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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Nürnbergs Volksbelustigungen im 16. und 17. Jahrhundert.
Ein Culturbild nach authentischen Quellen von Karl Ueberhorst.
IV. Das Urbanreiten.

Viele unserer Volksfeste sind bekanntlich religiöse Ueberlieferungen aus der vorchristlichen Zeit. Der Glaube an die alten Götter, an ihren Einfluß auf Alles, was dem Volke von Bedeutung, war so unzerstörbar, daß die ersten Lehrer des Christentums gezwungen wurden, die heidnischen Schutzgötter und Gebräuche, wenn auch unter anderen Namen und Formen, in den neuen Gottesdienst nach und nach mit hinüber zu nehmen. An die Stelle der heidnischen Talismane, der Penaten und Laren, wurden Heiligenbilder und Reliquien gesetzt. Schon im fünften und sechsten Jahrhundert der christlichen Kirche führte dieser neue Götzendienst die schmählichste Gewinnsucht im Gefolge, denn die nimmersatte Geistlichkeit begann, wie in späterer Zeit den Ablaß (die einzige Stadt Nürnberg lieferte 1453 an Ablaßgeldern 30,000 Goldgulden, welche man den Deutschen zum Spott in Rom peccata Germanorum, deutsche Sünden, nannte), so jetzt die Heiligenbilder und Reliquien einfach den gläubigen Seelen für schweres Geld zu verkaufen.


Ein Urbanritt im alten Nürnberg.
Nach einer colorirten Handzeichnung der Nürnberger Stadtbibliothek.


Daß unter den Händen des Clerus Alles geheiligt und wunderthätig werden kann, bewiesen sogar die Producte der Pfefferküchler und Bäcker, und selbst die alten ehrlichen Brezeln sollten ein Ziel der kirchlichen Ausbeutung werden, denn das heidnische Sonnenrad auf denselben, „das Julagalt“, mußte dem mit einem Ringe umgebenen Kreuze weichen. Mit diesem neuen Talismane versehen, bildete das uralte Gebäck ein besonders geweihtes und deshalb auch besonders zu bezahlendes Genußmittel.

Daß bei der deutschen Zechlust auch für den Wein ein Schutzpatron aufgestellt werden mußte, ist daher selbstverständlich. Für den alten Bacchus, der zweifelsohne durch die Römer den Deutschen zur Genüge bekannt geworden, wählte man den heiligen Urban (Bischof von Langres), und der St. Urbanstag (Urbani dies) wurde besonders in dem weinreichen Franken durch ein hochgehaltenes Volksfest ausgezeichnet.

Wenn nun um Nürnberg selbst auch niemals Wein gewachsen, so ist doch desto mehr in seinen Mauern getrunken worden, und diesem Umstande mag es zuzuschreiben sein, daß der Urbanstag von frühester Zeit her in der lebenslustigen und wohlhabenden Reichsstadt gefeiert worden ist. Wenn aber bei sonstigen Volksfesten, bei dem Armbrust- und Stückschießen, sowie beim Schembart, sich alle Stände betheiligten, so scheint der Urbanstag mehr ein Fest der niederen Volksclassen gewesen zu sein, und toll genug ist es, nach den Ueberlieferungen zu schließen, dabei hergegangen.

Der Urbanritt gehörte zu den Rechten der sogenannten „Weinschreier“ (Ausrufer des verkäuflichen Weins). Nachdem die Erlaubniß des Rathes eingeholt worden, begann der Umzug aus irgend einer Weinschenke der Stadt. Es sind uns von demselben mehrfache Abbildungen überkommen, welche bis auf einige Abweichungen in der Tracht, eine Folge der wechselnden Jahrhunderte, ziemlich übereinstimmen. Eine höchst seltene colorirte Handzeichnung aus der Nürnberger Stadtbibliothek, welche uns vorliegt, mag den Zug am besten schildern: Voran schreiten zwei Spielleute, der eine die Schalmei, der andere die Sackpfeife blasend. Diesen folgt ein Stadtknecht in roth und weiß getheiltem Ueberwurf, den Farben Nürnbergs. Er führt eine Peitsche, um im Gedränge Raum zu schaffen. Ein Mann in schwarzem Unterkleide, rothem Ueberwurfe und rother Mütze, welcher einen mit Spiegeln und kleinen Weinflaschen behangenen Tannenbaum trägt, schreitet dem eigentlichen Helden des Aufzuges, dem heiligen Urban, voran. Dieser reitet auf einem kräftigen Gaul (auf einigen Bildern erscheint derselbe dürr und mager), trägt eine päpstliche Krone auf seinem Haupte, welche mit Weinlaub verziert ist, und einen weißen Ueberwurf, welcher ebenfalls Weinblätter und Trauben zeigt, und hält einen mit rothem Wein gefüllten Becher (Kuttroffglas) hoch empor. Hinter ihm her schreitet ein genau wie der Träger des Baumes gekleideter Mann, der an einem Stocke einen großen Weinkrug auf dem Rücken trägt. Die beiden Gebäude zur Seite

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_368.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)