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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


No. 20. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Im Schillingshof.
Von E. Marlitt.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Felix war einige Male erregt im Zimmer auf- und abgeschritten – Röthe und Blässe, Jubel und Wehmuth kämpften abwechselnd auf seinem schönen Gesicht – jetzt blieb er vor Lucile stehen. Sie sprang auf und warf sich mit leidenschaftlicher Heftigkeit an seine Brust.

„Und wirst Du mit mir gehen, Lucile?“ fragte er mit erschütterter Stimme.

„Ja, natürlich, Du närrischer Felix!“ lachte sie. „Sofort, stehenden Fußes, wie ich da bin! Himmel, eine Seereise! Das wird ja noch viel toller und lustiger, als ich mir je hätte träumen lassen. Nach Amerika gehen wir? Doch jedenfalls nach dem brillanten New-York?“

„Nein, schönes Kind, direct nach den Südstaaten, nach dem reichen Plantagenstaat Südcarolina. Freund Lucian ist ein Baumwollenbaron geworden; er hat von seinem Schwiegervater bedeutende Besitzungen ererbt. Diese Herren Pflanzer spielen dort eine Rolle, vor der sich unsere heutige Aristokratie verkriechen muß – sie sind in Wirklichkeit Feudalherren. Lucian’s Schwiegervater ist ein Spanier aus Florida gewesen, und der Schilderung nach hat das Leben auf der Plantage einen stolzen Zuschnitt, wie kaum ein deutsches Fürstenhaus.“

Mit einem ausdrucksvollen Lächeln winkte er Felix näher an sich heran. „Siehst Du, mein Junge, das mütterliche Erbtheil, das sie Dir hundsföttischer Weise entziehen, kannst Du ruhig verschmerzen – Dein Vater sammelt und legt seit Jahren für Dich zurück, und wenn er Dir auch nicht die Plantagen selbst hinterlassen kann“ – er hielt inne, schlug das Seidenpapier aus einander und nahm eine Elfenbeinplatte heraus – „denn Du hast eine Schwester, Felix; es ist eine dreizehnjährige Tochter zweiter Ehe da – das ist sie.“

Mit diesen Worten hielt er dem freudig bestürzten jungen Mann ein Miniaturgemälde hin. Lucile kam geflogen und drängte Felix in athemloser Spannung und Neugier fast zur Seite; auch Baron Schilling sprang auf und näherte sich; nur die junge Frau blieb gleichmüthig sitzen. Sie wiegte die Augen tief gesenkt, mechanisch den Theelöffel auf der Fingerspitze, und wäre ihr nicht eine leichte Röthe innerer Bewegung auf Wangen und Schläfen getreten, so hätte man meinen können, sie habe keine Ahnung von dem, was um sie her vorgehe.

„Ist sie nicht ein reizendes Kind, diese kleine Mercedes?“ fragte der alte Freiherr.

„Das ist doch kein Kind!“ murrte Lucile. „Ein dreizehnjähriges Mädchen soll sie sein und sieht Einen doch an mit einem Hochmuth, einer Ernsthaftigkeit, wie ein stockgelehrter Professor! Geh, Felix! Ich bin eifersüchtig,“ schmollte sie. „Wirst Du sie lieben?“

„Ja, Lucile, das werde ich, wenn ich auch fürchte, daß sie mir kein Herz entgegenbringt; ihre Züge sind herb und stolz –“

„Nicht wahr? Und bucklig ist sie auch – darauf kannst Du Dich verlassen, Felix. Wer eine hübsche Gestalt hat, der läßt nicht blos seinen Kopf malen – das thut Keine – da will ich gleich meinen kleinen Finger verwetten. Der Kopf da schwimmt ja wie abgehackt auf den Wolkenpartien –“

„Nein – er taucht aus den Wolken in engelhafter Schönheit,“ sagte Baron Schilling, ohne den Blick von der längst unmodern gewordenen, aber köstlichen Malerei zu wenden. „Das kleine Bild ist ein Meisterstück.“

„Ein alter Künstler, der bei Lucian lebt und von ihm hochgeschätzt wird, hat es gemalt,“ bemerkte der Freiherr. „Ich sage auch, das ist ein Kopf, der’s Einem anthut. Mir armem, altem Krüppel wurde gestern ganz warm und weh um’s Herz bei den jungen Augen da. – Von ihrem Vater hat sie übrigens keinen Zug –“

„Von Felix auch nicht!“ warf Lucile tiefbefriedigt ein. „Die gelbe Haut, und das fabelhaft dicke, schwarze Haar –“

„Mit seinen aufgestreuten blaufunkelnden Lichtern findet man nur unter den Tropen,“ ergänzte Baron Schilling. „Für mich wäre das ein Studienkopf von unschätzbarem Werthe.“

„Kannst das Bild behalten, Arnold; hast auch Theil dran,“ sagte der alte Herr lebhaft – über seine Stirn lief es wie ein düsterer Schatten hin. „Der gute Lucian, er glaubt, im Schillingshof sei noch Alles beim Alten – unsere Correspondenz hat längere Zeit gestockt; die Krankheit seiner Frau war schuld – nun schreibt er mir, sehr post festum, Du möchtest die Juristerei und den deutschen Edelmann an den Nagel hängen und zu ihm kommen; er habe so allerlei sehnsüchtige Wünsche und Hintergedanken; ich solle Dir, so gut wie Felix, seine Mercedes zeigen und – nun, das Uebrige kannst Du Dir schon denken.“

Eine Blutwelle schoß bis unter das krause Haar des jungen Mannes; er legte die Elfenbeinplatte vorsichtig, aber so schnell auf das Seidenpapier zurück, als glühe sie ihm an den Fingerspitzen. Eine Hand hatte sich einen Moment schwer auf seine Schulter gelegt – seine Frau glitt, mit einem Seitenblick das Bild streifend, hinter ihm weg, um ihre Handarbeit von dem kleinen Tische zu holen.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 329. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_329.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)