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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

gefehlt, welche die Lostrennung von Holland unumwunden als ein Nationalunglück bezeichnen. Damals gehörte freilich mehr Mannesmuth dazu, eine solche Ansicht anzusprechen, und nur Willems besaß denselben. Hatte doch ein anderer vlamischer Schriftsteller, Van de Weyer, damals Bibliothekar in Brüssel, sich nach Abfassung eines Artikels, der etwas zu Gunsten der vlamischen Muttersprache redete, durch die Anfeindungen und Drohungen der Gegner völlig einschüchtern, zum schimpflichsten Widerruf, ja zu der öffentlichen Erklärung nöthigen lassen: „er schäme sich, jemals zu Gunsten dieser Sprache geschrieben zu haben!“

Offenbar gegen besseres Wissen haben manche französische Zeitungen Belgiens stets behauptet, die Regierung habe Wallonen und Vlamen stets gleiches Recht gewährt. Als einst Verfasser dieser Artikel in Reisebriefen aus Belgien („Kölnische Zeitung“ von 1875) die unerträgliche Lage der germanischen Bevölkerung Belgiens schilderte, hatten jene Blätter die Stirn – oder wußten sie wirklich so wenig im eigenen Lande Bescheid? – die vlamischen Klagen und Leiden als eine ganz neue Entdeckung des deutschen Reisenden hinzustellen, der dort Dinge sähe, von denen die Vlamingen selbst nichts wüßten. Und doch könnte man Bände füllen mit den Klagen über Sprachunterdrückung, die in zahllosen Flugschriften und Zeitungsartikeln laut geworden sind, und die Männer, welche jetzt wie Willems denken, ihre Gedanken frei und offen aussprechen und in seinem Geiste wirken, zählen heute bereits nach mehreren Tausenden.

Ueber Willems selbst wurde gleich nach der Revolution eine Strafversetzung auf den Einnehmerposten in Eekloo mit wesentlicher Gehaltsverkürzung verhängt, während Herr van de Weyer, der so feige seine Nationalität verleugnen konnte, zum Minister und später zum belgischen Gesandten in London befördert ward!

Seine „Verbannung“ in Eekloo, wo er Muße genug hatte, nützte Willems mit aller Kraft für sein Ideal aus. Schon vorher, seit 1827, war in seiner Zeitschrift „Mengelingen van vaterlandschen Inhoud“ für die Erhaltung des vlamischen Volksthums gekämpft worden. Jetzt erschienen in schneller Folge seine trefflichen Volksausgaben älterer Chronisten und Geschichtsschreiber, welche den Zweck hatten, dem vlamischen Stamme seine große Vergangenheit vor die Augen zu halten, sowie seine meisterhafte Bearbeitung des Reinaert de Vos, des im dreizehnten Jahrhundert entstandenen wichtigsten Literaturdenkmals Flanderns, das nun ein wahres Volksbuch wurde.

Diese Bücher sollten, wie er in der Vorrede zum Reinaert sagt, den französischen Schund, mit dem Belgien überschüttet werde, verdrängen. Und ferner heißt es dort: „In Eekloo habe ich gelernt, daß die Feindin unserer Sprache, die französische, in den sechs Jahrhunderten noch keinen festen Fuß auf vlamischem Sprachgebiet gefaßt hat. Auf 8600 Einwohner der Stadt kommen höchstes 300, welche französisch verstehen, noch nicht 100, die es geläufig sprechen können. Und doch war Eekloo viele Jahre der Sitz französischer Tribunale, französischer Sous-préfets und anderer französischer Beamten,“ und ferner erläutert er, was die berühmte Sprachfreiheit der belgischen Verfassung in der Praxis sei, und wie die 8600 Vlamingen fort und fort „gegouverneeet“, täglich „gesommeert“, „geexploiteert“ und „geexecuteert“ werden.

Von dem Erscheinen des „Reinecke Fuchs“, der mit wahrer Begeisterung aufgenommen wurde, datirt sozusagen die vlamische Bewegung. Schon 1835 schreibt Willems an Van Duijse: „Die Zeit naht, wo unsere vlamische Nationalität lebendig ihr Haupt erheben darf.“ Zwei Jahre später gründete er sein „Belgisches Museum“, welche Zeitschrift für die Kunde der vlamischen Vergangenheit in Kunst, Literatur und Geschichte von großer Bedeutung geworden ist.

Bis 1840 hatte Willems schon so viel Sympathien für die vlamische Sache erweckt, daß die erste große Petition zu Gunsten der Muttersprache mit 100,000 Unterschriften bedeckt an die Kammer gesandt werden konnte. War auch der Erfolg kein besserer, als der aller Petitionen, die in den achtunddreißig folgenden Jahren eingebracht wurden, so war doch der erste Schritt auf das politische Gebiet gethan und der Beweis geliefert, daß die vlamische Bewegung eine Macht sei, mit der man früher oder später werde rechnen müssen. Die Thätigkeit des tapferen Willems für die Annäherung des Vlamischen an das Holländische habe wir bereits im ersten Artikel bei Gelegenheit der Erwähnung der Sprachcongresse zu Gent und Brüssel gewürdigt.

Die belgische Regierung aber hatte inzwischen doch die wissenschaftliche Bedeutung Willems’ auf die Dauer nicht ignoriren können. So hörte denn die Verbannung auf, und 1834 wurde er zum Mitgliede der königlichen Geschichtscommission ernannt, nachdem ihm schon früher die Universität Löwen den Doctorgrad ertheilt hatte. Dem Rufe in ein Professoramt zu Löwen und einem zweiten nach Luik folgte er nicht, doch siedelte er in der nämlichen Beamtenstellung, welche er bisher inne gehabt, nach Gent über, welches hauptsächlich durch ihn der Mittelpunkt der vlamisch-nationalen Bestrebungen wurde. Auch der Ehre, in die belgische Akademie erwählt zu werden, ward er am Abende seines Lebens theilhaftig. Aber gerade, als er bei wachsendem Einflusse wieder hoffnungsvoll in die Zukunft blicken konnte, ereilte ihn mitten in seiner einzig dem Vaterlande gewidmeten rastlosen Thätigkeit der Tod am 24. Juni 1846. Die Arbeit seines reichen Lebens ist nicht vergeblich gewesen.




Blätter und Blüthen.


Zur Theeverfälschung. Der Thee ist bekanntlich in England und Rußland ein allgemein nationales Getränk, das im Palast wie in der Hütte nicht fehlen darf. In jenen Ländern werden daher ungeheuere Mengen Thees verbraucht, und auch in anderen Staaten, zumal in Deutschland, ist der Theeverbrauch in fortwährender Zunahme. Aus diesem riesigen Bedarf sucht die gewissenlose Speculation seit lange Capital zu schlagen. Schon in China wird die Theefälschung betrieben. Dort wird das feine Aroma in Essenzen concentrirt, die schon gebrauchten Blättern beigemischt werden, und schlechter Thee durch allerlei fremde Pflanzen aromatisirt.

Die russischen Häuser bringen ungeheuere Mengen verfälschten Thees in den Handel, und in England steht es noch schlimmer. Wer dort jemals längere Zeit gelebt und ein eigenes Hauswesen geführt hat, dem mag es vielleicht aufgefallen sein, daß an gewissen Tagen, gewöhnlich Sonnabend, Männer wie Weiber in den Küchen der Familien sich einzufinden pflegen, um von dem Dienstpersonal die abgebrühten Theeblätter zu kaufen. Fragt man die von Haus zu Haus gehenden Käufer, wozu die abgebrühten Theeblätter verwendet werden, so erhält man stets die Antwort, sie seien für arme Familien bestimmt, die auch ihren Thee trinken wollten. Diese Angabe ist fast immer Lüge; denn der gebrauchte Thee wird wieder verkauft, und zwar als frische, echte Waare zu hohen Preisen. Dabei ist die Manipulation der Fälscher keineswegs eine complicirte oder große Auslagen erfordernde. Ein Röstofen besorgt das notwendige Einrollen der einzelnen Theeblätter, die durch das Abbrühen groß und flach geworden. Sodann werden die Blätter, je nach ihrer Qualität, mit der entsprechenden Farbe, Graphit oder Preußisch-Blau, versehen. Auch Erdbeer-, Weißdorn-, Hollunder- und Epheublätter werden beigemischt. Diese Mengen bereits gebrauchten Thees kommen alsdann in eleganten Kistchen und Paketen wieder in den Handel und zwar für die ärmeren Schichten der Bevölkerung ganz unvermischt, für die wohlhabenderen mit einem geringen Zusage noch ungebrauchten Thees.

Die Ausbreitung dieses betrügerischen Industriezweiges ist eine so große, daß seine radicale Ausrottung bei der eigenthümlichen Beschaffenheit der englische Gesetze ziemlich problematisch erscheint. Nur groben, handgreiflichen Betrügereien der englischen Theehändler vermochten bisher die britischen Behörden auf den Leib zu rücken.

Der Londoner Gerichtschemiker Dr. Saunders hat jüngst die großen Theemagazine der City untersucht. Er erklärte fünf ihm vorgelegte Theeproben für gefälscht und gesundheitsschädlich. Eine dieser Proben bestand ausschließlich aus abgekochten Theeblättern, die zweite aus einer Mischung, die siebenzig Procent Theestaub enthielt, die dritte aus Theestaub, Sand und gefärbten Pflanzenstoffen; die vierte enthielt, um ein betrügerisches Gewicht zu fingiren, erbsengroße Steine, während die fünfte Probe von der Ladung eines an der portugiesischen Küste gescheiterten Schiffes herrührte, dessen Eigenthümer die aufgefischten Theeballen wieder trocknen und verkaufen ließ. Die von Dr. Saunders untersuchten Proben repräsentirten nicht weniger als 1700 Kisten Thee.

A. C. W.

Kleiner Briefkasten.

V. B. in L. Die Sammlung für die Spessart-Nothleidenden in Aschaffenburg ist bereits geschlossen worden, da dort dem schlimmsten Mangel nunmehr abgeholfen ist. Dagegen sind Liebesgaben für die Heimgesuchten des hessischen resp. preußischen Spessarts noch sehr willkommen. Senden Sie also getrost Ihre Spende an das Unterstützungs-Comité für den hessischen Spessart in Hanau!


Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_376.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)