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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


die Einwohnerschaft nach des Tages Last und Arbeit sich an frischer Luft erlaben konnte. Den Rhein entlang, da wo wir vom Dampfschiffe aus eine entzückende Anlage gesehen haben, zog sich ein schmaler mit Weiden bewachsener Leinpfad, auf dem kaum zwei Menschen neben einander gehen konnten. Nur mit Mühe war es möglich geworden, für die Prinzessin Luise, jetzige Großherzogin von Baden, einen Platz ausfindig zu machen, wo sie sich mit Altersgenossinnen frei in Licht und Luft tummeln konnte. Die Herrichtung dieses Platzes, der noch heute den Namen der Großherzogin trägt, gab den Anfang zu den Rheinanlagen, welche mit ihren dunklen Laubgängen und zierlichen Landhäusern, mit ihren Statuen und Vasen, ihren poetischen Ruheplätzen und eleganten Erholungsorten eine der eigenthümlichsten und reizvollsten Schöpfungen der Garten- und Landschaftskunst bilden. All dies ist eine Schöpfung der Kaiserin Augusta.

Bei Anlage der rheinischen Bahn war dem Rheine durch Ausbaggerung Terrain abgewonnen worden, und auf diesem Grunde beschloß die Kaiserin zu bauen. Jahr für Jahr fuhr sie in der Erweiterung stetig fort. Mehr als einmal wurden die mit großer Mühe gemachten Anpflanzungen verwüstet, endlich aber Mühe und Aufwand durch den herrlichsten Erfolg gekrönt: Im Jahre 1865 war die den Raum einer halben Meile einnehmende Anlage fertig und wurde der Stadt von der Kaiserin als Geschenk übergeben. Aus dem kahlen, öden, unschönen Leinpfad, der sich bis zum Fluß hinabzog, war ein zauberhaftes Gelände geworden, bis zu dem die schwersten Rheinschiffe anfahren konnten. Die Anlagen beginnen am Königsbogen, so benannt von den kolossalen Medaillons der beiden königlichen Brüder: Friedrich Wilhelm’s des Vierten und Kaiser Wilhelm’s. Die Wand der Festungsmauer deutet in ihren Emblemen auf das fünfundzwanzigjährige Verweilen des jetzt kaiserlichen Paares in Coblenz. Aber ein darunter befindliches kleines Monument, der „Wacht am Rhein“ gewidmet, bezeichnet einen ernsten Moment aus jüngerer Zeit. An dieser Stelle, von einer großen begeisterten Volksmenge umgeben, schied am 12. Juli 1870 König Wilhelm nach den entscheidenden Tagen von Ems von seiner in Coblenz zurückbleibenden Gattin, um, nach Berlin reisend, daselbst die Kriegserklärung vorzufinden, die bereits am 13. Juli ganz Deutschland zu den Fahnen rief. Rauch’s Victoria-Statue in antiker Umgebung bildet den Vordergrund dieses monumentalen Platzes, der mit einer Erinnerungssäule abschließt, gewidmet den Verdiensten der Rheinischen Eisenbahn-Gesellschaft als Erbauerin der Rheinbrücke. An beiden Seiten bieten antike marmorne Ruhebänke, von großen Gascandelabern überragt, dem Ermüdeten eine Ruhestätte; Gehänge von wildem Wein umkleiden die Mauern und eröffnen, die scharfen Contouren der Bogenarchitektur verdeckend, die Aussicht auf die Anlagen, auf den Rhein, auf die Berge der Eifel, auf Stolzenfels – kurz, auf eines der schönsten Landschaftsbilder Deutschlands. Das entgegengesetzte Ende der Anlagen wird vom Muschelplatz gebildet, einer Rotunde von mehreren rundgezogenen Lauben, die, von Schlingpflanzen überwuchert, mit Muscheln jeder Form aus Fayence phantastisch decorirt sind. Zwischen diesen beiden Endpunkten ziehen sich die Rheinanlagen hin, bald sich erweiternd, bald sich verengernd, immer mannigfaltig, immer neu, immer überraschend, wobei Landschaft mit Werken der Sculptur in reizvollster Weise abwechselt. Rechts hinter einem Denkmale des begeisterten deutschen Sängers Max von Schenkendorf hat die Kaiserin einen weiten Spielplatz für Kinder aller Stände einrichten lassen. Weiterhin ist ein Croquetspielplatz für Erwachsene hergerichtet. Eine Säule trägt die Namen derjenigen Männer, welche der Kaiserin bei Anlage ihres Werkes fördernd zur Seite gestanden, voran den des großen Gartenkünstlers Lenné, eines geborenen Coblenzers. Eine graziöse Schöpfung ist ein Pavillon von Gußeisen mit dem anmuthigsten Arrangement von wildem Wein, der im Sommer Schutz vor der Gluth der Sonne bietet. Hier werden Erfrischungen geboten und Zeitungen gelesen. Die innere Einrichtung des Pavillons ist mit einer kleinen Bibliothek, mit Spielen, überhaupt mit solchen Dingen ausgestattet, die zur anständigen Unterhaltung der Gäste dienen können. Nicht weit davon gewährt ein Observatorium alle Mittel, sich physikalisch und geographisch zu orientiren. Der Mittelpunkt der ganzen Anlage aber ist die Trinkhalle, ein in Schweizerstil errichtetes Gebäude. Es schaut wie ein liebliches Kindergesicht aus den Bosquets. Ein freier, offener, balconartiger Platz davor ist fast in den Rhein hinein gebaut. Hier ist im Sommer der Sammelpunkt der gebildeten Stände von Coblenz und der Fremden, die sich behaglich dem Genusse der Natur widmen, während die Kunst ihnen jede Woche Concert von dem Militärorchester bietet. Bei den Concerten erscheint oft die Kaiserin mit ihrer Umgebung inmitten des Publicums sitzend und verkehrend. Hier war auch, bei dem schon erwähnten Besuche im Jahre 1870, ihr hoher Gemahl noch einmal an ihrer Seite im Kreise der Bevölkerung erschienen. Von nah und fern war Alles herbei geströmt. Die Sorge für die Zukunft lag Allen schwer auf dem Herzen, und bewegt von Begeisterung und Liebe hingen Aller Blicke an dem Königspaare. Das Erscheinen des Königs war ein Abschiednehmen – das wußte Jedermann. Als das Königspaar den Heimweg antrat, zog die ganze große Versammlung ihm nach bis zu dem Pförtchen – still, lautlos, weil im Tiefsten bewegt.

Durch dieses Pförtchen in der Festungsmauer pflegt die Kaiserin ihren Spaziergang anzutreten. Von dort aus zog auch sie hinweg in den Kreis werkthätigen Schaffens, in den Bereich des deutschen Centralvereins, des Vaterländischen Frauenvereins und des Berliner Lazarethvereins.

Uebrigens ist, wie zum Schluß bemerkt sein mag, die Entwickelung der Rheinanlagen noch keineswegs abgeschlossen; so wird von der Muschelrotunde aus gegenwärtig eine Waldpartie angelegt, welche sich bis zur Brücke der Berlin-Metzer Bahn erstrecken und dem herrlichen Schmuck dieser Anlagen einen neuen Edelstein hinzufügen soll.




Die Schmarotzer des italienischen Lotto.[1]


Ueber die unheilvollen Einflüsse, welche das Lotto auf Moral und Vermögen des italienischen Volkes übt, über die Unsittlichkeit dieses gefährlichsten aller Hasardspiele ist auch in der „Gartenlaube“ schon in erschöpfender Weise geredet worden. Es mag hier nur noch kurz hervorgehoben werden, daß in acht oder neun italienischen Städten ebenso viele selbstständige Lottos bestehen, welche allwöchentlich je eine, mithin acht oder neun, das heißt jährlich über 400 Ziehungen veranstalten, und daß vorsorgliche Einrichtungen getroffen sind, welche jedem Italiener gestatten, an sämmtlichen 400 Ziehungen mit dem Minimaleinsatze von 10 Centesimi sich zu betheiligen. Der ungeheuere Tribut, welchen der Staat aus der Ausbeutung der Spielwuth seiner Unterthanen bezieht, läßt sich ermessen, wenn erwogen wird, daß die Reineinnahme aus dem Lotto jährlich etwa 70 Millionen Lire beträgt. Ueber den Bruttoertrag liegen mir zwar keine Zahlen vor, wenn man aber nur das Heer von Beamten mustert, welches die Verwaltung dieser in den kleinsten Orten vertretenen „Staatseinrichtung“ unterhalten muß, so leuchtet ein, daß die Gesammtsumme dieser namentlich von den Aermeren zu zahlenden Spielsteuer jene 70 Millionen jährlich noch um ein Bedeutendes übersteigt. Der geringe Betrag des Minimaleinsatzes gestattet auch dem Aermsten, seiner Leidenschaft zu fröhnen – denn wer wäre außer Stande, an den für die nothwendigsten Lebensbedürfnisse erforderlichen Ausgaben nicht wöchentlich zehn Centesimi zu sparen, um sie auf dem Altare des Spielteufels und – des Vaterlandes zu opfern! Die Thränen und das Blut, welche an diesem Sündengelde kleben, vertrocknen über kurz oder lang, und die italienischen Finanzmänner trösten sich über etwaige schamhafte Anwandelungen heute mit demselben „Non olet“ („Geld riecht nicht“), mit dem einst ein römischer Kaiser sich tröstete.

In der That zählt die italienische Criminalistik Fälle in wahrhaft erschreckender Menge auf, in welchen Verbrechen gegen das Eigenthum oder das Leben auf die vom Staate concessionirte Spielleidenschaft zurückzuführen sind. Doch diese schlimmsten Seiten des schlimmen Institutes sind es nicht, mit denen die

  1. Wir bemerken daß die nachstehend geschilderten Verhältnisse in vollem Umfange auch in Oesterreich-Ungarn bestehen.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_342.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)