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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

zeigte kichernd nach der Negerin – „sie weiß fabelhaft viel Gespenstergeschichten, eine gruseliger als die andere, und während Du Felix in der Krankenstube die Zeitungen vorlasest, habe ich gar oft neben José draußen in der Veranda gekauert und Deborah zugehört. Wir haben uns stets um die Wette gefürchtet, gelt José?“

Die Schwarze sah erschrocken nach ihrer Herrin und stellte schleunigst Paula auf einen Stuhl, um ihr Hut und Reisemantel abzunehmen. Lucile aber streifte die Handschuhe ab, nahm mit graziös übermüthiger Geberde den Hut vom Kopf und das Jaquet von den Schultern und warf Stück um Stück der Kammerjungfer hin, die es auffing – dann ließ sie sich in die Kissen der nächsten Ruhebank sinken. „Meinetwegen! Ich bin sterbensmüde und habe vorläufig nur das eine brennende Verlangen, zu ruhen.“ Sie drückte sich, gliedergeschmeidig wie eine kleine Katze, in die Seidenpolster. „Ihr Poltergeist wird ja wohl so viel Tact haben, uns wenigstens am hellen, lichten Tage ungeschoren zu lassen, cher Baron!“ ironisirte sie selbst ihre Furcht mit einem Schelmenblick von unten herauf. „Pah, ein Selbstmörder ist er gewesen! Ach ja, wie war denn das eigentlich? Hatte der Mann nicht gestohlen oder den lieben, alten, prächtigen Freiherrn betrogen –“

„Er hat weder gestohlen noch betrogen, der ehrliche, brave Adam,“ schnitt Baron Schilling rauh das Geplauder ab und blickte besorgt nach dem jungen Mädchen am Credenztische, unter deren Händen das aufgestellte Porcellan plötzlich stark an einander klirrte. Aus ihrem erblaßten Gesicht glühten die Augen in verhaltenem Grimme die kleine Frau in der Polsterecke unverwandt an.

Baron Schilling winkte ihr, die bepackte Kammerjungfer in das anstoßende Zimmer zu führen, und als sie mit gesenkten Lidern an ihm vorüberging, da strich seine Hand lind und tröstend über ihren dunklen Scheitel.

„Gelt, Hannchen, wir wissen das besser,“ sagte er mit seiner schönen, mitleiderfüllten Stimme.

Lucile fuhr empor.

„Wie, Hannchen sagen Sie? Die große, hübsche Person da wäre das barfüßige, kleine Ding, sein Kind, das damals so –“

Er trat ihr rasch näher.

„Gnädige Frau, ich muß Sie dringend bitten, mit dergleichen Reminiscenzen zurückzuhalten,“ fiel er ihr in’s Wort, ohne die Indignation, die Ungeduld zu verbergen die ihm in jedem Nerv zu prickeln schien. „Sie wissen, warum Sie hierher gekommen sind; Sie wissen auch, daß die Leute im Schillingshof vorläufig nicht ahnen sollen, wer Sie sind –“

„Ach ja, ich weiß meine Lection schon,“ unterbrach sie ihn mit einer lässigen Handbewegung. „Ich habe Sie und Ihre Frau in Paris kennen gelernt, bin einfach hier, um mich zu erholen und in der kräftigen, urdeutschen Luft robuste Nerven zu bekommen, und so weiter; – eine haarsträubend langweilige Rolle, wie Sie mir zugeben werden.“

Zuerst hatte sie ihn mit großen Augen angesehen – diese energische Zurechtweisung von Seiten eines Mannes mochte „das vergötterte Elfenkind“ ein wenig verblüffen. Nun aber warf sie sich zurück und legte die hoch gehobenen Arme verschränkt unter den Kopf.

„Ich will Ihnen etwas sagen, Baron Schilling. Hätte mich nicht seit Jahren die Sehnsucht nach Europa, nach den alten Verhältnissen, die ich dummer Backfisch damals wahnwitziger Weise aufgegeben hatte, insgeheim gepeinigt und verzehrt, ich wäre nicht um die Welt hierher gegangen – darauf können Sie sich verlassen. Die Idee an sich ist mir immer unfaßbar gewesen – der arme Felix hatte sich eben mit der ganzen Fieberhitze seiner Krankheit hinein verrannt. Ich frage – was gewinnen wir denn damit? Wir sind reich –“

Baron Schilling sah überrascht empor; – Mercedes, die in eine der Fensternischen getreten war, wie um einen Blick in den Vorgarten zu werfen, blickte ihn mit ihren großen, stolzen Augen ausdrucksvoll an; sie legte flüchtig den Zeigefinger auf die Lippen.

„Immense reich, sag’ ich Ihnen,“ fuhr Lucile fort, die diesen Austausch der Blicke nicht bemerkt hatte. „Felix war stets in der Lage, alle meine Wünsche zu erfüllen, und wenn mein toller Kindskopf auf den Einfall gekommen wäre, unseren Wagenpferden massiv goldene Hufeisen zu geben und das Riemenzeug mit Brillanten besetzen zu lassen, er hätte es gedurft. Augenblicklich werde ich freilich knapper gehalten; die dumme Vormundschaft, von der ich rein gar nichts verstehe und die mich deshalb dupiren und an der Nase führen kann, wie sie gerade Lust hat, und auch andere widerwärtige Schulmeister“ – sie verstummte und streifte mit einem feindseligen Blick die Fensternische – „bah, das wird sich ja schließlich auch abschütteln lassen – mir ist nicht bange,“ setzte sie gleich hinzu, übermüthig die Locken zurückwerfend und mit dem kleinen Absatze auf den Fuß der Ruhebank hämmernd. „Enfin, wir brauchen die zusammengescharrten Milch- und Buttergroschen, von denen mir Felix einmal erzählt hat, absolut nicht.“

Inzwischen hatte Mercedes Hut und Reisemantel abgelegt. Der alte Miniaturmaler, den der reiche Plantagenbesitzer in Südcarolina so hoch geschätzt hatte, war in der That ein Meister gewesen. Das dreizehnjährige Mädchengesicht auf der Elfenbeinplatte und der junge Frauenkopf dort unter der grünen Seidengardine zeigten heute noch die gleichen wunderbar zarten Linien, das seltsame Colorit, das an die leuchtende hellste Nüance des Bernsteins erinnerte. Nun war sie, deren Augen einst aus fast märchenhafter Ferne her vorausgeleuchtet hatten, leibhaftig unter dem nordischen Himmel erschienen; das überreiche, nachtdunkle Haar voll aufgestreuter blauflimmernder Reflexe, die Gestalt schlank und biegsam, mit herrlich stolzer Nackenwölbung – so stand sie in demselben Zimmer, wo damals ein übermüthiger Mädchenmund von ihr als „der kleinen Buckligen“ gesprochen hatte.

Langsam zog sie die Handschuhe von den Händen und rückte den verschobenen Trauring sorglich wieder an Ort und Stelle; dabei sagte sie zu ihrer Schwägerin hinüber mit seltsam frostiger Zurückhaltung:

„Es handelt sich in erster Linie um die Zuneigung der Großmutter.“

Lucile schnellte empor und preßte beide Hände auf die Ohren.

„Wenn ich nur diese Phrase nicht mehr hören müßte!“ rief sie ärgerlich. „Ach, cher Baron, was hat man in diesem Amerika aus der kleinen, muthwilligen Lucile gemacht! Es ist zum Erbarmen. Monatelang vor Felix’ Tode war diese widerwärtige Großmutterversöhnung das stehende Thema in der Krankenstube, und ich armer Wurm mußte zu Allem pflichtschuldigst mit dem Kopfe nicken, wenn ich nicht haarsträubende Grobheiten von den Aerzten und Zurechtweisungen von Dame Mercedes schlucken wollte. Aber nun bin ich wieder ich; nun spiele ich nicht mehr, ‚und damit Punctum!’ hieß es allemal beim alten, guten Freiherrn, der nun auch todt ist. Ich möchte wohl wissen, was er sagen würde, daß meine Kinder hierhergeschleppt werden, damit sie um ,Zuneigung’ betteln bei dem ordinären Weibe, das er nicht ausstehen konnte, das er genau so grimmig haßte wie ich! Aber sie soll mir nur kommen! Sie soll sich nur unterstehen, meine süße Paula mit ihren groben Küchenhänden anzufassen!“

Sie unterbrach sich und streckte die Hand triumphirend gegen ihre Schwägerin aus.

„Drüben hattest Du immer nur ein stolzes Aufwerfen der Lippen oder eine messerscharfe Bemerkung als Antwort, wenn ich mich gegen den unsinnigen Plan sträubte – Du wußtest es ja besser, natürlich! Als ich Dir aber vorhin im Vorüberfahren das kostbare, alte Mönchsnest zeigte, da war es aus und vorbei mit dem Heldenmuth, den Illusionen – da wurdest Du leichenblaß. Du sahst aus wie der Schrecken selbst.“

Mercedes biß sich auf die Lippen und bog ihr Gesicht einen Moment über José, der in sichtlicher Scheu vor der neuen Umgebung zu ihr geflüchtet war und die kleinen Arme um ihre Hüften gelegt hatte.

„Um dieses Erbleichen weiß ich – ich fühle, wie mir immer das Blut nach dem Herzen zurückdrängt, seit die deutsche Luft mich anweht,“ sagte sie nach einem augenblicklichen Schweigen gepreßt, und ihr finsterer Blick sah über den ihr ziemlich nahestehenden Herrn des Schillingshofes hinweg, wie in eine schrankenlose Weite hinein. „Ich dachte nicht, daß sich meine ganze Natur gegen sie empören würde, weil ich ja vom Vater her deutsch bin – jetzt weiß ich, daß er mir weder Sympathie, noch Heimgefühl vererbt hat für dieses Land, in welchem er so unglücklich gewesen ist.“ Sie hatte nicht zu versichern gebraucht, daß ihr das heiße Blut überwältigend durch das Herz stürme; man hörte es aus diesen tiefen, leidenschaftlich gefärbten Tönen. „Ich bin mir genau bewußt, was ich Felix versprochen habe, aber – mir graut vor dem verfallenen Hause; es sieht aus, als wohne der Hunger darin und die Armseligkeit, die Gemeinheit – und dort soll ich die Großmutter unserer Kinder suchen?“ Beide Hände um den

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