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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

daß man ihm insgeheim hinterbracht, die reiche Erbin sei „bis über die Ohren verliebt in seinen Jungen“ – um seinetwillen würde sie ihr Vorhaben, nach Ableben ihres Vaters für immer in das Kloster zurückzukehren, freudig aufgeben. Dann war Baron Steinbrück seinem Leiden erlegen; die Tochter hatte dem Freiherrn den Todesfall angezeigt und seitdem eifrig mit ihm correspondirt. Sie mußte gut zu schreiben verstanden haben, denn seit der Zeit war es ein glühender Wunsch des alten Herrn gewesen, seinen Sohn mit ihr zu vereinigen und damit zugleich sein altes Geschlecht in den Besitz der verpfändeten Güter wieder einzusetzen. Der Schlaganfall, der ihn selbst an den Rand des Grabes gebracht, war sein Helfershelfer bei der Verwirklichung des Planes geworden. Arnold, der mit inniger Zärtlichkeit an dem Vater hing, hatte am Krankenbett scheinbar ohne jedweden inneren Kampf in Alles gewilligt, um den alten schwerleidenden Mann beruhigt zu sehen.

Und wie fand er sich nun in sein Geschick, das ihn so jung mit der kaum gesehenen „langen Coblenzer Cousine“ für immer zusammengekettet hatte? Liebte er sie? – Felix fühlte ein Grauen durch seine Nerven schleichen bei dem Gedanken, daß der Freund mit den Idealgestalten hinter der Stirn in seltsamer Geschmacksverirrung das Skelet dort voll Manneszärtlichkeit an sein Herz schließen könnte – unmöglich! Und doch verrieth nicht ein Zug seines interessanten Gesichts, daß er sich unglücklich fühle. Er hatte einen eisernen Willen; schon als Knabe war es ihm nie in den Sinn gekommen, irgend Jemand, auch seinen Vater nicht, für seine Entschlüsse mit verantwortlich zu machen – das mochte ihm auch jetzt seine unzerstörbare heitere Seelenruhe geben.

Anders schien es um den alten Freiherrn zu stehen. Er befand sich offenbar in steter Kriegsbereitschaft der Schwiegertochter gegenüber, die den lustigen, alten Haudegen in ihren Briefen gründlich zu düpiren gewußt hatte. In seinen Zügen malte sich augenblicklich ein Gemisch von Ingrimm, tiefer Reue und Jammer um den Sohn, aber er schwieg; mit schwerem Geschütz durfte er nicht kommen, wenn er nicht die bösesten Nervenzufälle am Theetisch heraufbeschwören wollte, und das Plänkeln hatte er satt. Er schob, nachdem er hastig einige Bissen genossen, Tasse und Eierbecher fort, zog ein kleines Paket, das er beim Fortgehen in seinem Zimmer eiligst zu sich gesteckt hatte, aus der Tasche und legte es auf den Tisch. Sein Gesicht hellte sich auf; er schien sichtlich froh, auf ein anderes Thema zu kommen.

„Schau, in dem Papier da liegt die Erledigung Deiner Angelegenheit,“ sagte er zu Felix, indem er seine Brille aus dem Futteral nahm und sorgfältig an ihren Gläsern wischte. Dann setzte er sie auf und schlug das Papier aus einander – ein in Seidenpapier gewickelter flacher Gegenstand und ein viele Bogen starker, in engen Linien geschriebener Brief lagen darin. – „Also Alles, was Du mir drüben anvertraut hast, kurz zusammengefaßt, hat Dich Deine Mutter verstoßen, will Dich selbst nach dem Tode nicht wiedersehen – dummer Schnickschnack! – und Dein Hundsfott von Onkel hat natürlich mit tausend Freuden seinen Segen dazu gegeben – Punktum!“ hob er an. „Du bist vogelfrei erklärt, die Majorin Lucian hat keinen Theil mehr an Dir, und damit – ist auch mir der Riegel vom Munde genommen.“

Er stützte die Hände auf den Tisch, und sich weit vorbeugend, sah er über die Brillengläser hinweg mit seinen großen, feurigen Augen durchdringend in das Gesicht des jungen Mannes.

„Hab’ ich je mit Dir von Deinem Vater gesprochen?“

Felix schüttelte den Kopf; er war todtenbleich geworden – jähes Erschrecken und athemlose Erwartung machten ihn sprachlos.

„Gut, mein Sohn, also nicht!“ sagte der alte Herr, indem er sich in den Armstuhl zurücksinken ließ. „Durfte auch nicht, obgleich mir’s manchmal in den Fingern gejuckt hat, Dich einzupacken und heimlich über’s Meer zu schicken, wo Du von Gott und Rechtswegen hingehörtest; denn die auf dem Klostergute haben Dich gestohlen, gestohlen, sage ich – der Sohn gehört zum Vater – damit basta!“

Er schlug mit den Knöcheln so hart auf den Tisch, daß die Platte dröhnte – seine Schwiegertochter las alterirt, mit bebenden Fingern verschiedene Pfeffer- und Salzlöffelchen zusammen, die klirrend umherflogen.

„Aber ich hatte Deiner Mutter mit Handschlag versprechen müssen, daß in meinem Hause vor Deinen Ohren nie von Deinem Vater gesprochen werden sollte,“ fuhr der Freiherr fort. „Was wollte ich denn machen? Ich mußte wohl, sonst hätte ich Dich nie vor die Augen gekriegt, und ohne mich wärst Du da drüben in dem Unkenloche vertrauert und versauert, und sie hätten sich aus dem jungen Lucian’schen Blute schließlich doch noch einen Wolfram’schen Mistfinken zurechtgeknetet. Deinem Vater aber hätte ich nie nähere Mittheilungen über Dich machen können –“ er verstummte in sichtlicher Bewegung; er hatte wohl selbst den furchtbaren inneren Aufruhr nicht vorhergesehen, den der Vatername in des jungen Mannes Seele weckte.

Felix war aufgesprungen, und auf den Sprechenden zustürzend, umklammerte er dessen Rechte und zog sie stürmisch gegen seine Brust. „Sie wissen von meinem Vater? Lebt er? Denkt er an mich?“ stammelte er in halberstickten Tönen.

„Ruhig Blut, mein Junge!“ ermahnte der alte Herr, aber seine Augen wurden feucht vor Rührung. „Thut mir leid, daß er Dich nicht so sehen kann – das Herz im Leibe müßte ihm lachen – er hat seinen Jungen ebenso lieb, wie ich den meinen.“ – Ein verstohlener, trüber Blick streifte den Sohn, wobei ein Seufzer seine Brust hob.

„In der schönen Jugendzeit waren wir treue Cameraden und sind es bis auf den heutigen Tag verblieben,“ setzte er nach einem augenblicklichen Verstummen hinzu. „Lucian war ein ebenso flotter Kerl, ein so lustiges Haus wie ich, und im Schillingshofe besser daheim, als bei seinen Verwandten – wär’ freilich besser für den armen Teufel gewesen, er hätte das Säulenhaus nie gesehen, und den Eiszapfen, die schöne Therese Wolfram, dazu.... Als er Deutschland verließ, da war er noch eine Nacht verstohlener Weise hier bei mir im Schillingshofe. Er war wie toll vor Sehnsucht nach Dir und hatte die verrücktesten Pläne in seinem Kopfe ausgeheckt – entführen wollte er Dich, und Gott weiß was Alles thun, um mit Gewalt zu seinem Rechte zu kommen, aber er mußte einsehen, daß dem alten, verwünschten Klosterneste und dem Rechtsverdreher darin auf keine Weise beizukommen war. Und da ist er gegangen – über dem Meere drüben hat er sich eine neue Heimath gesucht und auch gefunden. Er hat sich wieder verheirathet mit einer sehr vornehmen Spanierin und ist glücklich mit ihr gewesen.... So lange sie lebte, waren seine Briefe ruhig – er hat die Frau lieb gehabt und schien mit seinem Schicksale ausgesöhnt, nun ist sie aber gestorben, und da muß ihn wohl die Sehnsucht nach seinem Jungen wieder gepackt haben –“

Er hielt inne und schüttelte lächelnd den Kopf, indem er die Hand auf das Schreiben legte. „Närrischer Zufall! Just gestern kam der Brief da in meine Hände.... Lucian kränkelt auch, wie ich armer Lazarus, und kann deshalb nicht reisen. Er bittet mich dringend, nunmehr mit Dir über ihn und seine Lebensverhältnisse zu reden – na, was braucht’s da der vielen Worte und Saalbadereien – Du packst eben auf und gehst zu Deinem Vater – jetzt ist Amerika Deine Heimath.“

(Fortsetzung folgt.)




Land und Leute.
Nr. 41. In der Wasserpolakei.


„Niech będzie pochwalony Jesus Christus!“ („Gelobt sei Jesus Christus!“) – so begrüßte uns der Kutscher, der am Bahnhofe unser harrte, so begrüßten uns die Landleute, die schwer beladen zum Markte zogen. „Na wieki, Amen!” („In Ewigkeit, Amen!“) erwiderten wir, schwangen uns auf das mit zwei der kleinen, aber ausdauernden Pferde bespannte Gefährt und rasselten die schnurgerade Chaussee entlang dem Städtchen Polnisch-Wartenberg zu, dessen weißglänzende Thürme, dessen rothe Dächer recht einladend im Sonnenglanze eines letzten Septembertages herüber winkten.

Jahrmarkt war’s und ein Leben und Treiben in dem Städtchen, von dem man sich nur eine schwache Vorstellung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_316.jpg&oldid=- (Version vom 27.4.2018)