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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

„Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein!“ rufen wir aus, wenn wir einen Roman von Friedrich Spielhagen in die Hand nehmen: da ist doch keine trockene Pastellmalerei, da ist frische Farbengebung; freilich, wie bei Jensen, oft ein Zuviel der sich überstürzenden Ereignisse, ein übersprudelnder Phantasiereichthum. Im Vergleich mit Freytag kann man jedem dieser beiden Dichter zurufen, was Schiller in seinem Distichon Jean Paul zuruft:

„Hieltest du deinen Reichthum nur halb so zu Rathe, wie Jener
    Seine Armuth, du wärst uns’rer Bewunderung werth!“

In die meisten Romane Spielhagen’s rauscht ja das baltische Meer herein, auf dessen sturmbewegte Wogen wie auf den friedlichen Spiegel der geglätteten Fluth die Fenster Ihres Schlosses schauen. Das Localcolorit dieser Romane muß für Sie etwas durchaus Anheimelndes haben; es ist in der That von großer Treue und intensiver Färbung. Wenn die Schöpfungen eines Dichters so mit dem heimathlichen Boden verwachsen sind, so liegen in der That darin die starken Wurzeln seiner Kraft. „Die Sturmfluth“ freilich, die über die pommersche Insel dahinbraust, war zugleich ein Sinnbild der gesellschaftlichen „Sturmfluth“, welche zur Zeit der Gründungen über alle Dämme des wirthschaftlichen Lebens brach. Sie kennen das geniale Zeitgemälde, welches diese geistreiche Parallele zwischen den elementarischen Gewalten der Natur und der Gesellschaft zieht und in den beiden großen Katastrophen der Handlung auslaufen läßt … schade, daß diesem Romane der eigentliche Held fehlt, daß an seine Stelle gesellschaftliche Gruppen treten.

Dies ist anders in dem Romane „Plattland“, den man eigentlich einen biographischen Roman nennen könnte; es passirt in demselben alles nur in Gegenwart des Helden oder wird ihm erzählt. Der ganze Roman könnte als Schilderung des Selbsterlebten von ihm vorgetragen werden, hätte sich der Autor entschlossen, ihn in der ersten Person sprechen zu lassen. Das würde der Darstellung große Lebendigkeit geben, aber es hat auch seine Schattenseiten. Wir werden nicht so in das innere Leben der anderen Charaktere eingeführt, wir sehen alles nur mit den Augen des Helden. Und diese Charaktere des Romans haben zum Theil etwas Räthselhaftes, wie die kleine Sphinx Maggie, deren Motive man sich mühsam zusammenbuchstabiren muß, statt sie vom Blatt zu lesen, und dabei bleibt immer am Schluß noch etwas Unerklärliches übrig.

Außer dem Helden stehen im Vordergrunde des Romans zwei urwüchsige pommersche Gutsbesitzer, Hünengestalten von eigenthümlicher Romantik. Die beiden Zempins, der Eine ein Vogelsteller mit Anwandlungen des Irrsinns, der Andere ein burschenschaftlicher Romantiker, aber zerfahren, wüst, Freund des Trunkes und Don Juan, in zerrütteten Vermögensverhältnissen lebend. Die Töchter des Ersteren, die edle Edith und die zaubermächtige, intriguante Maggie, sowie die Frau des Letzteren, die kokette Julie, welche dem Helden gegenüber die Rolle der Potiphar spielt, bilden die Gruppe der weiblichen Charaktere, welcher sich noch die urwüchsige Gräfin von Basselitz mit ihrer schlechten Grammatik und ihrem guten Herzen, und die unglückliche verführte Försterstochter anschließt, die als Selbstmörderin endet.

Etwas wird Ihnen in dem Romane auffallen, verehrte Freundin: das ist die unglaubliche Schnelligkeit, womit der Held, Baron Gerhard, Frauenherzen erobert. Am Abend seiner Ankunft hat er es bereits allen drei Frauen, die ihm begegnen, angethan, und zwei von ihnen lassen ihn darüber auch keinen Augenblick in Zweifel. Diese pommerschen Ladies sind jedenfalls sehr abenteuerlustig, die Spielhagen’schen Helden aber haben alle etwas Unwiderstehliches. Kann der Dichter ihre Liebenswürdigkeit besser schildern, als durch die Wirkungen, die sie ausübt? Das ist ja eine Art und Weise der Schilderung, die schon Lessing empfohlen hat.

Spielhagen weiß spannend zu erzählen; das bewährt er auch in diesem Roman. Man ist im Leben oft der Langenweile ausgesetzt, aber niemals ist diese empfindlicher als dann, wenn man die Absicht und das Recht hat, sich zu amüsiren. Das ist in vielen Salons und in vielen Romanen der Fall: man kann geistreich sein und doch langweilige Romane schreiben, wenn ihnen die Spannung fehlt. Wie viele berühmte Classiker von heute habe ich oft verzweifelt in die Sopha-Ecke geworfen! In „Plattland“ wird die Spannung nach allen Regeln der Romandichtung durch ein dunkles Ereigniß der Vergangenheit hervorgerufen, das immer mehr in den Brennpunkt unserer Theilnahme rückt, auf das immer mehr erhellende Strahlen von allen Seiten fallen. Das geheimnißvolle Romangesicht des schweigsamen Vadder Deep, die Melancholie des Försters weisen auf diese dunkle That hin: der Vater der beiden Zempin’s hat sie in Gemeinschaft mit ihnen vollführt; sie haben zwei Officiere in französischen Diensten, darunter einen Deutschen, getödtet und sich ihrer Kriegscasse bemächtigt: daher stammt das Vermögen der Zempin’s. Der deutsche Officier war Gerhard’s Großvater. Mit den Enthüllungen überstürzen sich indeß die Ereignisse am Schluß: Entführung, Mord und Brand, wenn auch gerade keine politische oder baltische Sturmfluth zu den beliebten Massenkatastrophen anderer Spielhagen’scher Romane führt. „Plattland“ ist eine Idylle mit criminalistischem Hintergrund und hat keine tiefgreifende sociale Tendenz, sondern nur die moralische: „Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sicher.“

Nur noch wenige Worte, verehrte Freundin, über meine eigenen beiden Romane. Sie haben dieselben gelesen, schon aus dem Pflichtgefühl der Freundschaft; ich kenne Ihr Urtheil nicht, und doch weiß ich, wenn Sie mein einziges Publicum wären, dürfte ich meinen Proceß vor dem kritischen Tribunal für gewonnen halten. Mein Roman „Welke Blätter“ spielt auch an den Gestaden des baltischen Meeres, doch weiter nordöstlich, wo es sich an den samländischen Küsten bricht. Es sind ostpreußische Lebensbilder aus meiner Jugendzeit, aus der Zeit jener liberalen Bewegung, welche für ganz Deutschland die politische Sturm- und Drangperiode war. Einige Persönlichkeiten haben mir Modell gesessen, aber nur zu freier poetischer Behandlung, alle Ereignisse des Romans aber sind selbsterfunden, auch der träumerische Held desselben, dem so oft Mangel an Energie vorgeworfen wurde; doch kann man nicht auch Hamletnaturen zu Helden wählen? Die Tendenz des Romans war, nachzuweisen, wie die „welken Blätter“ der Vergangenheit oft die Blumen der Gegenwart verschütten. Die Betheiligung des Helden an der pietistischen Gemeinde Königsbergs und ihren sittlichen Licenzen ist ein Hemmniß für die politische Laufbahn, die er geläuterten Sinns sich erwählt, und eine voreilige Ehe mit einem Unwürdigen, welche die Heldin, die gefeierte Sängerin, geschlossen, treibt sie zu bedenklichen Schritten. Auf dem Felde der That finden sich die Getrennten wieder, und im fernen Asien suchen sie eine neue Heimath. Die humoristischen Strandbilder, die Sittenschilderungen aus dem Kreise des ostpreußischen Gutsbesitzerlebens dürfen auf Wahrheit und Treue Anspruch erheben, mindestens im Punkt des Zeitcolorits. So war das Leben in jener Epoche.

Was meinen geschichtlichen Roman „Im Banne des schwarzen Adlers“ betrifft, so spielt die Handlung desselben zur Zeit des ersten schlesischen Kriegs und kurz vor demselben. Der Held ist ein Adliger, der bei einem Besuche in Rheinsberg, wo er den jungen Kronprinzen Friedrich und seinen geistreichen Kreis kennen lernt, zu den Fahnen des schwarzen Adlers schwört, hingerissen von dem Zauber der Musen und Grazien, welche dort heimisch sind, und von dem freien Geist des Denkens und Wollens, der mit dem dumpfen, auf seinem heimathlichen Schlesien lastenden Drucke in so auffallendem Widerspruche steht. Durch Zufälligkeiten, deren Beweiskraft er nicht zu entkräften vermag, in den Verdacht gerathen, ein österreichischer Spion zu sein, scheidet er von Rheinsberg mit der Ungnade des Prinzen. Später hat Friedrich den Thron bestiegen und rückt in Schlesien ein; die Verhandlungen mit Breslau, das sich nach altem Rechte für neutral erklärt, die Agitation in der Stadt zu Gunsten der Preußen, die Schlacht bei Mollwitz, die gewaltthätige Besetzung der schlesischen Hauptstadt, die Verschwörung der Frauen und Geistlichen zu Gunsten der Oesterreicher: das sind die geschichtlich überlieferten Thatsachen, welche für die frei erfundenen Erlebnisse den Hintergrund bilden. Arthur’s Unschuld wird nachgewiesen; er tritt in preußische Kriegsdienste, kämpft tapfer bei Mollwitz mit und steigt in der Gunst des Königs. In Rheinsberg hat er die anmuthige, geistig bewegliche Agnes von Walmoden kennen gelernt, welche für Friedrich und Preußens Sendung begeistert ist; er sagt sich von der schönen, bigotten Isabelle von Poparell los, welche für Maria Theresia und Oesterreich schwärmt und jetzt in den Händen der Jesuiten ist, denen sie auch zum Opfer fällt. Die Tragödie des verfolgten Schwenckfelder Predigers

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_388.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)