Seite:Die Gartenlaube (1879) 299.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


voller Berichte von Dürre und Regenmangel, von Hungersnöthen, welche oft zur Auswanderung zwangen. Ueber das Siloahwasser klagten die Kreuzfahrer wie der heutige Reisende. Palästina hatte bei seinem Steinboden von jeher wenig Holz; was dem Hebräer Wald bedeutet, würden wir kaum als Gestrüpp gelten lassen. Den Patriarchen wird bezeichnend genug nachgesagt, daß sie Bäume pflanzten, und wie die Assyrer, holte Salomo das Holz zum Tempelbau vom Schneeberge Libanon – nur nicht in den ungeheuren Massen der biblischen Angaben: die 10,000 Holzfäller, welche monatlich abwechselnd dorthin geschickt worden sein sollen, hätten binnen Kurzem den ganzen Libanon rasirt. Die Zahlen wie der ganze Farbenauftrag der alttestamentlichen Notizen sind eben übertrieben grell; von den großen Zahlen kann man immer eine Null streichen. Schwerlich hat Palästina selbst in seiner glänzendsten Zeit über vier oder fünf Millionen Bewohner ernährt. Und wie! Milch, Oel, Feigen, Wein und etwas Getreide, Rettig, Zwiebel und Knoblauch waren die Nahrungsmittel; im Durchschnitt aß das Volk nur einmal im Jahre Fleisch, nämlich am Passahfeste, und freute sich lange darauf, wie heute der polnische und ruthenische Bauer. David wird als Knabe mit einigen Broden und Käsen zu seinen drei Brüdern in’s Lager geschickt – so lebte das Heer; und was Salomo in aller seiner Herrlichkeit betrifft, so verfügte er sicher nicht entfernt über soviel Comfort, wie heute bei uns der gute Mittelstand. Mit anderen Worten: Palästina hat in alter Zeit nicht mehr Menschen und diese nicht viel besser ernährt, als es dies heute thut, und es kann heute nicht viel mehr Menschen ernähren, als es thatsächlich ernährt. Eine Einwanderung im größeren Stil wäre nur möglich bei Ausrottung oder Vertreibung der vorhandenen Bewohner, wie sie ähnlich schon Josua für nöthig gehalten hatte. Jene Hyperbel vom „Lande, da Milch und Honig fließt“, welche bestritten zu haben einst dem von Calvin als Ketzer verbrannten Servet als Verbrechen angerechnet wurde, ist eben erklärlich im Munde eines Wüstenbewohners, dem vor Hunger der Magen knurrt. Aber schon Kaiser Friedrich der Zweite soll die Blasphemie ausgesprochen haben „Schade, der Gott des alten und neuen Bundes muß den Golf von Neapel nicht gekannt haben, sonst hätte er ihn und nicht das steinige, wenig ergiebige Canaan zum gelobten Lande erhoben.“

Etwas Paradiesisches hat Palästina an sich – es beherbergt wenigstens unheilbringende Schlangen, während die Löwen, Bären u. dergl. allerdings nicht mehr wie einst die Gefahr des Landes bilden. Bonifaz von Ragusa macht die unglaubliche Mittheilung, daß Tiberias einst, in Ruinen gelegt, wegen der Menge Schlangen nicht mehr bewohnbar war – und die Holländer Zuallart 1556 und Kootwyk 1596 wiederholen die Nachricht. So schlimm steht es jetzt nicht; indessen sagt man am Carmel, daß, abgesehen von dem Vieh, welches dieser Landplage zum Opfer fällt, alljährlich ein Mann durch den Biß der schwarzen, nur ein paar Fuß langen Giftschlange sein Leben lassen müsse. Ich selbst wunderte mich, wie oft meine eingeborenen Begleiter von Endor an, freilich bei gräulicher Hitze, von den Reittieren sprangen, um auf eine vorüberschleichende Schlange einen Schuß abzugeben, die ihnen aber jedesmal entwischte.

Weniger paradiesisch sind andere Eigenthümlichkeiten des Landes, zu denen in erster Linie die häufigen Erdbeben zählen. Es ist ein unberechenbares Unglück für Palästina, daß es in der Erdbebenzone liegt. Die Städte der Küste, Cäsarea wie Tyrus, und jene am galiläischen Meer, die Riesenbauten von Gerasa, Baalbek und Palmyra sind hierdurch längst in Ruinen gelegt. Aber in alter Zeit schon war diese Gefahr eine nicht geringere, und es ist gewiß nicht zufällig , daß die Hügel von Jerusalem unterhöhlt sind; schon das Alterthum kannte die den Stoß der Erdbeben brechenden Wirkungen solcher unterirdischen Grotten. Der Tempelberg ist unterminirt, wie völlig der Hügel Akra; 1854 scharrte ein Hündchen den Zugang zur Hiskiasgrotte auf, einer durch mächtige Stützpfeiler untersetzten Riesenhöhle von 700 Fuß Länge bei teilweis halber Breite. Gleich den Höhlen wirken unbeabsichtigt auch die zum Theil kolossalen Cisternen Jerusalems, sowie die das Areal durchsetzenden Canäle. Von den älteren Erdbeben ist das unter König Usia, 785 vor Christi Geburt, das schrecklichste; bei dieser Gelegenheit riß zu Jerusalem im Wady ben Hinnom der halbe Berghang an der Abendseite sich los und verschüttete die Königsgärten und die Stätte Tophet, welche noch heute der sich wohl lohnenden Ausgrabung harrt. In der neuern Zeit steht am entsetzlichsten das Erdbeben vom 30. October 1759 da, welches das nördliche Palästina traf. Die Erdstöße wiederholten sich von dem Unglückstage an drei Monate lang und wirkten so überraschend und furchtbar, daß in Cölesyrien allein 20,000 Menschen ihr Grab fanden. Näher liegt das Erdbeben vom Neujahrstage 1837, wodurch in Tiberias von 2500 jüdischen Einwohnern 700, oben in Safed dagegen von der Gesammtzahl der 5000 volle 4000 neben 1000 Mohammedanern beim Häusereinsturz grausam zu Grunde gingen. Kaum weniger folgenschwer war die Heimsuchung von 1847; und so lebt man dort in beständiger Angst. Jedenfalls ist es nicht zu rathen, dort höher als ein Stockwerk hoch zu bauen.

Eine andere sehr ungemüthliche Aussicht winkt dem Ansiedler von Seiten der Gesundheitsverhältnisse; Palästina ist ganz besonders stark durch Seuchen der verschiedensten Art heimgesucht. Alle jene schrecklichen Feinde der Menschheit, welche wir am meisten zu fürchten gewohnt sind, Cholera, Pocken, Typhus und wie sie heißen, sind häufige Gäste, vornehmlich aber die Pest. Das ist wiederum vor Alters ganz ebenso gewesen. Die Bibel enthält zahlreiche Berichte über plötzlich hereingebrochene riesige Verwüstungen auf dem Gebiete des Menschenlebens, welche nur vereinzelt durch Schilderung der Symptome nachträglich von uns genauer bestimmt werden können. Am häufigsten genannt ist die von Lord Byron so prächtig poetisch verwerthete Seuche im Assyrierlager König Sanherib’s vor Jerusalem, welche furchtbar genug gewesen sein muß, auch wenn die Zahl 185,000 den Verlust etwas zu hoch ansetzte. Die entsetzliche Bubonenpest hat hier und in Aegypten, wie die Leser der „Gartenlaube“ erst jüngst erfuhren (Jahrgang 1879, Nr. 11), ihre Heimath. Sie entsteht meiner Ueberzeugung nach durch Verwesungsproducte und rührt namentlich von Wallfahrtsorten wie Kerbela am Euphrat her, wohin die Schiiten sogar aus Indien ihre lieben Todten auf Esels- und Kameelsrücken schleppen, trotz Sonnenbrand und Leichendunst, der selbst die Thiere bis zum Umfallen anwidert. Es gilt, sie an heiliger Stätte zu begraben, wo Husein der Sohn Ali’s, den Märtyrertod erlitt. In Palästina selbst bleiben vielfach die Todten halb über der Erde und werden als köstliche Leckerbissen von den Hyänen und Schakalen ausgewühlt, namentlich am Oelberg; denn das Land hat ja fast keine Humusschicht; man muß also mühsam das Grab im Felsboden eröffnen und mit Ueberdecken von Steinen nachhelfen. Leichenverbrennung würde sich, wenn irgendwo, so für Palästina empfehlen, wenn nur nicht das Vorurtheil aller Glaubensparteien dagegen spräche, sowie der Mangel an Feuerungsmaterial! Muß doch der Reisende oft genug seinen Kaffee, wie auch im Nillande, mit den an der Wand getrockneten Fladen von Kuh- und Kameeldünger kochen. Von den Wirkungen der Pest wissen besonders die Juden von Tiberias zu berichten, die schon bis zum dritten Theil von ihr weggerafft wurden.

Im Bunde mit Erdbeben und Krankheit, steht als Drittes die fortwährende Bedrohung der öffentlichen Sicherheit – die namentlich unterstützt wird durch Mangel an Verkehr, wie derselbe umgekehrt durch jene wieder bewirkt wird – den Ansiedelungsplänen feindlich gegenüber. Ein Anfang, um den Verkehr zu heben, würde eine Eisenbahn sein; das Project schwebt noch in der Luft, von Kaifa entlang dem samaritanischen und judäischen Gebirge einen Schienenweg nach Jerusalem zu bauen. Einstweilen gilt noch, was einst ein Einheimischer von Weltbildung zu mir sagte: „Die Kameele sind unsere Eisenbahn.“ Wahrscheinlich ist übrigens, daß früher noch eine Jerusalembahn von Joppe her zu Stande kommt, obwohl die heilige Stadt 2300 Fuß über dem Meere liegt und diese Bahn, an sich schon schwierig zu bauen, keinenfalls auch nur leidliche Zinsen abwerfen wird. Freilich wird sie wohl England für seine reiselustigen Mylords und Myladies bauen müssen, denn die Landeseinwohner haben kein Geld und, wie der Reisende erfährt, mehr antike, in Feld und Trümmerschutt gefundene, als gangbare Münzen im Busentuche.

(Schluß folgt.)



Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_299.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)