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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

und mit der Linken den Ellenbogen stützend, lehnte sie sich schweigend zurück.... Sie war ohne Zweifel eine eigensinnige, nervöse Natur, vielleicht als einziges Kind vom Vater, und im Hinblick auf ihren dereinstigen Reichthum auch von den Klosterschwestern verwöhnt und verhätschelt. Lucile, im Vollgefühl ihrer Schönheit und Jugendkraft, musterte feindselig den schmallippigen Mund, der nicht zu lächeln verstand, diese zusammengeschmiegte, grämliches Nachsinnen und Grübeln verrathende Stellung, das fast fleischentblößte Gelenk des langen Armes, das so spitz und wachsbleich aus dem unaufhörlich zitternden Spitzenvolant des Aermels ragte. Was hatte diese völlig Reizlose in der Welt zu suchen? Sie hätte getrost im Kloster bleiben und Nonne werden sollen.

Das eingetretene Schweigen war ein erdrückendes. Man hörte das Summen und Singen der Theemaschine und gedämpft den jetzt draußen niederrauschenden Gewitterregen. Lucile nahm ihren Platz nicht wieder ein; sie schob die Vorhänge des ihr zunächstliegenden Fensters aus einander, um in die Mauernische zu treten; sie sah nicht, wie ihr die grauen Augen durch die vorgehaltenen Finger in kaum zu bemeisternder Erbitterung nachstarrten, wie der Fuß der schweigenden Frau ungeduldig den Teppich trat – ein Gefühl von Groll und Aerger gegen Felix quoll in ihr auf, weil er sie mit dieser Fremden, dieser bis an den Hals zugeknöpften, unausstehlichen Herrin vom Schillingshof so lange allein ließ.

In dem Moment, wo sie die Vorhänge aus einander schlug, fuhr ein blendender Blitz nieder. Sein rosenfarbenes Licht irrte secundenlang über das Parterre draußen; es erfüllte in zitternder Bewegung auch das Zimmer und verschlang den weißen Schein der Lampen, dann folgte ein krachender Donnerschlag, und nun stürzten die Wassermassen nach, als wollten sie die mächtigen Spiegelscheiben des Hauses eindrücken und die Säulenhalle draußen wegschwemmen.

Die Baronin war entsetzt emporgefahren – sie bebte sichtlich und griff, förmlich Sturm läutend, nach der Tischglocke.

Ein Bedienter trat ein.

„Ich lasse die Herren dringend bitten, sofort herüber zu kommen – der Thee ist fertig,“ sagte sie trotz ihres Schreckens im ruhigen Tone des Befehles.



8.

Bald darauf hörte man draußen Männerschritte langsam durch die Gallerie kommen. Minka, die sich bei dem Donnerrollen halb und halb in die Kleiderfalten ihrer Herrin verkrochen hatte, schlüpfte schleunigst und Grimassen schneidend in ihre dunkle Fensterecke; auf dem Theetisch klirrte der silberne Kessel in den Händen der jungen Frau, und Lucile trat vom Fenster zurück und ließ die Gardinen wieder zusammenfallen, hinter denen das Unwetter draußen weiter tobte – sie fürchtete sich nicht. So abergläubisch und furchtsam sie war in Bezug auf unheimliches, nächtliches Spuken und Treiben zwischen Himmel und Erde, so wenig zitterte sie vor dem Walten der Naturkräfte. Je toller es zuging, desto „amüsanter“ war es; sie fühlte sich als unbetheiligte Zuschauerin, denn an sie konnten doch unmöglich Tod und Vernichtung herantreten.

Sie war vor der niederhängenden Gardine stehen geblieben; vorteilhafter konnte sich das feingliedrige Elfenkind mit den herabrollenden Locken voll goldbraunen Glanzes nicht präsentiren, als auf diesem grün und metallisch schimmernden, malerischen Faltenwurf, den das Spitzenmuster gleichsam weiß überschneite.

Der alte Freiherr Krafft von Schilling trat in die durch den Bedienten weit zurückgeschlagene Thür. Er stützte sich, wie es schien, mit seiner ganzen Schwere auf Felix Lucian’s Arm; denn ein Schlaganfall hatte ihm das rechte Bein gelähmt. Trotzdem war er eine gewaltige Erscheinung mit seiner breiten Brust und dem frisch gerötheten Gesicht voll Humor und Lebenslust.

„Sapperment! Die kleine Ausreißerin dort wär’ auch nach meinem Geschmack, Felix!“ rief er, überrascht auf der Schwelle stehen bleibend – er strich sich schmunzelnd den starken, graumelirten Lippenbart. „Ein ganz charmantes Kind – eine berückende kleine Hexe!“

Die derbe Schmeichelei, ja, schon der Klang dieser ungenirt lauten, kräftigen Männerstimme brachten das erbitterte junge Mädchen sogleich wieder in das gewohnte Fahrwasser. Wie eine hingewirbelte Schneeflocke huschte sie über den Teppich und knixte schelmisch à la Goßmann vor dem alten Herrn.

Sein Blick hing wie verzaubert an ihr. „Schau, solch ein seltenes Zugvögelchen hat der Schillingshof seit Menschengedenken nicht gesehen! Das erquickt einem alten, einsamen Patron wie mir Herz und Augen! Na, es ist in’s rechte Nest geflogen – wollen schon weiter helfen – nur Courage!“

Er lenkte seine Schritte nach dem Theetisch. „Nun sage mir aber, Clementine, weshalb Du uns ganz außer Athem da herüber jagst – brennt’s? Oder hast Du gar Angst vor dem Gewitter? Das thut Dir nichts – wir haben einen Blitzableiter auf dem Dache.“ Das Alles sagte er scherzend, in seiner drastisch jovialen Manier, aber in Blick und Haltung lag auch eine entschiedene Auflehnung gegen das Commando der Frau Schwiegertochter.

Die Baronin goß Thee in eine Tasse und hob dabei flüchtig die Augen nach der alterthümlichen Standuhr. „Es ist unsere Theestunde – nicht um eine Minute früher,“ sagte sie mit ihrer stillen Miene.

Er zog die dicken, graubereiften Brauen finster zusammen. „Ganz schön, mein Kind,“ versetzte er mit hörbarem Aerger. „Als alter Soldat bin ich auch ein Freund der Pünktlichkeit, aber ich hab’ mich nie nach dem Hausbrauch drillen lassen – auch von meiner guten Frau nicht – und der dort“ – er deutete nach dem Uhrzeiger – „darf mich nicht tyrannisiren, am allerwenigsten aber, wenn ich mitten in einer Besprechung bin, wie vorhin – verstanden, junges Frauchen?“

Langsam ließ er seine schwere Gestalt in einen hochlehnigen Armstuhl am Theetisch sinken und winkte Lucile auf einen Schemel an seine Seite. Bei diesem Anblicke griff die Baronin, die Lider senkend, nach der Tischglocke und befahl dem eintretenden Bedienten, noch zwei Couverts aufzulegen – auffallender konnte es nicht an den Tag gelegt werden, daß die Hausfrau bis zu diesem Augenblicke nicht auf Gäste gerechnet hatte.

Baron Schilling saß neben ihr, seinem Vater schräg gegenüber. Vater und Sohn sahen sich sehr ähnlich – sie waren wie alle Schillings nicht durch besondere Schönheit ausgezeichnet. Oben im Mittelsaale über dem Portale des Säulenhauses hingen Bilder aus der Zeit, da das alte Geschlecht noch auf seiner Ritterburg gehaust hatte. Schon damals waren die zu volle, kirschrothe Unterlippe, die kantige Stirn und die starke, charakteristisch deutsche Nase die Familiensignatur gewesen – es waren kraft- und lebensvolle Trotzköpfe auf wahren Reckengestalten, die dazu geboren schienen, in schwerer Rüstung zu kämpfen. Auch die zwei Letzten gehörten in jeder Linie zu ihnen, nur war das ursprünglich starre, gelbe, dem reifenden Weizenfelde gleichende Haar beim alten Freiherrn zum dunklen, jetzt graugesprenkelten Blond geworden, während der Sohn mit seinem krausen, schwarzbraunen Kopf- und Barthaar nahezu für einen Südländer gelten konnte. Das große, feurigblaue Auge aber, das oben auf den Bildern durch einen stolzen, sicheren Falkenblick imponirte, hatten Beide gemein; beim alten Herrn strahlte es schalkhaft, sinnlich glühend, voll Leichtlebigkeit in die Welt hinein – der Sohn hielt es meist gesenkt, als schaue es nach innen.

Seine junge Frau reichte ihm eine Tasse Thee hin, und mit einem prüfenden Aufblicke nach ihrem Gesichte hielt er die spendende, schlanke Hand einen Augenblick fest. „Dir spielt das Gewitter mit, Clementine – Du leidest?“ fragte er freundlich theilnehmend.

Sie zog ihre Hand zurück und stellte die Tasse auf den Tisch vor ihm nieder, während sie den Kopf mit dem Ausdruck des Widerwillens seitwärts bog. „Ich habe Schwindel – Du bringst wieder einmal den unleidlichen Farben- und Oelgeruch aus Deinem sogenannten Atelier mit,“ sagte sie erregt.

Der alte Freiherr wurde dunkelroth im Gesicht. „Hm – läßt sich vielleicht dieses geringschätzende ‚sogenannte’ in ‚lächerliche Dilettantenanmaßung’ übersetzen, Clementine?“ fragte er scharf, und sich mit beiden Händen auf die Armlehnen stützend, richtete er den Oberkörper gespannt und herausfordernd in die Höhe.

„Du hast Clementine mißverstanden, Papa; sie will damit nur das allerdings nothdürftige Arbeitslocal bezeichnen, das mir vorläufig die Dachstube mit dem rasch improvisirten Oberlicht sein muß,“ sagte sein Sohn mit Nachdruck, und sein weit aufgeschlagenes Auge fixirte stolz das Gesicht der jungen Frau.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_314.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)