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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Die dortigen Hütewiesen – so theilte mir der Ortsbürgermeister, Herr Kaiser, mit – halten einige hundert Morgen und sind Eigenthum der weideberechtigten Bürger. Bei Erwerb dieser Gerechtsame, welche, vererblich nur auf Bürgerskinder, übrigens von den Berechtigten pachtweise abgegeben werden kann, wird in die Kämmereicasse eine Abgabe von 39 Mark gezahlt. Von jeder der berechtigten 291 Stellen darf nur eine Kuh getrieben werden. Uebt der Bürger sein Weiderecht so wenig selbst, wie durch Verpachtung aus, so wird ihm aus der Weidecasse eine Vergütung gezahlt, welche in den letzten Jahren auf 30 Mark normirt war. Die Zahl der wirklich auf die Weide getriebenen Kühe betrug seit einigen Jahren etwa 215 bis 230 Stück; sie ist durch Anwachsen von Gewerbe und Industrie in der Stadt allmählich so weit herabgeschmolzen.

Die Interessen der weideberechtigten Bürger werden durch den Magistrat und eine dem Bürgervorsteher-Collegium entnommene Weidecommission vertreten. Letztere beaufsichtigt den Hirten und bestimmt den Zeitpunkt des ersten Austriebes der Heerde in jedem Frühjahr, welcher in der Regel in die Mitte des Monats Mai fällt. Bis vor wenigen Jahren wurde der Hirt am ersten Tage des Austreibens von den jungen Mädchen, welche die Milch von der Weide holen, beschenkt und mit Kranz und bunten Bändern geschmückt. Die Stiere werden in der Regel von einem Alfelder Fleischer gegen eine aus der Weidecasse zu zahlende Vergütung für die Dauer des Weideganges hergeliehen und dann im Herbst zur Mastung gebracht. Im Jahre 1878 wurde für 5 Stiere 420 Mark Miethe bezahlt.

Der erste Austrieb der Rinderheerde hat in Alfeld, wie anderwärts, sein höchstes Interesse in einem bei dieser Gelegenheit regelmäßig stattfindenden Stierkampfe, zu dem an dem genannten Orte sonst alljährlich fast die ganze Bevölkerung hinauszuziehen pflegte. Ich war dem Zufall, der gerade kurz vor dem ersten Austrieb einen großen afrikanischen Thiertransport für den Thierhändler Reiche in Alfeld anlangen ließ, dankbar, daß er mir die Gelegenheit verschaffte, das interessante Schauspiel dieses Stierkampfes zu beobachten und für die Leser der „Gartenlaube“ im Bilde festzuhalten.

Schon am frühen Morgen rief mich das meisterhafte Peitschenknallen, womit der Hirt seine „breitgestirnten glatten“ Pflegebefohlenen aus den Ställen rief, zum schnellen Ausgang, und nun öffneten sich hier und dort und weiterhin die Thüren und Thore, um zum ersten Male den Kühen den Austritt zu gewähren. Es war ein lebendiges Schauspiel. Hier drei oder mehr Kühe, die entweder zum Theil oder alle den Weg von früher her noch kannten und sich von selbst den anderen anschlossen – dort die umständlichsten Anstrengungen, um einzelne, besonders neu gekaufte, Thiere auf den Weg zu bringen. Fast in allen Fällen hatte man sich bemüht, den Thieren zu ihrem ersten Auftreten ein gutes, besonders auch reinliches Aussehen zu geben. Auffallend war die erstaunliche Racenverschiedenheit. Groß und klein, in allen Farben und Formen, die der deutschen Kuh möglich, wandelten sie einher.

Gleich vor der Stadt breitet sich die zunächst benutzte Weide längs der Leine aus. Eine zahlreiche Zuschauerschaft wartete der Dinge, die da kommen sollten. Es waren Augenblicke höchster Spannung, als nun, indeß die Kühe längst schon ruhig grasten, in einzelnen Zwischenräumen die Stiere angetrieben wurden. Dumpf brüllend begrüßten sie zunächst die Heerde, und ihr mächtiger Tritt, der wuchtige Nacken ließ sie stets schnell aus den Kühen herausfinden. Vier waren es an diesem Tage, welche auf dem Schauplatz erschienen und bald ihre Kräfte maßen. Einige schwächere gaben den Streit bald auf und mieden von nun an die Nähe der anderen, zwei aber von ziemlich gleichen Kräften kämpften lange.

Im Gegensatze zu den Schafen, welche, erst rückwärts gehend, mit großer Gewalt auf einander losstürzen, oder den Ziegenböcken, welche, sich aufrichtend, gegen einander stoßen, kämpft der Stier mit seines Gleichen nicht in einzelnen getrennten Stößen, sondern durch ein Gegeneinanderdrängen der gewaltigen gehörnten Stirnen, wobei Jeder dem Andern in die Seiten, zunächst des Halses, zu kommen sucht. Dem Gegner immer die Stirn, als den widerstandsfähigsten Theil zu bieten, ist daher die Angriffs- und die Vertheidigungsmethode zugleich, und je mehr Energie, Kraft und Ausdauer die beiden Kämpen entwickeln, desto spannender und aufregender wird das Schauspiel. Hier war es ein fast einfarbig dunkelbrauner Stier, der an diesem Tag auch den letzten Gegner schlug und zur Flucht zwang, als denselben nach langem Kampf die Kräfte verließen. Und so schien denn der Braue zum Herrscher bestimmt, der sich seine Gesellschafterinnen nach Belieben suchen konnte, denn, wo er erschien, wichen die anderen. Aber es sollte anders kommen.

Als ich am nächsten Morgen schon früh auf der Weide war und mich mit dem Hirten unterhielt, verkündete ein dumpfes Brüllen die Ankunft eines neuen Stieres. Es war ein prächtiges Thier. Fast ganz schwarz, nur mit wenigen weißen Abzeichnungen, zwar nicht sehr groß, aber von einem für seine Gegner unglückverheißenden Knochen- und Muskelbau und selbstbewußter Haltung – so durchschritt er, ohne von den Kühen irgend Notiz zu nehmen oder dem üppigen Gras einen Blick zu widmen die Heerde, als wisse er schon, um was es sich zunächst handele. Die am vorigen Tage schon besiegten Stiere wichen ihm sofort aus; sie hatten auf allen Siegesruhm bereits verzichtet, nicht aber ihr Besieger, der Braune. Als er den herannahenden neuen Gegner, der ihn sehr bald gefunden hatte, erblickte, ging er ihm sofort entgegen, und mit dumpfem Ton krachten die gesenkten Köpfe gegen einander. Der Hirt und ich waren, und zwar mitten in der Heerde, die einzigen Zuschauer an diesem Tage, ich jedenfalls des mir neuen Schauspiels wegen der angeregteste.

Länger als am vorigen Tage dauerte der Kampf. Fast nie trennten sich die gewaltigen Köpfe der Kämpfer von einander; mit eingestemmten Beinen suchte jeder den andern zurückzudrängen und zugleich ihm in die Seite zu kommen, aber es war für den Sieger von gestern schon ein schlimmes Zeichen daß er mehrmals in die Kniee stürzte und nur durch schnellstes Aufraffen dem Einfallen des Gegners in die Flanke begegnen konnte. Ebenso bekundete sich sein Unterliegen schon im Voraus dadurch, daß er immer mehr zurückgedrängt wurde und offenbar an Kräften verlor. Aber noch wehrte er sich und dachte nicht an Flucht. So entfernten sie sich durch das dauernde Zurückdrängen immer mehr vom ursprünglichen Kampfplatze, sodaß die Kühe, welche nur mitunter einen gleichgültigen Blick für das Schauspiel hatten, das doch ihretwegen stattfand, mehrmals weichen mußten. Nur einer der jüngeren besiegten Stiere hatte sich inzwischen genähert und betrachtete sich, wie um Studien für künftige Fälle zu machen, die Kämpfenden. Da – eine schnelle Wendung des Schwarzen, und mit einem Sprunge stieß er dem Gegner die kurzen Hörner seitwärts gegen den Hals. Damit war sein Sieg entschieden. Denn jetzt wendete sich der Getroffene sofort zur Flucht, von dem Sieger nur wenige Schritte verfolgt. Dem jungen Stiere, der sich jetzt auch zurückzog, widmete der nunmehrige Herrscher kaum einen Blick, sondern schien zunächst sein Reich in Besitz nehmen zu wollen. Mit gehobenem Kopfe blickte er um sich, sein dumpfes Gebrüll ausstoßend und dabei mit den Vorderhufen den Boden aufreißend; an mehreren Stellen wiederholte er dies, wie um sich Allen in seiner Bedeutung anzukündigen.

„Der wird bös,“ sagte der Hirt und hetzte seinen kleinen Hund auf ihn, um ihm zu zeigen, daß Jemand Anderes hier herrsche. Der eben noch siegesbewußte, jede Gefahr herausfordernde gewaltige Stier ergriff vor einem kleinen Hunde die Flucht, und damit war die nothwendige Disciplin auch ihm gegenüber festgestellt.

Ein anderes Bild, mehr heiterer Natur, sollte bald folgen. In sauberer Kleidung, mit blanken, blitzenden Milcheimern nahten die jungen Mädchen der Stadt zum Melken der Kühe ihres Herrn oder Vaters, und heute, wo die Milchkühe noch nicht zusammengetrieben wurden, war es eine Hauptaufgabe, die richtige Kuh zu finden und zum Stehen zu bringen. Bei dem Herausfinden der eigenen Kuh bietet die große Racen- und Farbenverschiedenheit eine wesentliche Erleichterung, und nur sehr selten soll eine Verwechselung vorkommen. Hübscher noch war das Bild an den folgenden Tagen, wo alle milchenden Kühe vom Hirten auf einer Stelle vereinigt und nun gemeinschaftlich von der fröhlichen Mädchenschaar gemolken wurden.

H. L.




Chinesische Begräbnisse,“ schreibt uns eine deutsche Frau aus Singapore gelegentlich einer Schilderung des dortigen Lebens, „gehören bei der großen hier seßhaften Anzahl von Zopfträgern nicht zu den Seltenheiten; nicht oft aber findet ein solches mit mehr Pracht und Aufwand wie das der Prinzessin Tan Tock Seng statt, welchem ich beigewohnt habe. Der Trauerzug machte durchaus nicht den Eindruck eines solchen, weit eher rief er mit seinen zahllosen Fahnen seinen seltsam gekleideten Begleitern, seinen Figuren, Pfeifen und schrillen eintönigen Gesängen in mir die Erinnerung an eine Prozession zurück, wie solche in unseren katholischen Städten und Dörfern vorkommen. Prinzessin Tan Tock Seng war im Alter von siebenzig Jahren vor einem Monate schon gestorben; die Leiche, welche kostbare Ringe durch Nase, Mund und Ohren, an Zehen, Händen und Füßen trug, hatte einbalsamirt in dem seit Jahren schon bereit gehaltenen Sarge im Hause gelegen, bis ein den Chinesen als besonders glücklich geltender Tag gekommen war; an einem solchen – es war unser Charfreitag – wurde sie nun endlich nach ihrer letzten Ruhestätte gebracht. Die kräftigen Schultern von vierzig sich langsam fortbewegenden Chinesen stützten den auf einem Divan ruhenden Sarg, dem voran eine abschreckend häßliche Gestalt, den bösen Geist darstellend, getragen wurde. Alle Verwandten der Verstorbenen, in Sackleinwand gekleidet, viele Priester und Gelehrte, eine unabsehbare Menge Chinesen, Männer und Frauen in Weiß, ihrer Trauerfarbe, folgten dem Zuge; auch Europäer nahmen daran Theil, deren jeder zwei Stücke weißen Calico als Trauerflor erhalten hatte. Eine große Anzahl Fahnen, mit chinesischen Inschriften gegen den bösen Geist bedeckt, wurde mitgetragen, und schauerlicher Gesang, untermischt mit grellem Pfeifen, ertönte fortwährend. Endlich hatte der Zug den entfernt gelegenen Hügel erreicht, welcher schon Jahre zuvor von Gelehrten als glückliche Stelle für das Begräbniß bestimmt worden war; einige Priester umschritten, den Compaß in der Hand, das Grab, um genau die Lage der Leiche festzustellen – die Füße müssen direct nach Norden gerichtet sein. Hierauf ward das mitgebrachte Hauptscheusal nebst einigen kleinen Ungethümen, sämmtlich böse Geister repräsentirend, sowie den Fahnen am Grabe verbrannt, aus welchem man durch drohendes Gemurmel und wüthendes Umherschlagen gleichfalls etwa vorhandenes böses Geisterwesen zu bannen suchte. Endlich ließ man den Sarg hinab; in ihm befanden sich außer den drei Gewändern, mit denen die Leiche bekleidet war, noch vier bis fünf kostbare Anzüge, damit es der Prinzessin nicht an Toilette fehle, im Falle der Geist erwachen sollte; ferner wurde Reis auf den Grabhügel gestreut – jener soll auch Nahrung vorfinden. Die Hinterbliebenen nahmen eine mit Grabeserde gefüllte Urne mit. Eine Wache bleibt mehrere Monate lang bei dem Grabe; man mag wohl, wie einst die Aegypter, fürchten, die Schätze der Todten könnten ein Raub habgieriger Hände werden. In einiger Entfernung waren geschmackvolle Zelte mit Erfrischungen für die vornehmen Theilhaber, sowie bescheidenere Buden, in denen zahllosen Armen Essen verabreicht wurde, aufgeschlagen; meiner Schätzung nach muß dieses Begräbniß der Prinzessin Tan Tock Seng den hinterlassenen Söhnen, die zu den reichsten Chinesen der Insel zählen, viele tausend Pfund Sterling gekostet haben.“



Berichtigung. In dem Artikel „Der Arbeiter sonst und jetzt“ von Professor Karl Biedermann (Nr. 19) hat sich in Folge eines Versehens der Redaction ein Fehler eingeschlichen, den wir hiermit berichtigen. Man lese daselbst Seite 323, 1. Spalte, Zeile 21 von unten: Der rühmlichst bekannte Statistiker Professor Victor Böhmert, Director des Statistischen Bureaus in Dresden statt: des Polytechnicums.



Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 360. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_360.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)