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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Australien und die Weltausstellung in Sydney.
Von Richard Oberländer.


Wir leben in einer Zeit rapiden Fortschritts. Wohin wir blicken, treten uns schlagende Beweise dafür entgegen. Wenige Länder aber haben sich mit ihrer politischen und commerciellen Entwickelung so sehr in den Vordergrund gedrängt, wie das ferne Australien, das für die nächsten beiden Jahre die Völker der Erde einladet zum friedlichen Wettstreit auf den Gebieten der Cultur, des Handels, der Industrie und der Kunst.

Sydney und Melbourne waren von jeher zwei unverbesserliche Rivalinnen. Neusüdwales nennt sich stolz die Muttercolonie; Victoria pocht auf seine größere industrielle und commerzielle Bedeutung – keine Colonie will der anderen nachstehen, keine zurückbleiben auf der eingeschlagenen Bahn gesteigerter innerer Entwickelung. Dieser Rivalität ist es zuzuschreiben, daß die Welt Einladungskarten zu zwei schnell auf einander folgenden Ausstellungen erhalten hat.

Es darf nicht geleugnet werden, daß man bei uns, selbst in sonst gut unterrichteten Kreisen, nur unklare Vorstellungen von Australien und der Bedeutung seiner Colonien hat. Man hat sich damit begnügt, es das Land der Gegensätze zu nennen, das eines ehrbaren Mannes Beachtung nicht würdig sei, weil, in Folge der dort aufgefundenen Goldlager, der Abschaum aller Nationen sich nach der Verbrechercolonie gewandt. Natürlich werde man seines Lebens und Eigenthums daselbst nicht sicher und froh – Alles in Allem sei das Land höchstens gut genug zur Besserungsanstalt für ungerathene Söhne und als Zufluchtsort für bankerotte Kaufleute.

Wie sehr hat man den armen Colonisten Unrecht gethan, die in der That eine günstigere Beurtheilung verdienen, denn sie haben in der kurzen Zeit von noch nicht hundert Jahren und unter den gegebenen Verhältnissen geradezu Unglaubliches geleistet.

Es war von jeher für England ein großes Problem, wohin es alle die Vielen schicken solle, welche alljährlich zum Wohle des Vaterlandes dieses Vaterland zu verlassen haben. Als Cook von seiner ersten Reise zurückkam und Banks sein charakteristisches Bild von der Botany-Bai und ihrer Nachbarschaft entwarf, verfiel man sofort auf den Gedanken, dort eine Deportationscolonie zu gründen. Der ungeheuere Raum zwischen dieser Küste und jeder anderen europäischen Colonie, sowie die bemitleidenswerthe Armuth und das tiefe Elend der Eingeborenen ließen diese Gegenden recht geeignet zu einer solchen Niederlassung erscheinen. Auch der Umstand, daß die öde, unfruchtbare Küste einen fast absoluten Mangel an eßbaren Früchten gezeigt hatte, wurde dem Unternehmen günstig ausgelegt; denn man sagte sich, das müsse den Verurtheilten jede Hoffnung auf das Gelingen eines etwaigen Fluchtversuchs benehmen – sie folglich auch von allen solchen Versuchen wirksam abhalten.

Neusüdwales, die älteste der australischen Colonien, ward also gegründet mit dem Abschaum der englischen Gesellschaft, mit Betrügern, Fälschern, Dieben und Vagabonden, die zu Hause nichts arbeiten wollten, und nun in ein fremdes, weit von allen civilisirten Gegenden entferntes Land geschickt wurden, um dort das Ungewohnte zu erlernen; in ein Land, das für den Hungernden kein Wild und keine Früchte und für den Durstigen oft nicht einmal einen Trunk labenden Wassers zu bieten vermochte; in ein Land endlich, dessen eingeborene Bewohner auf der niedrigsten Stufe menschlicher Gesinnung standen, die keine andere Beschäftigung kannten, als rast- und ruhelos von einem Platze zum andern zu ziehen, um nur die Nahrungsmittel zu gewinnen, welche zur Stillung des nagenden Hungers erforderlich waren.

Und welche Pflege wurde der Verbrechercolonie an den fernen Gestaden des südlichen Meeres von Seiten des Mutterlandes zu Theil? Man darf getrost sagen: wenigstens in den ersten Jahren keine. So wenig kümmerte man sich in England um die Strafcolonie in Neusüdwales, daß man zwei Jahre lang vergaß, Lebensmittel hinzuschicken, ja, daß man sich kaum die Mühe nahm, in Europa den wahren Namen der Niederlassung bekannt werden zu lassen; denn Botany-Bai hieß der Verbannungsort für Verbrecher nicht nur auf dem Continente, sondern auch in England selbst, obschon jetzt Jedermann weiß, daß niemals eine Colonie dort gegründet worden, sondern daß die Niederlassung gleich anfangs in dem heutigen Sydney angelegt wurde. Durch Hungersnoth, Militärrevolten und Verbrecheraufstände mußte sich die Colonie hindurcharbeiten, bis sie zu einigermaßen geregelten Verhältnissen gelangte.

Im Laufe von wenigen Jahrzehnten aber haben sich aus der einstigen Strafanstalt an Port Jackson vier blühende Reiche entwickelt, von denen jedes seinen eigenen Gouverneur und sein eigenes Parlament besitzt. Es sind dies Neusüdwales, seit 1788, Tasmanien, seit 1803 colonisirt und seit 1825 als selbstständige Colonie erklärt, Victoria, seit 1836 besiedelt und seit 1850 selbstständig, und Queensland, seit 1859 unter eigener Verwaltung. Außerdem sind aber in dem fünften Welttheile noch zwei englische Staaten entstanden, welche nicht von der Strafcolonie, sondern direct vom Mutterlande aus bevölkert wurden; diese sind: Westaustralien, die Colonie am Schwanenfluß, seit 1829, und endlich Südaustralien, im Jahre 1853 gegründet.

Alle diese Niederlassungen gedeihen; viele ihrer Einwohner sind zu Wohlstand, manche zu großen Reichthümern gelangt; die Wissenschaften werden eifrig gepflegt und gefördert; insbesondere werden große Anstrengungen für vollständige Erforschung des Binnenlandes gemacht, und menschliche Gesittung dringt unaufhaltsam weit vor in die Einöden und in die Wildnisse eines zum großen Theil noch unbekannten Continents.

Fragt man aber, durch welche Wundermittel diese Umwandlung eines Zuchthauses in blühende Staatswesen geschehen, wie eine so großartige und so ganz ohne Beispiel dastehende Eroberung für die Cultur der Menschheit vollbracht werden konnte, so läßt sich nur zur Antwort geben: durch die aufrichtig und rückhaltlos durchgeführte Selbstregierung, welche ihnen das Mutterland jederzeit gewährt hat.

Freilich hat an diesem Aufschwunge auch der bis vor fünfundzwanzig Jahren noch ungeahnte glückliche Umstand seinen großen Antheil, daß Australien bis jetzt das reichste Goldland der Welt ist. Indessen auch in den Gegenden, in welchen der Boden keine Schätze in Gestalt von Goldkörnern birgt, haben die Menschen auf dem Gebiete des Ackerbaues, der Industrie und des Handels durch redlichen Fleiß goldene Früchte geerntet, und die Südaustralier, die vor vierzig Jahren selbst nichts zu essen hatten, haben seitdem nicht nur alles Getreide, was sie brauchten, gebaut, sondern führten auch noch in jedem Jahre für viele Millionen Mark Weizen aus.

Ueberhaupt hat die Ausfuhr aus den australischen Colonien schon seit Jahren eine Höhe erreicht, die im Verhältniß zur Zahl ihrer Bewohner staunenswerth genannt werden muß. Queensland, Neusüdwales, Victoria, Südaustralien und Westaustralien hatten im Jahre 1876 nicht viel mehr als anderthalb Millionen Einwohner, in demselben Jahre aber wurden aus diesen fünf Colonien für 29 Millionen Pfund Sterling ausgeführt und die Einfuhr erreichte die Summe von über 26 Millionen Pfund Sterling.

Neben diesen enormen Zahlen, welche den australischen Handel repräsentiren, zeigt auch die Zahl der wichtigsten Hausthiere die außerordentlichen Fortschritte, welche die englischen Niederlassungen in Australien machen. Im Jahre 1825 gab es in ganz Australien 6142 Pferde, 134,515 Stück Rindvieh und 237,622 Schafe, 1876 zählte man aber in den oben genannten Colonien zusammen 859,066 Pferde, 6,737,215 Rinder und 51,898,925 Schafe.

Nur ein einziger trüber Zug stört dieses Bild: das ist das Schicksal der unglücklichen Eingeborenen des Landes, welche dem Untergange geweiht sind. Die hier zusammenwirkenden Ursachen sind sehr verschieden: der Branntwein und von Europäern mitgebrachte Krankheiten, wie die Pocken, haben dazu beigetragen, mehr noch der Umstand, daß die Ansiedelungen der Hirten große Räume Landes für die Heerden in Beschlag nahmen und ganze Stämme auf einmal ihrer Opossum- und Kängurureviere beraubt wurden. Das geschieht fort und fort, und wird an den Grenzen der Colonien stets von Neuem Veranlassung zu Conflicten geben, die erst mit dem Aussterben der Eingeborenen endigen werden. Denn nicht durch Vertrag und Kauf wird das Land erworben. Sobald irgend ein frischer Weideplatz zufällig oder durch danach

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 353. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_353.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)