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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


mit einer auserlesenen Bibliothek, deren Inhalt für die wissenschaftliche Bildung des Doctors sprach. Ringsum die Zeugnisse, wie der moderne Wucherer eine gefällige Maske trägt und sein schmutziges Treiben unter einer glänzenden Hülle verbirgt. Der alte „Harpagon“ im abgetragenen Rock, mit den stechenden Blicken, den eingefallenen Wangen, der Geiernase, den gekrümmten Händen und langen Nägeln ist dem respectablen Biedermann, dem eleganten Roué in feiner Toilette und mit guten Manieren gewichen. Die Seelenverkäufer und Halsabschneider sind salonfähig geworden und bewegen sich in der besten Gesellschaft, wenn sie nur den äußeren Schein zu wahren und jede unangenehme Collision mit dem Staatsanwalt zu vermeiden wissen.

Aus diesen nahe liegenden Betrachtungen wurde ich durch den Eintritt des Herrn Doctor geweckt, der mich mit der ihm eigenen Liebenswürdigkeit begrüßte und mich einlud, an seiner Seite auf dem bequemen Divan Platz zu nehmen. Wie er mir jetzt gegenüber saß in dem kurzen Jaquet, unter dem das schneeweiße Oberhemde und die Brillantknöpfe hervorblitzten, mit der behaglichen Wohlbeleibtheit der untersetzten Figur, mit dem runden, glatt rosigen Gesicht, den frischen, kecken Augen, dem verbindlichen Lächeln um den feinen Mund, mußte er jedem oberflächlichen Beobachter als der Typus und das Muster eines liebenswürdigen, guthmüthigen und geistvollen Lebemannes erscheinen.

Bevor ich noch zu Worte kommen konnte, überhäufte er mich mit einer Fluth von Artigkeiten und Complimenten über meine bescheidenen schriftstellerischen Leistungen, wobei er selbst eine wirklich bewunderungswürdige Kenntniß der Literatur und viel Urtheil entwickelte. Fast vergaß ich über seine interessante Unterhaltung den eigentlichen Zweck meines Besuches, bis eine kleine Pause eintrat, die ich dazu benutzte, um mich meines Auftrags zu entledigen. Ohne aus der Fassung zu gerathen, sah er mich verwundert an und sagte dann leichthin: „Sie werden mir einen Gefallen erweisen, wenn Sie sich wegen dieser Lumperei an meinen Rechtsanwalt wenden wollen. Ich bin in Geschäften so unerfahren wie ein neugeborenes Kind.“

„Dann wundere ich mich nur, daß ein gewisser Herr Schwalbe, mit dem Sie in Verbindung stehen, mich an Sie gewiesen hat –“

„Das muß ein Irrthum sein. Ich kenne keinen Herrn Schwalbe. – Wer ist dieser Mensch?“

„Ihr Strohmann!“ versetzte ich, empört über eine solche Unverschämten „Der arme, unglückliche Schwalbe muß für Sie und Ihren würdigen Compagnon die gebratenen Kastanien aus dem Feuer holen und für einen Sündenlohn Ihnen als Prügeljunge dienen.“

„Ich verstehe nicht –“

„Ersparen Sie sich die unnöthige Mühe, mich täuschen zu wollen! Sie sehen, daß ich genau von Allem unterrichtet bin und Ihr Treiben hinlänglich kenne.“

„Mein Herr! Ich muß Sie dringend bitten –“

„Danken Sie Gott,“ unterbrach ich ihn heftig, „daß mich die Rücksicht auf meinen Freund und den armen Schwalbe nöthigt, Sie zu schonen. Wenn Sie sich aber weigern sollten, meinen Vorschlag anzunehmen, so gebe ich Ihnen mein Wort –“

„Sie brauchen sich nicht wegen einer solchen Bagatelle so zu ereifern. Geben Sie die Hälfte, und ich bin zufrieden. Sie sehen, daß ich im Grunde eine gute Seele und ein anständiger Kerl bin. Kein vernünftiger Mensch kann es mir verdenken, daß ich mir mein Capital verzinsen lasse. Das Geld ist eine Waare wie jede andere und richtet sich nach Anfrage und Angebot. Es giebt keinen Wucher, und selbst unsere Gesetzgebung hat mit den alten Traditionen gebrochen. Schon Adam Smith –“

In dieser Weise suchte der Herr Doctor mit einem Schwall von volkswirthschaftlichen Phrasen und geistreichen Paradoxen sein schändliches Treiben zu entschuldigen und sich zu rechtfertigen, ohne jedoch seinen Zweck zu erreichen, obgleich ich von Neuem seine Beredsamkeit, seine Kenntnisse und vor Allem seine Unverschämtheit bewundern mußte.

Voll Ekel entfernte ich mich, nachdem ich von dem Doctor gegen Zahlung der ihm angebotenen Summe die Wechsel und Ehrenscheine erhalten hatte. Beides übergab ich dem glücklichen Lieutenant, der es in meiner Gegenwart vernichtete und zugleich mir feierlich gelobte, jeder derartigen Versuchung zu widerstehen. Durch meine Verwendung erhielt auch Herr Schwalbe eine einträgliche Beschäftigung bei einem mit mir befreundeten Rechtsanwalt, dessen Bureau er augenblicklich zu voller Zufriedenheit leitet. Von den beiden Ehrenmännern habe ich nichts mehr gehört, doch zweifle ich nicht daran, daß sie ihre Geschäfte mit Hülfe eines neuen Strohmanns noch immer fortsetzen, bis sie eines Tages, wie ich hoffe, die wohlverdiente Strafe ereilen und die Verachtung der Welt treffen wird.

Max Ring.


Das erste Lied.


Wer hat das erste Lied erdacht,
    Das in die Lüfte scholl?
Der Frühling fand’s in lauer Nacht,
    Das Herz von Wonne voll;
Er sang es früh im Fliederbaum
    Und schlug den Tact dazu;
„O Maienzeit, o Liebestraum,
    Was ist so süß wie Du?“

Da kamen Mück’ und Käferlein;
    Waldvöglein sonder Zahl;
Die übten sich die Weise ein
    Wohl an die tausend Mal.
Sie trugen’s durch den Himmelsraum
    Und durch die Waldesruh:
„O Maienzeit, o Liebestraum,
    Was ist so süß wie Du?“

Mir sang’s am Bach die Nachtigall,
    Da ward mir wonnig weh;
Nun folgt das Lied mir überall
    Durch Duft und Blüthenschnee.
Ich pflück’ den Zweig vom Fliederbaum
    Und sing’ es immerzu:
„O Maienzeit, o Liebestraum,
    Was ist so süß wie Du?“

Victor Blüthgen.




Literaturbriefe an eine Dame.

Von Rudolf von Gottschall.

XX.

Aus meinem langen Schweigen, verehre Freundin, mögen Sie nicht schließen, daß auch die Musen auf dem deutschen Parnaß verstummt sind; da geht es so laut und rüstig her wie immer, und für ein Gestirn, das im Niedergange begriffen ist, tauchen immer zehn andere auf mit verheißungsvollem Aufgang, mindestens wenn man den kritischen Sternwarten glauben darf und ihren Beobachtungstabellen.

Gewiß, Sie finden viel Schönes auf dem deutschen Parnaß zur Schau gestellt, aber auch „manche Waldteufel“, wie Fürst Bismarck sagt.

Haben Sie einmal einen Roman oder Gedichte von Wilhelm Jensen gelesen? In vielen derselben weht ein frischer Meereshauch, der Sie am Gestade des Baltische Meeres heimathlich gemahnen wird; vor allem aber gehört Jensen nicht zu den Poeten, von denen zwölf ein Dutzend ausmachen, und das ist ein großes Lob in einer Zeit, in welcher so viel nach der Schablone producirt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_386.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)