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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Verwundeten und Verkrüppelten einer traurigen Zukunft entgegensahen, da traten mehrere hervorragende Politiker zusammen, um dieser Noth abzuhelfen. Unter ihnen war es hauptsächlich General Butler von Massachusetts, welcher zuerst die Idee einer Gründung von großen „Soldatenheimathen“ anregte und darauf hinwies, daß die im Fond der Volontaircasse ohne Verwendung liegenden Millionen am besten zur Verwirklichung dieser Idee dienen könnten. Der Congreß bewilligte denn auch die Summe zu dem genannten Zwecke; reichliche Spenden von Privaten flossen noch zu, und so entstanden fünf solcher Soldatenheimathen, deren größte, die „National Military Home by Dayton, Ohio“, wir hier schildern wollen.

Diese Soldatenheimath liegt drei englische Meilen von der (60,000 Einwohner zählenden) Stadt Dayton entfernt, halbwegs zwischen Cincinnati und Columbus. Die Gründung der „Home“ gelangte zur Ausführung durch Ankauf mehrerer kleinerer Farmen; das Terrain, auf dem sie liegt, bildet ein gewelltes Hochplateau, reich an Feld, Wald und Wiesen, mit mehreren nie versiechenden Quellen, welche zusammenhängende Teiche speisen; die Luft ist eine reine, gesunde (ohne Muskitos); die Temperatur sinkt im Winter höchstens auf 1 bis 2° unter 0 des Fahrenheit’schen Thermometers, während dagegen die Hitze im Sommer allerdings bisweilen 88 bis 90° Fahrenheit beträgt. Der Platz der ganzen Ansiedlung umfaßt etwas mehr als eine englische Quadratmeile Areal. Dieser Soldatenheimath, wie jeder der übrigen, ist ein Gouverneur vorgesetzt, dem ein Schatzmeister und ein Secretär in der Verwaltung beistehen. Der jeweilige Präsident, der Oberbundesrichter und der Kriegsminister der Vereinigten Staaten sind Ehrenmitglieder des Verwaltungsrathes, welcher zur Zeit aus dem General Butler und acht Gouverneuren von Staaten besteht.

Der Zudrang zu den Anstalten, im Anfang gering, wurde allmählich und besonders in Dayton so groß, daß sich die Verwaltung genöthigt sah, die Aufnahme etwas strenger zu handhaben. Jedoch gewährt sie in humaner Weise auch arbeitsfähigen gedienten Soldaten, die sich momentan in bedrängter Lage befinden, über den Winter in der Anstalt Aufnahme, wofür dieselben allerdings unentgeltlich arbeiten müssen. Der Abgang von Bewohnern der Home ist, da Jeder gern bis zu seinem Ende bleibt, natürlich gering, zumal sich viele Insassen eines hohen Alters – manche sind nahezu hundert Jahre alt – erfreuen. Die Zahl der Einwohner in der Stiftung bei Dayton beträgt 3600, abgerechnet die zeitweilig beurlaubten, deren Zahl sich meist auf einige hundert beläuft.

Die Aufnahme in die Anstalt ist leicht und einfach, dem freien Sinne der Amerikaner entsprechend. Jeder gediente Soldat, ohne Unterschied von Farbe, Landesabstammung, Religion, Rang und Stand, der seinen ehrenvollen Abschied aus dem Dienste der Vereinigten Staaten nachweisen kann und den der Arzt für unfähig erklärt, seinen Lebensunterhalt sich zu erwerben, wird auf sein Ansuchen in die Anstalt aufgenommen. Ob der Aufzunehmende Vermögen hat oder nicht, ist gleichgültig; hinterläßt er etwas, wenn er in der Anstalt gestorben ist, so zieht es die Verwaltung nur dann ein, wenn sich keine anderweitigen Erben vorfinden. Den Angehörigen wird, falls ihre Adresse bekannt ist, ein Todtenschein ausgestellt. Pensionäre verpflichten sich, ihre von der Regierung zu beziehende Pension der Anstalt zum Incasso zu übergeben, können aber je nach der Höhe der Pension monatliche Bezüge entnehmen. Verlassen sie die Home, so wird ihnen alles Guthaben ausgezahlt. Unter den Insassen sind alle Nationalitäten vertreten, auch die Farbigen; das größte Contingent, etwas weniger als die Hälfte, bilden die Deutschen.

Die zur Aufnahme Vollberechtigten werden nach ihrem Eintritt eingekleidet, und zwar erhalten sie an Kleidungsstücken (respective Uniform): Blouse, Waffenrock, Mantel, Hose, Kappe, Stiefeln und Leibwäsche, welche Stücke alle ihre bestimmte Tragzeit haben. Wer Civilkleider besitzt, kann sie tragen, bei dem allgemeinen Antreten aber muß Jeder in Uniform erscheinen.

Die Invaliden sind in den Baracken einquartiert, welche sich nördlich vom „Hauptquartier“, durch eine breite Straße abgegrenzt, befinden. Es sind 24 Baracken, aus Holz gebaut, zwei- und dreistöckig. Von Rasenplätzen eingefaßt und von schattigen Bäumen umgeben, zeigen sie sich als gar anmuthige Wohnstätten, deren innere Einrichtung allen Anforderungen des Comforts entspricht; hell und luftig, haben sämmtliche Räume Gasbeleuchtung, Dampfheizung und Wasserleitung. In jeder Baracke sind 100 bis 150 Mann einlogirt; eine Etage enthält ungefähr 40 Bettstellen mit Strohsack, Kissen, Leintuch und amerikanischem Armeeblanket (braune Wolldecke). Jeder der alten Soldaten hat einen kleinen verschließbaren Schrank und sein eigenes Plätzchen für sich, das er nach Belieben ausschmücken kann. Zwischen den vielen Bildern von Schlachten, wo vielleicht der Eine oder Andere verwundet wurde, von Orte aus der Heimath und lieben Angehörigen, auch religiösen und Heiligenbildern, hängen und lehnen Tabakspfeifen in allen Größen. Diejenige aber, deren Platz durch ein Fenster begünstigt ist, haben dieses oft zu einem Gärtchen en miniature gestaltet.

Chargirte invalide Soldaten müssen auch in den Baracken wohnen; nur sind sie mit dem Posten eines Sergeanten betraut und erhalten eine Löhnung von 10 bis 15 Dollars pro Monat. Jede Baracke steht unter Aufsicht eines solchen Sergeanten, der Rapport und Requisitionen zu fertigen und Verpflegung und Ordnung zu überwachen hat. Jeder Etage steht ein Corpol (Corporal) vor, der jedoch keine Löhnung erhält.

Wenngleich das Leben und Treiben in der Anstalt durchaus einen militärischen Anstrich hat, so ist es doch immerhin ein freies und ungebundenes, insofern Jeder treiben kann, was er will, um etwas zu verdienen, und Jedem auch ein Urlaub bis zu drei Monaten gegeben wird.

Alle Arbeiten in der Home werden von den Soldaten besorgt; größere werden bezahlt (bis zu 2 Mark den Tag); kleinere wirthschaftliche Hülfsleistungen muß Jeder unentgeltlich verrichten, doch kann er sich, wenn er will, für sein Geld einen Stellvertreter miethen. Die Ansiedlung bietet übrigens auch jedem Handwerker die zu seinem Gewerk nöthige Räumlichkeit und Einrichtung. Es giebt da Werkstätten für alle nur denkbaren Handwerke, sodaß die Anstalt durch ihre Insassen mit allen Utensilien versehen wird. Die Home hat ihre eigene Bäckerei, Fleischerei, selbst eine Druckerei und eine Cigarrenfabrik, in der 30 Arbeiter alle Sorten bis zur feinsten Havana fabriciren. Alle Handwerker arbeiten gegen Lohn für die Home, oder auf eigene Faust für die Cameraden und das Publicum. Wer kein Handwerk versteht, beschäftigt sich anderweit, legt Vogelhecken an oder pachtet von der Home Land, um darauf Tabak, Bohnen, Welschkorn etc. zu bauen; die Hälfte des Ertrags, den die Home kauft, ist sein Lohn. Auch verdienen Manche ihr Geld mit Hülfeleistungen für die Pensionäre, die immer baares Geld beziehen. Blinde wollen geführt, Lahme auf Rollstühlen gefahren werden; dies besorgen gesündere Cameraden gegen mäßige Vergütung, ebenso das Bettmachen, Kleiderreinigen etc..

Sind unter den Insassen der Anstalt alle Stände vertreten, so fehlt es natürlich auch nicht an Musikern. Diese bilden ein gut geschultes Corps (die „Home Band“) und haben ihre eigenen Quartiere nebst Uebungssaal. Sie concertiren täglich in der Home; als Musiker von Fach leisten sie ganz Tüchtiges; ihr Programm ist reichhaltig; es fehlen ihm auch nicht deutsche Klänge, wie „Die Wacht am Rhein“, das „Schwalbenlied“ etc.. Auch die Musiker suchen ihren Nebenverdienst, das ganze Corps geht bisweilen nach außen und macht gute Geschäfte.

Was die Religionsverschiedenheiten anbetrifft, so unterscheidet die Verwaltung im Wesentlichen nur Christen und Juden. Für die Christen ist der Gottesdienst ohne Unterschied methodistisch; für die Israeliten werden specielle Gottesdienste abgehalten. Die Kirche, mit dem hohen, spitzen Thurm, ist aus behauenen Steinen aufgeführt und gar anmuthig mit Epheu umrankt. Der Pfarrer hat eine so idyllische Wohnung, daß ihn mancher College in Deutschland darum beneiden könnte.

Die Disciplin in der Anstalt ergiebt sich unter den alten gedienten Soldaten fast von selbst. Eins ist streng verboten, nämlich der Genuß, respective Verkauf geistiger Getränke innerhalb der Anstalt; von der Verwaltung werden solche nie, selbst nicht an Festtagen verabreicht. Wer Whiskey mit in die Anstalt bringt, wird zu 25 Dollars verurteilt. Will Jemand absolut einmal trinken, so muß er seinen Urlaub dazu benutzen, doch muß er sich dann vorsehen; denn Alle, die betrunken oder nach der Passirzeit kommen, verfallen den festgesetzten Strafen. Die Home hat auch ein Gefängniß und ihre Polizeimacht. Kleinere Vergehen werden mit Arrest, größere mit Strafarbeit bis zu 6 Monaten geahndet. Etwaige Streitigkeiten unter den Insassen, die übrigens meist unbedeutender Natur sind, schlichtet der Gouverneur.

Recht energisch scheint Alles gehandhabt zu werden, was sich auf die Reinlichkeit bezieht. Jeder Insasse muß im Sommer und Winter jede Woche ein Bad nehmen. Die Wäscherei bildet ein ganz eigenes Departement, in welchem 4 große Dampfmaschinen thätig sind im Ringen, Trocknen und Glätten. In dem zweiten Stock des großen Gebäudes befindet sich das Depot für die reine Wäsche, und nebenan sind 15 Schneider (lauter Deutsche) mit dem Ausbessern der Wäsche beschäftigt. Im dritten Stock werden die sämmtlichen Strümpfe gestopft.

Inmitten der Baracken liegt das elegant gebaute große Speisehaus, worin an 28 Tafeln à 40 Gedecke auf einmal 1120 Mann speisen können, und es zeigt sich, daß hier wirklich nicht Meister Schmalhans als Koch fungirt: giebt es doch täglich 1¼ Pfund Fleisch für die Person, dabei Brod und Gemüse im Ueberfluß, ebenso Butter und Käse als Zukost. Thee und Kaffee sind tägliche Getränke. Sonntags giebt es natürlich Braten und andere Leckerbissen, sogar mit Austernsuppe sind die alten Soldaten schon tractirt worden.

Täglich werden ungefähr 600 Pfund Brod, 175 Pfund Butter, 100 Pfund Kaffee und 120 Pfund Zucker verbraucht und 2 oder 3 Ochsen oder 50 bis 60 Hammel geschlachtet. Was das erforderliche Schlachtvieh anbelangt, so wird dasselbe lebend vorräthig gehalten und in der Ansiedelung noch gemästet; namentlich zur Mästung von Schweinen bieten die Küchenabfälle reichliches Futter.

Ueberhaupt bildet die Ansiedelung eine vielverzweigte Farm, der selbst die technischen Zweige, z. B. eine Seifensiederei zur Verwendung von Fett und Knochenmark, nicht fehlen. Die neuesten landwirthschaftlichen Maschinen und Geräthe, die vielen Pferde- und Maulthier-Gespanne zeigen den ausgedehnten und rationellen Ackerbau an. Eine Gärtnerei, in großem Style angelegt, mit einem Treibhaus, das die schönsten ausländischen Gewächse enthält, versorgt die Anstalt mit Gemüsen und Hülsenfrüchten jeder Art. Indeß kann die Farmerei doch nicht so viel erzeugen, wie die Anstalt consumirt, und es ist die Aufgabe des Kochs, das Fehlende durch Ankauf zu ersetzen.

Das größte Gebäude der Anstalt ist das schloßähnliche Hospital, das im Innern musterhaft eingerichtet ist und ungefähr 300 Personen aufnehmen kann. Der Arzt hat sein Domicil in einem kleinen Hause in der Nähe des Hospitals.

Hinter dem Hospital, im nördlichen Winkel der Ansiedelung, liegt der Gottesacker, auf dem bereits ein halbes Tausend alter Soldaten zur ewigen Ruhe bestattet sein mag. Ein Begräbniß in der Home findet mit allen militärischen Feierlichkeiten statt, die Home Band spielt die Trauermusik, eine Abtheilung von zehn Mann (Feuergarde) giebt die dreimalige Ehresalve über dem Grabe ab. Jedes einzelne Grab ist mit einem kleinen Denkmal von Holz geschmückt, auf dem Namen, Regiment und Charge des Verstorbenen angeführt sind. Ein besonderes Fest für die Home ist die alljährlich stattfindende Bekränzung der Gräber. Hierbei betheiligen sich die Einwohner von Dayton mit ihren Vereinen und Tausende von Besuchern von nah und fern.

Eine Beschreibung der Gasfabrik und der Dampfbetriebswerke, die nach den neuesten Systemen eingerichtet sind, würde uns wohl zu weit führen. Die Teiche, welche die Anstalt mit Wasser versorgen, bieten dem Auge eine lebhafte Unterhaltung, sie sind reich bevölkert von amerikanischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_327.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)