’s Bewußtsein zurückzurufen. Ueberrascht erblickte Clotilde sich in den Armen einer Fremden. Ihre trostlosen Augen sagten mehr, als Worte: „O, wär’ ich nie wieder erwacht!“

„Kann ich Ihnen helfen?“ fragte die Frau theilnehmend. „Soll ich Sie begleiten?“

„Wohin?“ murmelte Clotilde leise vor sich hin. „Wieder zurück? Ihnen Rede stehen? Ich kann nicht. Meine gute Frau,“ sagte sie nach kurzem Bedenken, „Sie würden mir einen großen Dienst erweisen, wenn Sie mir zu einer Droschke verhelfen wollten. Ich fühle mich zu schwach zum Gehen.“

„Man glaubt es Ihnen schon, liebe Dame, so bleich wie Sie sind. Sie sollen nicht lange warten; dort in der Nähe ist eine Haltestelle.“

Die Fremde ging. Als sie fort war, nahm Clotilde eine kleine Karte aus ihrem Taschenbuch und schrieb ihrem Oheim einen Abschiedsgruß:

„Ich fühle mich so krank, daß mich die Sehnsucht nach der Pflege meiner treuen Hanna heimwärts treibt. Verzeih mir das abschiedslose Davongehen, theurer Onkel! Die Stunde drängt. Bald mehr von Deiner Clotilde.“

Mit einem Geldstück gewann sie die freundliche Frau, daß sie dieses Lebenszeichen ihrem Oheim überbringe, während sie sich ohne Säumen zum Dresdener Bahnhof begab. – –

Als der Morgen graute, stand sie bebend vor ihrer stillen Behausung und klopfte mit schwachen Fingern an das Fenster ihrer Hanna. Die Alte schaute mit verschlafenen Augen durch die Scheiben und schlug vor Schreck die Hände zusammen.

„Herr du meines Lebens!“ rief sie, als sie noch im Nachtgewand die Hausthür öffnete, „was hat das zu bedeuten?“

„Ich erkläre Dir Alles, Hanna, ein ander Mal. Hilf mir jetzt schnell in’s Bett! Mir ist zum Sterben elend.“

„O du mein Himmel, du mein Himmel, was haben sie dort aus meiner Herzens-Frau gemacht!“ jammerte die Alte, während sie mit sanfter, geschickter Hand die im Fieberfrost zitternde junge Frau zur Ruhe brachte.

Die Sorgfalt ihrer treuen Pflegerin that Clotilden unsäglich wohl. Die Erstarrung begann sich zu lösen, und ein heißer Thränenstrom befreite ihre Brust. Aber ihre Lippen blieben geschlossen, und keine Menschenseele ahnte, was dieses edle Herz so tief verwundet hatte.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Das öffentliche Vortragswesen gewinnt gegenwärtig in unserem Vaterlande immer mehr an Ausdehnung und Bedeutung; die Pflege desselben lassen sich vorzüglich die Bildungsvereine, unter denen die ganz Deutschland umfassende „Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung“ obenan steht, und die kaufmännischen Vereine angelegen sein. In unseren Tagen der plattesten Nützlichkeits-Religion, wo die heilige Scheu vor dem Unerforschlichen, die Achtung vor dem Erforschten, vor den großen Errungenschaften des menschlichen Geistes tiefer und tiefer sinkt, wo Egoismus und Nihilismus nach der obersten Führung der Gesellschaft streben, wird es zur doppelten Pflicht, den auf das Höhere gerichteten Sinn wahren Menschenthums zu stützen. Dazu kommt etwas Anderes. Es bleibt bei dem jetzigen hohen Stande unserer Schulen geradezu unbegreiflich, welche Unkenntniß betreffs der einfachsten Dinge auch in den sogenannten „gebildeten Kreisen“ herrscht. Man frage nur einmal nach den täglich erschauten Vorgängen in der Natur, nach großen geschichtlichen Ereignissen, selbst den kaum vergangenen, miterlebten, und man wird über die Unwissenheit und die auf ihr basirende Oberflächlichkeit des Urtheils erstaunen. Dieser Gegensatz zu den vermehrten und für die Jugend sorgsam gepflegten Bildungsmitteln erhält nur dadurch eine Erklärung, daß das Berufsgeschäft, das Streben nach materiellem Gewinn die Thätigkeit des Einzelnen völlig absorbirt und ihm keine Zeit oder keinen Trieb mehr läßt, sich mit dem zu befassen, was ihm in seiner „Branche nichts nützt“. In beiderlei Hinsicht können die öffentlichen Vorträge, wenn sie richtig gehandhabt werden, Abhülfe schaffen. Aber die passenden Redner für diese Vorträge sind auch in der Gelehrten- und Künstlerwelt nicht allzu häufig, und die Aufgabe, welche den verschiedenen Vereinen erwächst, die nothwendigen oratorischen Kräfte in genügender Anzahl und rechtzeitig zu beschaffen, ist darum keine eben leichte. Zur bequemeren Lösung dieser Aufgabe beginnen jetzt die Vereine sich zu verbinden; es wird ihnen dadurch möglich, den Rednern einen größeren Cyclus zu garantiren und sich selbst durch die Aneinanderreihung der Vorträge von Stadt zu Stadt die Reisespesen zu verringern. So haben in den Städten der Rheinlande und Westfalens (Bonn, Köln, Crefeld, Dortmund, Elberfeld etc.) die „Vereine für wissenschaftliche Vorlesungen“ sich zu einem Verbande zusammengethan und zeigen sich durch die Resultate ihrer vereinten Bemühungen sehr zufriedengestellt.

Ein anderer Verband, in der Art des vorgenannten, „für Mitteldeutschland“ ward vor einigen Jahren gegründet und hat, Dank vor Allem der rastlosen und aufopfernden Thätigkeit des Verbandsvorsitzenden Edmund Lotz in Kassel, in der kurzen Zeit seines Bestehens eine solche Ausdehnung gewonnen, daß er gegenwärtig allein dreiundzwanzig kaufmännische Vereine umfaßt. Am 22. Juni dieses Jahres hält dieser „Mitteldeutsche Verband von Vereinen für öffentliche Vorträge“ auf der Veste Coburg seinen dritten Verbandstag ab, und sind zu letzterem zahlreiche Einladungen an andere Vereine ergangen. Auf der Conferenz sollen neben dem ständigen Programm noch die Fragen der Erweiterung des Verbands zu einem „Deutschen Verband“, eventuell unter Centralisirung des Stellenvermittelungswesens, sowie die Errichtung einer Altersversorgungscasse für Mitglieder von Verbandsvereinen berathen werden, Tedenzen, welchen wir unsererseits nur gute Erfolge wünschen können.




In der Kirche. (Vergleiche das Bild auf Seite 381) Der Frühling ist die holdeste, aber er ist zugleich die für das menschliche Leben gefährlichste Jahreszeit. Wie häufig fällt der Ausspruch: der – oder die – wird das nächste Frühjahr nicht überleben, namentlich im Hinblick auf jene Hoffnungslosen mit den Rosen des Todes auf den Wangen, in deren sich verzehrendem Organismus der Hauch des erwachenden Naturlebens die fressende Flamme zu rascherer Vernichtung aufstürmt! Wie manches einst beglückte Frauenbild mag der eben erwachte Frühling in die dunklen Farben der Trauer gekleidet haben, wie das junge, blühende Weib in der stillen, versteckten Kirchenecke auf unserem Bilde sie trägt, deren ernste Züge das Helldunkel so reizvoll verklärt. Das Leben ist voller Gegensätze: hier der Tod, dort eine Welt voll springender Knospen; hier der Schmerz und dort die Frühlingslust; hier eine kühle, ernste, verhüllende Kirche, dort die weite lachende Natur, in der Alles quillt und zum Licht drängt. Ob ohne diese Gegensätze das Dasein begehrenswerther wäre? Eine dunkle Frage, die Niemand gelöst hat und Niemand lösen wird.


Kleiner Briefkasten.

M. D. in St. Natürlich eine Unachtsamkeit! General von Goeben ist nicht commandirender General des siebenten, wie es in dem Artikel „Das Sommerheim der Kaiserin“ in unserer Nr. 20 heißt, sondern des achten Armeecorps. Daß dem Pavillon irrthümlich Einrichtungen der Trinkhalle zugeschoben sind, verschuldete eine Unklarheit im Manuscript.

R. Westphalen. Ungeeignet! Verfügen Sie über das Manuscript!

D–i L. K–n. Als nicht verwendbar dem Papierkorb übergeben.

A. N. in E. Geben Sie gütigst die gewünschten Hefte und Nummern der betreffenden Jahrgänge an!

D. F. in München. Ungeeignet.

Th. St. in Ulm. Dr. E. Rey, Naturalienhandlung in Leipzig.

W. G. und E. O. in Bremen. B. J. in Berlin. Wie wir bereits nachgewiesen, ist das bewußte Heilverfahren nichts als eine schamlose Speculation auf die Leichtgläubigkeit der leidenden Menschheit. Also, wenn wir rathen dürfen: keinesfalls!


Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_392.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)