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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


No. 21. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Im Schillingshof.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Der Rath sah seinen Knaben mit Lust und Stolz aufwachsen, wie aber die Majorin über das unruhige Blut, die seltsamen Gewohnheiten und die Charakteranlagen dieses doch gewiß echten Wolfram’s dachte, darüber schwieg sie, wie über Alles, was ihren Bruder anging. Es war ihr nur einmal eine rügende Bemerkung über die Gemüthsart des Knaben entschlüpft, und da hatte der Rath spitz geantwortet:

„Auch an den Wolfram’s modeln die Zeitverhältnisse; mit dem stillen Arbeiten und Sparen, der Principienreiterei im engen Kreise ist’s nicht allein mehr gethan, meine gute Therese – jetzt heißt’s, den Mitlebenden die Stirn bieten, die Zähne weisen, und dazu ist mein Junge wie geschaffen, er wird seiner Zeit gewachsen sein.“

Seitdem beschränkte sie sich auf die leibliche Verpflegung des Knaben, und wenn ihr auch oft, bei berechtigten Klagen des Gesindes, die Augen zornig glühten, so antwortete sie doch nur mit Achselzucken oder einer stummen Handbewegung nach der Amtsstube, als der höchsten Instanz, hin.

Sie war überhaupt noch wortkarger geworden als zuvor; die Milchholenden behaupteten, selbst der kurze Abendgruß werde ihr blutsauer. Drunten in der Wirthschaft ruhten und rastete ihre fleißigen Hände nicht einen Augenblick, aber oben im Giebelzimmer lagen sie meist feiernd im Schooße, als seien sie todtmüde. Dann saß sie hinter dem weißen Ahorntische und sann; in den ersten Jahren sah sie befriedigt, ja, mit einem rachegesättigten Ausdruck auf die leere Stelle im hellgetünchten Fensterbogen, wo früher das Bild des Sohnes gehangen; denn es war, als habe sie aus dem ganzen Dasein ihres Kindes nur einen einzigen Eindruck in ihrer Seele zurückbehalten – den Moment, wo das verschleierte Mädchen an seiner Seite über die Mutter triumphirt hatte. Später aber suchten ihre Augen diese Stelle nicht mehr; sie irrten vorüber und starrten ziellos hinaus in’s Weite, diese eigensinnigen, strengen Augen, die früher geflissentlich nie über das Weichbild ihrer Häuslichkeit in’s Leere hinausgesehen hatten – denn ein müßig verschleuderter Augenblick hatte ja Geldwerth. Nur das Nachbargebiet vermieden sie consequent; die Majorin wußte sehr gut, daß ihr Sohn die letzte Nacht im Schillingshofe verbracht hatte und dort in seiner Opposition gegen den mütterlichen Willen bestärkt worden war.

Es existirte überhaupt nicht der geringste Verkehr zwischen dem Schillingshof und dem Klostergut; nicht einmal das Ableben des alten Freiherrn war drüben angezeigt worden. Einmal aber hatte Baron Schilling den Weg der Majorin gekreuzt, und zwar in der Absicht, sie zu sprechen. Sie war, was eigentlich nicht oft geschah, in der Kirche gewesen, und auf dem Heimwege hatte er sie angeredet und ihr nach einer längeren Einleitung, die sie in regungslosem Schweigen angehört, einen Brief von Felix hingereicht. Sie hatte nur die Farbe gewechselt und sich steif emporgereckt – der junge Mann behauptete damals, sie sei förmlich gewachsen vor seinen Augen – hatte ihn von oben bis unten mit einem vernichtenden Blick gemessen und eisig höflich gesagt: „Ich verstehe nicht, von wem Sie reden, Herr Baron, und habe durchaus keinen Grund, einen Brief anzunehmen, denn ich correspondire mit Niemand.“ Damit hatte sie abweisend nach dem Schreiben gedeutet und war weiter gegangen, und er hatte es verschworen, diesen Eiszapfen, wie der alte Freiherr die Frau genannt, nie wieder zu behelligen.

So erfuhr sie nie, unter welchem Himmelsstrich ihr Sohn lebte. Sie wußte nicht, daß sein Vater ihn und sein junges Weib in der That mit offenen Armen empfangen und das junge Paar sofort mit wahrhaft fürstlichem Glanz und Reichthum umgeben hatte – und es war gut so; sie wäre gestorben an dem Seelensturm der Erbitterung, der rachsüchtigen Wallungen und doch auch – des Mutterschmerzes. Sie erfuhr aber auch nicht, daß der amerikanische Bürgerkrieg seine Wogen am verheerendsten über das reiche Südcarolina wälzte, so verheerend, daß die Pflanzer-Aristokratie des Südens, unter deren Banner ja auch Major Lucian stand, Schritt für Schritt kämpfend, auf dem eigenen Grund und Boden zurückweichen mußte, um schließlich zu unterliegen.

Vielleicht hätte die Nachricht von dem Ende des Mannes, dessen Namen sie trug, erlösend auf die innere Erstarrung dieser Frau gewirkt – denn mit dem Schluß eines Menschenlebens pflegt der Tod die Gläser zu zerbrechen, durch welche die verfolgenden Leidenschaften den Gegner im Leben gesehen; in dem Wörtchen „todt“ zischen die nachzüngelnden Flammen aus, wie das glühende Metall beim Niedersturz in die Wassertiefe – aber es kam ihr nie zu Ohren, daß Major Lucian, schon länger gebrochen an Kraft und Gesundheit, inmitten jener Kämpfe gestorben war. Sie gedachte noch täglich des Spruches: „Des Vaters Segen bauet den Kindern Häuser, aber der Mutter Fluch reißt sie nieder“ mit Genugthuung, und steifte sich in ihrem grollerhitzten Sinnen und Grübeln hartnäckig darauf, daß jene biblische Verheißung sich erfüllen müsse – während ihr unglücklicher Sohn,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 345. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_345.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)