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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

nehmen, da die Unterschrift des minderjährigen Ausstellers keine Gültigkeit hat.“

„Ich kann es beschwören, daß ich davon nichts gewußt und den Wechsel rechtmäßig erworben habe. Außerdem,“ fügte er lächelnd hinzu, „bürgt mir der Ehrenschein des Herrn Lieutenant dafür, daß Ihr Freund die ganze Summe zahlen wird, wenn er nicht seinen Sohn unglücklich machen will.“

„Sie irren sich,“ versetzte ich mit geheuchelter Ruhe. „Mein Freund ist entschlossen, es lieber zum Aeußersten kommen zu lassen und sich an den Staatsanwalt zu wenden.“

„Das mag er thun,“ erwiderte der Wucherer, ohne eine Miene zu verziehen. „Ich habe Gottlob ein gutes Gewissen und fürchte mich nicht. Ich habe den Wechsel gekauft und baar bezahlt.“

„Dann ersuche ich Sie, mir den Verkäufer zu nennen, damit ich mich an ihn halten kann.“

„Das habe ich nicht nöthig. Wenn der Wechsel präsentirt wird, werden Sie den Namen schon erfahren. Jetzt aber müssen Sie mich entschuldigen; ich habe zu thun. Freut mich, Ihre werthe Bekanntschaft gemacht zu haben. Aeußerst angenehm!“

Unter diesen Verhältnissen blieb mir nichts übrig, als mich dem würdigen Greise zu empfehlen, der mich höflich bis zur Thür begleitete und sich mit demselben süßen Lächeln, mit welchem er mich empfangen hatte, nun von mir verabschiedete. Ich suchte zunächst den Lieutenant auf, um von ihm den Namen des wahren Gläubigers zu erfahren, auf den er den Wechsel ausgestellt hatte.

Wie ich vermuthete, fand ich den jungen Mann in der größten Verzweiflung, fest entschlossen, den Verlust seiner Ehre nicht zu überleben. Mit vieler Mühe gelang es mir, ihn so weit zu beruhigen, daß er mir das feste Versprechen gab, keinen übereilten Schritt zu thun und erst den Erfolg meiner ferneren Verhandlungen abzuwarten. Zugleich erhielt ich von ihm die gewünschte Auskunft und die Adresse seines eigentlichen Gläubigers, zu dem ich mich sofort fahren ließ.

Der Mann hieß Joseph Schwalbe und wohnte in einem jener traurigen Hinterhäuser, in denen die Armuth und das Verbrechen sich vor den Augen der Welt oder den Nachforschungen der Polizei zu verbergen suchen. Auf mein lautes, wiederholtes Klopfen – eine Klingel war nicht vorhanden – öffnete eine unsichtbare Hand die verschlossene Thür und ließ mich in ein niedriges, dunkles Parterrezimmer treten, das, mit wurmstichigem Gerümpel angefüllt, einer elenden Trödelbude glich.

Bei meinem Eintritt erhob sich ein kleiner, schwächlicher Mann, der mich mit ängstlichen, mißtrauische Blicken anstarrte. Wieder glaubte ich, irre gegangen zu sein, da das jämmerliche Aussehen und die ärmliche Umgebung in diesem elenden Menschen eher einen Bettler als einen Geldverleiher vermuthen ließ. Trotzdem machte ich ihn mit der Veranlassung meines Besuches bekannt, nachdem ich mich versichert hatte, daß er der Gesuchte sei.

„Ich bedaure,“ sagte er, verlegen die Augen niederschlagend, „daß ich Ihnen bei dem besten Willen nicht dienen kann. Der betreffende Herr hat den Wechsel von mir gekauft und ist in seinem Recht.“

„Das scheint mir kaum glaublich,“ versetzte ich, die traurige Einrichtung musternd. „Eine so bedeutende Summe –“

„Ich genieße Credit,“ erwiderte er erröthend, „und mache Geschäfte mit den mir anvertrauten Geldern.“

„Um so leichter wird es Ihnen fallen, den Inhaber des Wechsels zur Annahme meines Vorschlags zu bewegen.“

„Unmöglich! Wo denken Sie hin? Sie kennen nicht den Herrn. Er läßt nicht mit sich scherzen.“

„Dann wird uns nichts übrig bleiben, als der Sache ihren Lauf zu lassen, da mein Freund die volle Summe weder zahlen kann noch will.“

„Er wird doch nicht seinen Sohn unglücklich machen!“

„Mein Freund hat noch mehr Kinder und darf nicht einem derselben ein solches Opfer bringen und sich selbst ruiniren.“

„Mein Gott!“ stöhnte Herr Schwalbe, sichtlich bestürzt. „Haben Sie das dem Herrn gesagt?“

„Allerdings!“

„Und er wollte nicht auf Ihre Propositionen eingehn?“

„Unter keiner Bedingung!“

„Der Schurke! Das sieht ihm ähnlich.“

Obgleich mich dieser unwillkürliche Ausruf überraschte, hielt ich doch die moralische Entrüstung des Herrn Schwalbe für nichts weiter als für pure Heuchelei, da ich von dem Einverständniß der beiden Biedermänner überzeugt war. Ich machte Herrn Schwalbe auf die Folgen seiner Weigerung aufmerksam und wies auf die unausbleibliche Einmischung des Staatsanwalts hin, was er jedoch nicht zu hören oder nicht zu beachten schien, so laut und dringlich ich auch in meinem Eifer sprach.

Empört über seine Gleichgültigkeit und Härte, wollte ich mich entfernen, als aus dem anstoßenden Alkoven, der nur durch einen dünnen Vorhang vom Wohnzimmer getrennt war, eine junge Frau stürzte, deren bleiches, bekümmertes Gesicht die Spuren früherer Schönheit verrieth. Auf ihrem Arme trug sie ein kleines Kind, das sich an ihre Brust zärtlich anlehnte.

„Joseph!“ rief sie mit schmerzlich bewegter Stimme.

„Was willst Du?“ fragte er verwirrt, ohne sie anzusehen.

„Ich habe Alles mit angehört. Hab’ ich Dir nicht immer gesagt, daß es mit Dir ein schlechtes Ende nehmen muß? Sie werden Dich in’s Zuchthaus schicken. Die Schande überleb’ ich nicht. Lieber spring’ ich mit dem Kind in’s Wasser.“

„Was fällt Dir ein? Du bist eine Närrin!“

„Nein, nein! Ich weiß, was ich sage. Wenn die Geschichte vor den Staatsanwalt kommt, bist Du verloren. Der scheinheilige Duckmäuser und der feine Herr Doctor mit den schönen Redensarten lachen sich in’s Fäustchen, und Du mußt für sie Alle bluten.“

„Was soll ich thun?“ murmelte er, die Hände ringend.

„Gestehe dem Herrn die Wahrheit und hilf ihm, die Sache in Ordnung zu bringen! Er wird Dir dafür dankbar sein und Dich nicht verrathen.“

Die von Thränen und Schluchzen begleiteten Worte seiner Frau schienen einen tiefen Eindruck auf den schwachen, keineswegs verhärteten Mann zu machen. Ich benutzte seine Verwirrung, um ihn zu einem offenen Geständnis zu veranlassen, indem ich ihm mein Wort gab, ihn zu schonen, wenn er mir beistehen wollte, die beiden Wucherer zu entlarven und zu einem billigen Vergleich zu bewegen.

Herr Schwalbe selbst war, wie er mir mittheilte, nur der vorgeschobene Strohmann, hinter dem die beiden Biedermänner ihr gefährliches Treiben verbargen. Gegen einen geringen, kaum nennenswerthen Lohn mußte er seinen Namen zu den verächtlichen Geschäften hergeben und im Nothfall die Verantwortung übernehmen, während sie den Gewinn mit einander theilten und vor jeder Verfolgung sicher waren.

„Um so weniger,“ versetzte ich, „kann ich es begreifen, daß Sie sich zu diesem schändlichen Treiben hergaben.“

„Ach!“ seufzte er, „Sie wissen nicht, wie weh der Hunger thut und wozu das Elend einen Menschen treiben kann, noch dazu, wenn man Weib und Kinder hat. Meine Frau wird mir bezeugen, daß ich mich als Privatschreiber redlich ernährt habe, bis ich vor einem Jahr am Typhus erkrankte. Länger als drei Monate lag ich fest, ohne einen Groschen zu verdienen. Wir mußten Alles versetzen und verkaufen, was wir noch besaßen. Da kam eines Tages der Ihnen bekannte Doctor zu mir, für den ich früher verschiedene Actenstücke copirt hatte. Er benutzte meine verzweifelte Lage für seine Pläne. Hundertmal hab’ ich es bereut und die Stunde verwünscht, wo ich mich von ihm überreden ließ, aber die Noth war zu groß.“

„Das ist wahr,“ bestätigte die weinende Frau. „Mein Mann ist nicht schlecht, nur schwach gewesen und hat sich lange dagegen gesträubt. Er hätt’ es gewiß nicht gethan, wenn er eine andere Aussicht gehabt hätte. Lieber aber will ich mit den Kindern betteln gehen, als die Angst länger ertragen.“

Ich beruhigte die armen Leute und versprach ihnen, mich für sie nach Kräften zu verwenden. Nachdem ich noch mit Herrn Schwalbe das Nöthige verabredet hatte, begab ich mich nach der mir bezeichneten Villa des Doctors.

Ein galonnirter Bedienter, dem ich meine Karte gab, ersuchte mich, in den elegante Empfangssalon einzutreten. Da hingen an den stilvoll decorirten Wänden in breiten Goldrahmen ausgezeichnete Oelgemälde und seltene Kupferstiche von berühmten Meistern. Der parquetirte Fußboden war mit einem echt persischen Teppich belegt. Ueberall, wohin mein Auge blickte, geschnitzte und ausgelegte Möbel, herrliche Bronzen, Marmorstatuen und Elfenbeinschnitzereien, Mappen mit Photographien und Prachtwerke in kostbaren Einbänden. In einer Ecke stand ein hoher Bücherschrank

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 385. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_385.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)