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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

machen kann. War doch selbst die Luft in den Straßen eine andere, als draußen vor den Thoren – leicht erklärlich, wenn man die Menge betrunkener Bauern ganze Heerden Rind- und Schwarzviehes vorbeitreiben sah. Ein polnischer Markt – unbeschreiblich in seiner Eigenart, anziehend für uns, die wir von Westen kamen. Slavische Elemente allüberall – die ehrlichen deutschen Gesichtszüge sind verdrängt von verschmitzten, dummdreisten oder unterwürfigen Physiognomien der slavischen Race, deren charakteristische Eigenart, die breiten Kinnladen und Backenknochen, die schmalen, zusammengekniffenen, fast geschlitzten Augen, der spärliche Bartwuchs und das lange strähnige Haar, sich fast bei jeder dieser uns umgebenden, manchmal höchst fragwürdigen Gestalten wiederfinden. Wie die luftige, freie Bewegung zulassende deutsche Jacke einem bis an die Knöchel reichenden dunklen Rocke oder dem bekannten Schafpelz gewichen ist, und der Hut einer breitdeckligen Tuchkappe und schwarzen Schaffellmütze den Vorrang abgetreten hat, so ist auch die Sprache eine für uns fremde geworden. Wir befinden uns auf der deutsch-polnischen Sprachgrenze, einem Landstrich, wo zwei geschiedene Sprachen einander berühren, und wie immer in solchen Grenzdistricten, hat das Volk beide zu einem Mischmasch verarbeitet, der dem Nationalpolen wie dem Deutschen unverständlich und unter dem Namen „Wasserpolnisch“ weithin berüchtigt worden ist.

Slavisch ist der größere Theil dieses Jargons, slavisch auch der Kern der Bevölkerung. Von uralt deutschen Stämmen, die früher hier zogen, zeugt nichts mehr, als selten dem Boden enthobene Urnenscherben. Erst nach der Mongolenüberfluthung kamen auf’s Neue durch die schlesischen Herzöge deutsche Elemente in’s Land, um den arg verwüsteten Boden einigermaßen wieder zu bevölkern; diese Herzöge führten deutsches Recht und deutsche Sitte ein, neigten sich mit der Zeit immer mehr deutschem Einflusse zu und heiratheten sogar meist deutsche Fürstentöchter.

Auf die östlichsten Striche Schlesiens beschränkt, stehen heute die einstigen Beherrscher des Landes in einem nahezu abhängigen Verhältnisse zu den Deutschen. Haben sie als Dienstleute nicht ihr Brod auf deutschen Gütern gefunden, so ziehen sie als Tagelöhner und Knechte von Ort zu Ort oder fristen mit Hausirhandel und Schmuggel ein kümmerliches Leben. Der Deutsche vermag wegen ihres unruhigen, vagirenden Charakters nur einen sehr geringen Einfluß auf ihre geistige Bildung zu üben, und dadurch sehen wir eben das slavische Element noch so fest in ihnen gewurzelt, sie selbst der Cultur noch so wenig gewonnen.

Armuth, bittere Armuth spricht aus den Zügen dieser Menschen, aber diese Armuth ist eine selbstverschuldete. Nirgends wohl sind die Wirthshäuser mehr gefüllt, als in Polnisch-Schlesien; Männer und Weiber trinken um die Wette; in unglaublichen Quantitäten wird hier der Branntwein vertilgt, und besonders abstoßend ist das Bild an Sonn- und Feiertagen, wo nach angehörter Messe die Gläubigen schwer betrunken nach Hause taumeln, in der einen Hand das Gebetbuch, in der andern die Flasche. Außer dieser maßlosen Trunksucht ist es Faulheit in der Bewirthschaftung und ein gewisser fatalistischer Stumpfsinn, was den polnischen Bauer zu Grunde richtet. Bildung und Aufklärung werden halsstarrig zurückgewiesen, desto tiefer aber beugt er sich der unheimlichen Macht des Aberglaubens.

Im Gewühl des Jahrmarktes erblicken wir noch andere charakteristische Gestalten. Wer kennte sie nicht, diese bleichen, scharfgezeichneten, fast typischen Gesichter, in denen sich seltsam ascetische Schwärmerei und listige Habgier malt! Wer kennte sie nicht, diese schmutzstarrenden, schwarzgelockten Juden, die, von Ostschlesien, Posen und Polen aus auch Deutschlands Städte und Dörfer jahraus, jahrein überfluthen und theils als Hausirer, theils als Schnorrer von der Milde ihrer Stammesgenossen leben.

Sind die Juden in den deutschen cultivirten Districten fast in der Bevölkerung aufgegangen und nehmen sie an allen Berufszweigen Antheil, so bilden sie an der polnischen Grenze, wie überhaupt im Osten Europas, einen eigenen charakteristisch abgeschlossenen Volkstheil, eine besondere Nationalität, die sich, wenn wir von den deutschen Städten absehen, fast vorzugsweise den Pferde-, Klein- und Trödelhandel, sowie die Schankwirthschaft angeeignet hat. Daneben spielen die Juden in Polnisch-Schlesien eine Rolle als Vermittler zwischen Deutschen und Polen, zwischen Herren und Landvolk. Handel mit Geld und Papieren ist ihnen hier wie allerorten eigen. –

Es ist Sonntag. Folgen wir dem Strome der Bauern zur Kirche! Mächtige Bäume überschatten den Kirchplatz, auf dem in dichtgedrängter Masse die Andächtigen die Stunde erwarten, die ihnen die Thür zum Allerheiligsten öffnet. Außer einer prächtigen, durch einen steifen Zopfaltar verdeckten Grabinschrift eines Edlen aus längst verschollenem Geschlecht bietet die Wartenberger Kirche katholischer Confession, ein schmuckloser Bau aus spätgothischer Zeit, nichts Bemerkenswerthes dar; wie überall in katholischen Landen, so hangen auch hier die alten verblaßten, rothen und grünen Kirchenfahnen, kräuseln sich die blauen Weihrauchwölkchen um die goldbekleideten Heiligengestalten am Hochaltar. Neu ist uns nur die devote Ehrfurcht einer Anzahl Bauernweiber, die halbe Stunden lang in starrer Unbeweglichkeit in ihrer ganzen Länge auf dem Boden des Mittelganges liegen und inbrünstig den Staub von den Steinplatten küssen. Das kirchliche Hauptfest für diese Gegend bildet die weithin berühmte Procession nach dem Marcusberge (eine halbe Stunde von Wartenberg), die immer den Sonntag nach dem 25. April von statten geht. Groß und Klein strömt hinaus zum altersgrauen Kirchlein; aller Orten sind Buden aufgestellt, in denen zur geistigen Nahrung Rosenkränze, Heiligenbilder und Reliquien, für den Leib aber Würstel, Bier und Schnaps feilgeboten werden.

Haben wir uns noch das im Laufe der fünfziger Jahre erbaute Schloß des Prinzen Biron von Kurland angesehen, dabei vielleicht einen Blick in den hübschen umfangreichen Park geworfen, in welchem an sonnigen Nachmittagen die Honoratioren des Städtchens sich ergehen, so können wir dem Städtchen den Rücken wenden mit dem Bewußtsein, seine charakteristischen Eigenthümlichkeiten gesehen zu haben. Wir machen uns nun daran, die Umgegend kennen zu lernen.

Weithin dehnt sich vor unseren Backen eine nur von niedrigen, breitrückigen Hügelketten durchzogene Ebene, die der Herbst schon in seine bunten Farben gekleidet. Ringsum verstreuen die gelben Kerzen der Lupine ihren lieblichen Duft; Maisstauden in doppelter Manneshöhe und Mohnblumen verdecken die ärmlichen Lehmwände der einzelnen Hütten, über welche Ahorn und Kastanienbäume ihre goldgelben Blätter breite. Noch nie war mir der Herbst so köstlich erschienen; noch nie glaubte ich ihn gesehen zu haben mit solch herrlichen Farben geschmückt. Saftigbraune und sammtgrüne Mooslagen wuchern in üppiger Fülle auf den alten eingesunkenen Strohdächern; rothgoldige Kürbisse erglänzen am Boden, und die vormals weißen Wände empor rankt das wilde Weinlaub in blutrother Pracht – so will die allgütige Mutter Natur selbst das Elend dieser Hütten verschönern.

Der Boden beginnt nach einer Weile zu steigen; in der Ferne werden die Hütten, die eine Zeitlang unsern Weg nicht mehr begleitet, wieder zahlreicher; wir nähern uns einem größern Dorfe, Groß-Kosel. Daß es fast durchweg von polnischen Bauern bewohnt ist, erkennt man auf den ersten Blick: niedrige strohgedeckte Häuser, nur aus einem Erdgeschoß bestehend und von einem kleinen schlechtgepflegten Garten umgeben, der durch einen Plankenzaun von der staubigen Landstraße geschieden ist. Nur wenige aus Stein erbaute Häuser bilden hiervon eine Ausnahme, und diese gehören den wohlhabenderen Bewohnern des Dorfes. Das alte moos- und flechtenüberwachsene Holzkirchlein, gleich zu Anfang des Dorfes auf einem Hügel gelegen, paßt gar gut zu dem es umgebenden verwahrlosten Dorfkirchhofe, der, umgrenzt von einem verwitterten Bretterzaun, nur namenlose Gräber umschließt. Für Alle insgesammt erhebt sich neben dem Dorfkirchlein ein Kreuz, mächtig und plump gefügt aus schwarz oder blutroth bemalten Tannenbalken. Und an diesem Kreuze hängt ein Christusbild, vor Zeiten geschnitten aus einer Eisenplatte, aber seine Farben sind verblichen, und die Gestalt des Gottessohnes ist nicht mehr zu erkennen. Das Kirchlein, aus harzreichem Holze gezimmert, hat schon manch Jahrhundert überdauert – an längst versunkene Geschlechter mahnt im Innern manch altes Kirchenstück. Wandung und Betgestühl zeigen noch heutzutage kunstlose Schnörkelmalerei aus der Renaissancezeit, und in den kleinen Fensterluken klappern noch heute die alten bleigefaßten, runden Scheiben, deren Patina in allen Regenbogenfarben schillert.

Unser Weg führte uns auf der Landstraße weiter; schon in der Ferne sehen wir die weißgetünchten Häuser eines stattlichen Dorfes. Mechau ist von wohlhabenden Bauern bewohnt. Ihre Wohnhäuser sind vielfach massiv, und es macht sich in ihren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_318.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)