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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Armbänder am Handgelenk im Lampenlichte auffunkelten. „Sie haben mich vorhin eine junge Creatur genannt – o, ich muß sehr bitten – so schilt man in unserem Hause nicht einmal die Spülmagd ... Danken wir Gott, Madame, daß mich die Großmama nicht in dieser Situation erblickt! Sie würden Ihnen sofort klar machen, wer von uns Beiden sich herabläßt.“

Die Majorin starrte das Mädchen wortlos an, dessen jugendliche Stimme ihr Gefühl wie ein feingeschliffenes Messer berührte; der Rath brach in ein schallendes Gelächter aus.

„O, lachen Sie immerhin mein Herr – ganz wie es Ihnen gefällt!“ rief die junge Dame erbittert hinüber. „Madame Lucian ist doch die Verlierende. Felix ist mein – wir lassen nicht von einander.“

„Still, Lucile!“ gebot Felix und zog tief erblaßt, mit ernst verweisender Miene ihren Arm fest in den seinen. „Mama, dieses nicht zu billigende Auftreten meiner Braut hast Du selbst provocirt – Du hast sie unverantwortlich gereizt.“

„So mag sie gehen, die – Theaterprinzessin –“

„Nicht ohne mich! – Komm, mein Kind!“

Die Majorin hob unwillkürlich die Arme, und ihr Blick flog, wie Beistand suchend, zu ihrem Bruder hinüber.

„Lasse sie laufen Therese! Du verlierst nichts – sie sind Beide keinen Schuß Pulver werth,“ rief er ihr brutal und verächtlich zu.

Sie trat zurück und gab den Weg frei, und als ob die rohe Verurtheilung seitens ihres Bruders sie urplötzlich beschämend aus ihrem Leidenschaftsrausch aufgerüttelt und ihr die kalte Besonnenheit zurückgegeben habe, streckte sie den Arm gegen den Ausgang hin und sagte mit unnatürlicher Ruhe zu ihrem Sohne. „Gut – Du kannst gehen, mit wem und wohin es Dir beliebt. – Nur sorge dafür, daß ein weiter Raum zwischen uns liegt! Denn ich will Dich nie wiedersehen, nie!... Selbst nach dem Tode nicht! – Fort mit Dir!“

Damit schritt sie rasch und ohne sich umzusehen die Treppe nach dem oberen Stockwerk hinauf, während die Thür des Amtszimmers zuflog.

„Gott sei Dank, daß wir diese Mördergrube im Rücken haben!“ sagte Lucile zu dem jungen Manne, der stumm und schwerathmend mit ihr den Vorderhof durchschritt. Ihre kindlich helle Stimme klang noch bitterböse, und die nach dem Hause zurückdeutende Hand ballte sich zur kleinen drohenden Faust. Aber sie duckte sich auch sofort wieder furchtsam nieder, denn noch waren sie im Bannkreise der „Mördergrube“, aus deren tiefen Fensterhöhlen sich jeden Augenblick noch der Knochenarm eines büßenden Mönches unendlich lang herüberstrecken und ihr Genick eiskalt berühren konnte; noch trennte die hohe finstere Mauer den Klosterhof von der offenen Straße, und seitwärts unter den dichtverschränkten Lindenwipfeln ballten sich die Schatten der Nacht zu hockenden Gestalten – es rauschte leise von dort her wie verdächtiges Stimmengemurmel, und der Wasserstrahl des Laufbrunnens glitzerte durch das nächtliche Dämmerdunkel wie ein breites, gezücktes Schlachtmesser.

Die kleine Klosterpforte war rasselnd hinter ihnen zugefallen, und nun, ihre kleine Person in vollkommener Sicherheit wissend, blieb Lucile stehen.

„Puh, was für Menschen!“ rief sie und rüttelte und schüttelte unter drollig trotzigen Geberden die biegsame, seidenrauschende Gestalt, als wolle sie aus jeder Kleiderfalte den dicken Klosterstaub und von der Seele die häßlichen Eindrücke schütteln. „Armer Felix, Du bist ja in einem wahren Zuchthause aufgewachsen! Eine schöne Verwandtschaft – das nimm mir nicht übel! – Und das nennt sich Mutter! Und der schreckliche Mensch, der immer wie Samiel im ,Freischütz’ so teuflisch aus der Coulisse lachte –“

„Mein Onkel, Lucile!“ unterbrach sie Felix nachdrücklich, wenn auch mit vor Aufregung erstickter Stimme.

„Ach was! – Für einen solchen Onkel danke ich,“ entgegnete sie ungeduldig. „Du bist viel zu gut und sanft, Felix; Du hast Dir jedenfalls stets zu viel gefallen lassen, und nun sollst Du nicht einmal heirathen, und die Frau Mama möchte Dich alles Ernstes als alten Junggesellen in’s Haus stiften, der ihr zeitlebens das Garn wickelt und beim Gemüseputzen hilft – o, da sind wir auch noch da, Madame!... Was für eine hochmütige Frau! Vermuthlich, weil sie noch hübsch ist – bah, was nützt das bei solchem Alter! Und alt ist sie, alt wie die Mama, die auch schon längst mit der Puderquaste die Löcher in der Haut ausfüllt.... Jung sein – ja, das ist die Hauptsache, und wir sind jung, Felix, gelt? – Und darum beneiden uns die Alten.“

Er antwortete nicht. Ihm, für den sonst die übermüthige Silberstimme der Geliebten ein Quell berauschender Melodien war, ihm flog ihr Geplauder in diesem Augenblick unverstanden und wirkungslos am Ohr hin – der Schmerz über die stattgehabten Auftritte mit seiner Mutter und die schwere, unsäglich bange Sorge, wie es nun werden sollte, stürmten durch seine Seele.

Sie gingen unter dem tief niederhängenden Gewitterhimmel hin, von welchem sich bereits einzelne schwer auf dem Pflaster zerschellende Regentropfen lösten. Ein heißer Brodem füllte die menschenleere Straße, an deren äußerstem Ende eben die erste Gasflamme auftauchte. Trotz der einbrechenden Nacht sah man hinter dem herrlichen alten Eisengitter des Schillingshofes die Verschlingung der Sandwege, die mächtigen Päonienbeete voll großgeöffneter, feuriger Blüthen im Vordergrund des eleganten Rasenparterres; man sah das prächtige Brunnenmonument mit seinen scheinbar unbeweglich stehenden silbernen Wassersäulen, und dahinter, wenn auch halb verwischt, die Façade des italienischen Hauses.

Das war freilich ein anderes Entrée als auf dem Klostergute – so viel vornehme Ruhe, wie sie eben ein venetianischer Prachtbau oder eine florentinische Villa um sich behaupten. Das Gitterthor drehte sich geräuschlos in den Angeln, und das Fallen des Brunnenwassers kam als ein so weiches, melodisches Plätschern herüber, daß man daneben jeden vereinzelten, klatschenden Schlag der Regentropfen auf den großen Ricinus- und Rhabarberblättern, das Rieseln des Sandes hörte, den Lucile’s Schleppe streifte.

Die junge Dame fühlte sich wieder in ihrem Element. Der schweigende Mann an ihrer Seite ging ihr viel zu langsam; sie hätte das Rasenrund umfliegen mögen, um so schnell wie möglich wieder Parquet unter den Sohlen und schwebende Lüstres über dem Lockenkopf zu haben. Da stockte ihr Fuß plötzlich – dicht am Wege, unter einer Taxusgruppe geduckt, kauerte ein kleines Mädchen.

„Was thust Du da, Kind?“ fragte die junge Dame.

Es erfolgte keine Antwort.

Felix bog sich nieder und erkannte in der Kleinen, die sich scheu noch tiefer in das dunkle Gebüsch wühlte, Adam’s Töchterchen.

„Du bist’s, Hannchen?“ sagte er. „Ist Dein Vater wieder drin beim alten Herrn?“ Er zeigte nach dem Säulenhaus.

„Ich weiß nicht,“ stieß das Kind hervor – es rang unverkennbar mit einem Jammerausbruch.

„Hat er Dich hierher geführt?“

„Nein – ich bin allein fortgelaufen.“ Sie weinte in sich hinein; man hörte das keuchende Kämpfen der kleinen Brust. – „Die Großmutter versteht’s nicht – sie sagt, ich sei dumm und schlecht, weil ich so ’was von meinem Vater dächte.“

„Was denn, Kind?“ fragte Lucile.

Die Kleine weinte laut auf, aber sie antwortete nicht.

„Die Großmutter wird es wohl auch besser wissen, Hannchen,“ sagte der junge Mann beruhigend. – „Ist Dein Vater ausgegangen?“

„Ja – und er war so roth. Die Großmutter schalt mit ihm, weil er nicht mehr beim gnädigen Herrn ist, er war aber still und hat nur gesagt, er hätte seine schlimmen Kopfschmerzen und wollte sich Tropfen in der Apotheke holen – und da wollte ich mitgehen, weil“ – sie verstummte für einen Moment, in Thränen aufgelöst – „und das litt die Großmutter nicht; sie war böse und hat mir Schuhe und Strümpfe ausgezogen“ stieß sie schließlich heraus.

„Da bist Du ohne Erlaubniß und barfuß fortgelaufen?“ fragte Felix.

„Ich war war in der Engelapotheke,“ antwortete sie, die directe Frage umgehend, während sie die nackten Füße unter das kurze Röckchen zog, „aber sie sagten, der Vater sei gar nicht dagewesen.“

„So war er jedenfalls in einer andern; geh’ nach Hause, Hannchen!“ mahnte der junge Mann. „Dein Vater ist ganz

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