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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Ich selbst habe bei meiner Anwesenheit auf Sicilien einen solchen Fall beobachtet. Die Frau eines sehr wohlhabenden Kaufmannes hatte sich eine unfehlbare Terne in den Kopf gesetzt; der Ehemann, dem die Geldopfer allmählich zu stark wurden, hatte dem Diener, der die wöchentliche Besetzung der Nummern zu besorgen pflegte, ohne Wissen der Frau verboten, noch fernere Einsätze zu machen und ihm aufgetragen, das zu diesem Zwecke von der Gebieterin empfangene Geld dem Herrn abzuliefern. Irgend ein Traum und die bezügliche Deutung desselben ließen die spielende Gattin eines Tages von der unmittelbar bevorstehenden Ziehung sicheren Erfolg erwarten; sie händigte dem Diener deshalb die für Lotto-Einsätze beträchtliche Summe von 30 Lire für jede Nummer der Terne, in Summa also 90 Lire, ein und äußerte beim Frühstück, heute müsse man ihr das Geld in einem Wagen vor’s Haus fahren – so bedeutend würde der Gewinn sein. In dieser festen Erwartung harrte sie der Entscheidung – sie fiel zufällig aus, wie der Traum es verkündigt; die seit zwei Jahren „gepflegte“ Terne war herausgekommen, aber der Diener hatte angesichts des Verbotes seines Herrn nichts gewagt, die erhaltenen 90 Lire zu setzen, wohl aber, um der Herrin auf der anderen Seite eine kleine Freude zu bereiten, 90 Centesimi (nicht ganz 1 Lira) gesetzt. Als der Frau bekannt wurde, daß sie statt der erwarteten Franken nur elende Pfennige erhalte, wurde sie wahnsinnig, und der Herr – echt italienisch – entließ den Diener des Dienstes, weil derselbe nicht verstanden hatte, zu rechter Zeit ungehorsam zu sein. Dies geschah in einer verhältnißmäßig gebildeten, im Wohlstande lebenden Familie; was soll man nach solchen Vorgängen von den Ungebildeten und Armen erwarten?

Die Unsittlichkeit, deren der italienische Staat sich durch Verwerthung der Spielleidenschaft schuldig macht, wird durch die fast naturnothwendige Erzeugung der geschilderten Schwindelspeculation erst zu voller verderblicher Wirkung geführt. Die einfache, wenn auch regelmäßige Betheiligung am Lottospiel, so schädlich sie namentlich in wirthschaftlicher Beziehung ist, erscheint wie ein unschuldiges Kinderspiel im Vergleiche mit der dämonischen, nichts selten zum Wahnsinn und Verbrechen führenden Leidenschaft, welche durch jene Schmarotzer und ihr unsittliches Treiben geweckt wird. Wer in ihren Netzen sich einmal gefangen, der verliert nicht nur jede Lust zu ehrlicher Arbeit, deren Ertrag, mit den in sicherer Aussicht stehenden Goldhaufen verglichen, ihm verächtlich erscheint, sondern er verliert auch jedes menschliche Gefühl; die traurigsten Familienereignisse, das ganze Land betreffende Unfälle erscheinen Hunderttausenden nur als Hinweise für gewisse Lottonummern; der Gottesdienst wird zu keinem anderen Zwecke als zur Ermittelung unfehlbarer Ternen besucht; die inbrünstigsten Gebete an die Madonna und die Heiligen gelten nicht selten der geliebten Terne; Messen werden gelesen für den Erfolg der Terne; Mütter lassen die Kinder, Kinder die greisen Eltern darben, um eine todte Zahlenzusammenstellung zu „pflegen“; nichts ist so heilig , das nicht dem unseligen Glauben geopfert, nichts so abscheulich, das für ihn nicht begangen würde.

So lange das Lotto selbst besteht, werden auch jene Schmarotzer ungestört ihr Wesen forttreiben können, durch deren Thätigkeit die ganze und volle Verderblichkeit des Spieles erst eigentlich erzeugt wird. Und daß dieses Schmarotzerthum den „goldenen Boden“ hat, den das „Handwerk“ leider nur zu oft verloren, dafür zeugt gewiß die Thatsache, daß in den italienischen Zeitungen sogar ein „Professor der Mathematik“ in Berlin und ein „Mathematicus“ in Wien den italienischen „Kabbalisten“ Concurrenz machen – das verhältnißmäßig theuere Porto, die hohen Kosten der fast täglichen Inserate in italienischen Zeitungen, das alles muß von dem lottospielenden Italiener bezahlt werden; der Berliner „Professor“ und der Wiener „Mathematicus“ aber werden über den Schmutz von Sünde und Elend, der außer dem natürlichen Schmutze an den aus Italien einlaufenden Zehnlirescheinen klebt, gleich der italienischen Regierung von heute und dem römischen Imperator von einst mit dem classischen Worte sich trösten: „Non olet!“

Fl. Korell.


Blätter und Blüthen.


Der Riedel’sche Chorverein zu Leipzig feiert am 17. Mai dieses Jahres die Erinnerung seines fünfundzwanzigjährigen Bestehens. Die Gründung, Fortentwickelung und Blüthe dieses Instituts sind für das gesammte Kunstleben von solcher Bedeutung, daß wir es für unsere Pflicht halten, den Ehrenbezeigungen, welche dem Verein und seinem Stifter und Leiter, Professor Karl Riedel, an diesem Tage zu Theil werden, auch unsere Glückwünsche hinzuzufügen. Von allen Künsten ist die Musik die volkstümlichste; von allen ist die Gesangmusik die einzige, welche einer Menge Menschen zugleich Gelegenheit giebt, sich wahrhaft künstlerisch zu bethätigen, die einzige in welcher der Dilettantismus nicht blos Sache des Vergnügens zu sein braucht, sondern künstlerisch zur Darstellung der herrlichsten und großartigsten Tonschöpfungen verwerthet werden kann. Daß hierdurch die Musik eine Bildungskraft in ästhetischer Beziehung erhält, wie keine andere Kunst, indem der bei Hervorbringung des Musikwerkes mitwirkende Laie genöthigt wird, sich bewußt in alle Einzelschönheiten desselben zu vertiefen, giebt gerade dieser Musikgattung noch einen besondern Werth; er kommt um so mehr zur Geltung, wenn, wie es im Riedel’schen Chorverein von Anfang an unentwegt geschehen ist, strenge, reine Kunstpflege ohne alle weiteren geselligen und vergnüglichen Nebenzwecke als Aufgabe betrachtet wird. Zudem wählte Riedel in einer Zeit, als in der altberühmten Musikstadt Leipzig, der Stadt Sebastian Bach’s, die höhere religiöse Tonkunst Pflege fand, zum Felde seiner Wirksamkeit gerade dieses Gebiet, auf dem die meisten Kunstepochen ihre höchsten musikalischen Offenbarungen erlebt haben. Das sind die Momente, auf Grund deren sich der Riedel’sche Verein, aus kleinen Anfängen, immer seinen idealen Zweck im Auge behaltend, zu einem weltberühmten Kunstinstitut entwickelt hat.

Durch sein Beispiel sind in vielen anderen Städten Vereine verwandten Charakters entstanden, deren unübertroffenes Vorbild er ist. Die hohe culturelle Bedeutung dieser Art Kunstpflege kann nicht genug hervorgehoben werden, und es war nur ein kleines Zeichen gerechter Anerkennung, wenn sie in einer der letzten Sessionen des Reichstages durch den Abgeordneten Dr. Loewe-Calbe rühmend hervorgehoben ward. Und wem verdankt dieser Verein seine Stellung, seinen Ruf, seine Fähigkeit, die schwierigsten und großartigsten Oratorien alter und neuer, fremder und deutscher Meister zu musterhafter Darstellung zu bringen, ohne erhebliche Opfer seitens seiner Mitglieder? Allein der Kraft und Energie eines einzelnen Mannes, seines opferfreudigen Gründers. Opferfreudigkeit, diese hohe Tugend des echten Künstlers, hat Riedel in hohem Grade entwickeln müssen, ehe er sein von vornherein fest vorgezeichnetes Ziel in solcher Weise erreichte. Schon früher hat die „Gartenlaube“ (vergl. den Artikel „ein Dilettantenverein und sein Dirigent“ von Prof. J. C. Lobe, Jahrgang 1869, S. 564) ein ausführliches Bild des dornenvollen Pfades gegeben, welchen Riedel bis zur glücklichen Ausführung seiner Idee zurücklegen mußte. Noch heute besteht der Verein wesentlich durch Riedel’s Wollen und Können. Ganz im Geiste dieses Kunstinstituts ist die Art, wie nunmehr das Fest seines fünfundzwanzigjährigen Bestehens begangen werden wird. Mittelpunkt desselben bildet die Aufführung einer bedeutenden bisher noch nicht dargestellten Tonschöpfung, der „Messe in B, für Doppelchor, Solostimmen und Orchester“ des begabten Componisten Albert Becker, zu welcher am 17. Mai die Freunde und Schüler Riedel’s und seines Vereins, darunter manche Koryphäe unseres Musiklebens, aus weiter Ferne als Gäste sich einfinden werden. Das weitere Gedeihen des Vereins unter Riedel steht außer Frage. Möge die Zukunft des verdienstvollen Instituts frei bleiben von jenen mannigfachen Kämpfen und Sorgen, an denen seine Vergangenheit so reich gewesen ist!




Die Londoner “Citadelle Mammon’s” (vergl. Nr. 7 der „Gartenlaube“) hat bereits vor längerer Zeit eine Nachahmung gefunden, welche für bescheidenere Verhältnisse, als die des englischen Geldschatzes sind, paßt und hinsichtlich der Sicherheit dasselbe leistet, wie jene Depositen-Bank in London. Es ist dies das dem Publicum zur Benutzung dargebotene gegen Feuer und Einbruch sichere Gewölbe der Firma Jordan und Minoprio zu Frankfurt am Main. Dieses Gewölbe enthält an zwei Seiten dreihundert unbewegliche eiserne Cassetten. Jede Kassette hat zwei Schlösser, von denen das eine nach Angabe des Interessenten angefertigt wird und durch den ausschließlichen Besitz des Schlüssels nur diesem zugänglich bleibt, während die Firma über das andere Schloß sammt Schlüssel verfügt. Die Wände und die Thür zu dem Gewölbe bekleiden starke Stahlpanzer.

Während der Geschäftsstunden ist das Gewölbe stets geöffnet. Zwei separate Zimmer stehen zur alleinigen Verfügung der Cassetten-Inhaber, damit diese alle geschäftlichen Arbeiten an ihren Effecten, Documenten und sonstigen Werthpapieren, wie Abtrennung von Coupons, Anfertigung von Bordereaux u. dergl. m. ungestört vornehmen können.

Offenbar ist diese Einrichtung geeignet, schon wegen ihrer geringeren Kostspieligkeit, auch in kleineren Städten als Frankfurt a. M. Eingang zu finden. In Frankfurt spricht, wie uns versichert wird, eine zweijährige Erfahrung für diese feuer- und diebesfesten Gewölbe.




Kleiner Briefkasten.

M H. in Bützow. Den Erlös Ihrer Liebhabertheatervorstellung mit Dank erhalten! Wir zahlten, Ihrem Wunsche gemäß, 225 Mark für Schwetz an das hiesige „Tageblatt“ und quittiren über die gleiche Summe für Szegedin hiermit ordnungsgemäß.

Fr. R-dt in Berlin. Leider der reine Dilettantismus.

E. W. in Dresden. Wir können Ihnen aus unserer Kenntniß nur die „Illustrirte Zeitung für Gabelsberger’sche Stenographen“ (Expedition: Leipzig, Emilienstraße 22) nennen. Weitere Auskunft könnte Ihnen Pobolsky’s Centralstelle für stenographische Literatur hierselbst ertheilen.



Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_344.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)