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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

„Wir verlangen keine Schulen. Hier auf dem heiligen Boden darf nichts Neues eingeführt werden, bis der Messias kommt.“ Daß unter diesen Umständen die geweihten Stätten der nationalen Tradition im ganzen Lande dem völligen Verfall und Verschwinden entgegen gehen, ist nicht zu verwundern; an erhaltende oder gar renovirende Arbeit von dieser Seite ist nicht zu denken. Inzwischen besteht im Judenviertel von Jerusalem, am Ostabhange des Sionhügels, seit 1855 das Rothschild’sche Krankenhaus mit der Gedächtnißtafel: „Dem ehrwürdigen Andenken Meyer Rothschild’s seine Söhne Amschel, Salomon, Nathan und James, Barone von Rothschild.“ Diese schenkten dazu 280,000 Gulden, und es wurden seitdem viele Hunderte von Kranken verpflegt; aber auch über Cohen, den Abgesandten der Rothschild’s, sprachen jene Eiferer von vornherein den Bannfluch aus. Wie kläglich es dabei um die religiösen Kenntnisse und die bezüglichen Bibliotheken dieser Religionshüter aussieht, habe ich beim Suchen nach alter Literatur mit Kopfschütteln erfahren.

Die christlichen Bestrebungen wollen entweder die jüdische Colonisation befördern, weil der alten Verheißung nach doch das Heil von den Juden kommt und, nachdem Jerusalem wieder in jüdische Hände gelangt, hier der Messias erscheinen wird, um die Herrschaft des endlich bekehrten Volkes über die Erde zu tragen, oder die christlichen Einwanderer wollen selbst als das auserwählte Volk betrachtet sein, an dessen Spitze der Messias sich stellen wird. Methodisten, Mennoniten, Chiliasten, das heißt Anhänger des „tausendjährigen Reichs“, Wupperthaler und Baseler Pietisten sowie schwäbische Tempelchristen sind in die Colonisationsbestrebungen verflochten. In den Salomonischen Gärten nahe bei Jerusalem unternahm schon 1849 Meschullam unter dem Schutze des englischen Consuls Finn seine Gründung einer Colonie mit ein paar Mennoniten und getauften Juden. Wie glücklich fühlte sich die alttestamentlich angehauchte Lady Finn, als sie 1856 von dem weltberühmten „verschlossenen Garten“ Salomo’s ein Thalgebiet von fünfzig bis sechszig Morgen aus der Hand eines arabischen Scheich für den Preis von hundertfünfzig Pfund Sterling angekauft, den Morgen für die Bagatelle von drei Sovereigns! Meschullam verstand es, mit den Arabern umzugehen, und genoß fürstliches Ansehen, wie man in Missionsnotizen lesen konnte; der Pachtschilling von vierzig Thalern war auch mäßig, aber ein paar magere Kühe und Arbeiter schufen noch keine „Ackerbauschule für getaufte Juden“, geschweige ein Paradies. Und doch brachte diese Musteranstalt in Artas mit „jährlich fünf Ernten“ halb Nordamerika in Aufruhr. Fragte man indeß später nach, so waren Meschullam’s Baumgärten 1858 von den Beduinen (auf deren Bekehrung selbst der Geograph Ritter zu hoffen wagte) geplündert, und der Druckbogen, welcher diese Nachricht enthielt, war kaum trocken, als die Botschaft von der Zerstreuung der arbeitseifrigen jüdischen Taufgenossen eintraf. Die Beduinen lieferten den vom Pascha ausgesandten Truppen am Grabe der Rahel ein Scharmützel und – die Farce war ausgespielt.

Trauriger ging es den 1861 aus Deutschland in Galiläa eingewanderten Pietisten, welche in Sindschar, eine Stunde südlich von Nazareth, eine Colonie zu gründen versuchten. In ihrer Begeisterung verachteten sie alle Warnungen, sich an einem so öden Orte niederzulassen, und kehrten im August 1868 so angegriffen zurück, daß in kurzer Zeit ihrer acht an Koma (sopor) unter Anfällen der Tobsucht, des Sonnenstichs und wiederkehrender Fieber starben. Ermüdung, Wechsel von Hitze und Kälte und die Malaria wirken auf den Fremden gleichermaßen verderblich. Am 22. September 1866 kam eine Colonie von vierzig Familien oder hundertsiebenundfünfzig Köpfen aus Nordamerika in der neuen Paradiesesstadt Jaffa an. Bruder Jonathan und Compagnie hatten die Schiffe zugleich mit fertigen Häuserbalken beladen, die sofort zu einem Ganzen zusammengefügt werden konnten. Diese wunderlichen Heiligen gründeten eine erste Adamsstadt (Adam-City); es ist nicht bekannt geworden, ob eine sündhafte Eva die Kinder der neuen Schöpfung aus ihrem Eden vertrieb – leider ging die Ansiedlung schon im nächsten Jahre ein. Im Jahre 1865 errichtete der Württemberger Mätzler die erste Kunstmühle mit Dampfkraft, aber wie protestirten die – und zwar diesmal christlichen Orthodoxen von Joppe wider solch eine unbiblische Neuerung! Drei Jahre darauf erschien Christian Hoffmann aus Ludwigsburg als „Aeltester des Tempels“, den es gilt wieder aufzurichten. Ihn begleitete der noch ältere J. G. Hardegg, der bei der Durchreise durch München mir seine Schrift: „Das ewige Evangelium“ zur Belehrung und zum Andenken hinterließ. Zweitausend Württemberger sollten zur Stiftung des „tausendjährigen Reiches“ nachfolgen: tausend sind wirklich gefolgt, die sich zur Hälfte in Joppe und Jerusalem, zur andern auf Kaifa am Carmel und Galiläa vertheilen. Sie traten das Erbe der Frommen von Adam-City an, aber gleich im ersten Jahre starb ein Zehntel der Ansiedler an den Sumpffiebern der Audjemündung. Die Uebrigbleibenden bauten nördlich in gesünderer Lage Sarona; doch die Gesichtsfarbe und das frühe Nervenzittern beweisen, daß sie ihren Tod im fremden Lande vor der Zeit finden. Diese Württemberger leben der Ueberzeugung, von ihnen werde die Wiedergeburt Palästinas ausgehen, geberden sich übrigens ganz im alttestamentlichen Geiste. Dabei herrscht fast klösterliche Disciplin; nicht als ob den Mitgliedern Frauen vorenthalten wären, im Gegentheil, diese bilden eigentlich den Grundstock der gottliebenden Gemeinde und sind hauptsächlich dem Prophetismus zugethan, lassen sich aber den Ehegatten von den Aeltesten zuertheilen.

Diese Deutschen greifen wohlthätig fördernd und umgestaltend in das Culturleben des Landes ein, halten dabei ihre Mittel zusammen und scheinen eine Zukunft vor sich zu haben. Der Ankauf von Grund und Boden ist freilich spottbillig, der Preis, wenn auch nicht zweieinviertel Dollar, wie im Hinterlande der Vereinigten Staaten, doch nur vier, und kommt es hoch, zehn Napoleons für den Morgen. Von dem leicht urbar zu machenden Sandboden bei Tire am Carmel gab man ihnen gern fünfhundert Morgen für solche Taxe, ja der Wali oder Statthalter von Damaskus war willig, ihnen, so viel sie begehrten, um jeden Preis anzuweisen, wenn sie nur nicht länger unter dem Consul sich isolirten, sondern – türkische Unterthanen würden. Im Sommer und Herbst 1877 grassirten in Kaifa und Umgebung die Pocken so grausam, daß bei einer Bevölkerung von achttausendsechshundert Einwohnern nicht weniger als zwölfhundertsechszig der Seuche zum Opfer fielen; die deutsche Colonie schützte sich gegen die Ansteckung und büßte nur sieben Personen ein.

Kommen wir zum Schluß! Als Ergebniß des Vorstehenden dürfte feststehen, daß vorläufig auf lange Zeit hinaus ein Aufschwung für Palästina nicht denkbar ist, jedenfalls nicht durch Einwanderung, welche, eben weil für sie die Verhältnisse so ungünstig wie möglich sind, nie für weitere Kreise etwas Verlockendes gewinnen kann, wie etwa die Uebersiedelung nach Amerika, ja, vor welcher der Kenner der Verhältnisse geradezu warnen muß. In unabsehbarer Zeit wird die türkische Herrschaft der modernen Civilisation nachgeben, und dann wird allmählich wohl auch das Land Israel, soweit es die gegebenen Bedingungen gestatten, einen menschenwürdigeren Aufenthalt bieten. Ob es freilich dann noch das Land ist, das mit der Jugenderinnerung des Europäers so eng verknüpft erscheint, wie es heute die Schule mit ihr verknüpft, ist die Frage. Ein geschichtlich denkwürdiges Land wird es allezeit bleiben, und immer werden als rührende Episode in seiner Vergangenheit jene Trauerlitaneien an der Klagemauer von Jerusalem verzeichnet werden, wenn jene Mauer längst verschwunden und Niemand mehr dasein wird, dem ein Messias mit einem neujüdischen Reiche der höchste Traum seines Lebens ist.




Eine amerikanische Invalidenstiftung.


Als Wohlthatenspender für den einzelnen leidenden Mitmenschen ist der Amerikaner nicht sehr bekannt. Denn sein Wahlspruch ist: „Hilf Dir selbst!“ Die eingewanderten Deutschen haben das oft bitter empfinden müssen. Groß aber zeigt er sich vielfach, wo es die Verfolgung philanthropischer Ziele, die Abhülfe und Linderung großer und allgemeiner Leiden der Gesammtheit gilt, besonders wenn dabei die nationale Ehre in’s Spiel kommt und nationale Pflichten zu erfüllen sind. So kann die ausgezeichnet humane Versorgung der Invaliden in den Vereinigten Staaten allen europäischen Ländern und speciell auch dem deutschen Reiche ein Muster sein. Als nach Beendigung des Secessionskrieges (1865) alle die entlassenen Soldaten arbeits- und heimathslos umherirrten und die vielen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_326.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)