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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


No. 18. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Im Schillingshof.
Von E. Marlitt.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Der junge Mann erwiderte keine Silbe auf den Spott des Onkels; nicht mit einem Blicke streifte er den Sprechenden. Bitter lächelnd ließ er die Rechte sinken, die seine Mutter zurückwies.

„Sieh mich an!“ gebot sie, sich gewaltsam bezwingend. Dieses „Sieh mich an!“ war einst die Formel gewesen, mit der sie die Sünden des heimlichen Versemachens, des verbotenen Komödienspielens mit anderen Kindern auf dem Hausboden des Schillingshofes aus dem weichherzig nachgiebigen Knaben herausgelockt hatte – und so kam ihr das geläufige Wort auch jetzt wie unwillkürlich auf die Lippen. „Sieh mich an, Felix, und dann frage Dich selbst, ob Du mir, mir eine Frau zuführen darfst, die –“

„Mama, vollende nicht!“ unterbrach er sie mit tiefem Ernst. „Ich dulde nicht, daß ihr auch nur ein Haar gekrümmt werde, noch weniger aber soll sie eine Beleidigung anhören, die ihr das arglose Herz vergiftet.“ Zärtlich beschützend legte er seine Hand auf das braunlockige Köpfchen, das sich, mit furchtsamem Seitenblicke nach dem unheimlichen Amtszimmer, an seine Brust gelehnt hatte.

Die Majorin zuckte zusammen. In die natürliche mütterliche Eifersucht mischte sich die gekränkte Eigenliebe einer selbstsüchtigen Frauennatur, die vom Sohne herrisch verlangte: „Du sollst nicht andere Götter haben neben mir!“ Es war nicht allein mehr die verachtete Tänzerin, es war weit eher noch das schöne, an seinem Herzen ruhende weibliche Wesen, das sie mit unauslöschlichem Hasse verfolgte – zu ihrem eigenen Befremden; denn bis dahin hatte ihr der Gedanke an eine Wahl ihres Sohnes das Herz nicht berührt. Und nun dieser furchtbare innere Sturm, der ihr den letzten Rest äußeren Gleichmuthes raubte!... Sie wußte, daß hinter jeder Thür gespannte Ohren, an jedem Schlüsselloche wißbegierige Augen lauerten; sie mußte sich sagen, daß morgen die Familienscene in der Hausflur des Klostergutes durch das Gesinde nach allen Richtungen in die Welt hinausgetragen würde, und doch ließ sie der Leidenschaft, die ihre Stimme erschütternd anschwellte, die Zügel schießen.

„Da sieht man, wie schnell ein Kind seine Mutter verläßt,“ rief sie mit zuckenden Lippen. „Bei so schwarzem Undanke muß jeder Frau der Wunsch vergehen, einem Kinde das Leben zu geben. Habe ich deshalb die Nächte an Deinem Krankenbette verwacht, nur deshalb Dich mit Mühen und Opfern großgezogen, damit ich der ersten besten, jungen Creatur weichen muß, welche die Kinderschuhe kaum ausgetreten hat?... Wenn auch nur ein Funke von Dank, von Rechtsgefühl in Dir lebt, so hältst Du zu mir – ich will keine Tochter.“

In scheuer Bestürzung streifte der Blick des jungen Mannes die empörte Mutter – bei dieser plötzlich und maßlos hervorbrechenden, ungerechtfertigten Eifersucht, dieser unerhörten Beschlagnahme des ganzen Menschen als ihres angeketteten Eigenthums, mußte er an seinen unglücklichen, verschollenen Vater denken; der grenzenlose Egoismus seitens der Frau mochte die Ehe gesprengt haben. Diese Ueberzeugung stählte seine Widerstandskraft.

„Dein Appell an meine Kindespflicht ist weit härter und ungehöriger, als wenn Du verlangtest, ich soll mir aus Liebe zu Dir die Augen ausstechen lassen –“

„Phrase!“ rief der Rath herüber.

„Wie kannst Du mich noch einmal einer Wahl gegenüberstellen, die längst entschieden ist?“ fuhr er, den höhnischen Einwurf vom Amtszimmer her völlig ignorirend, mit gesteigerter Stimme fort. „Lucile hat sich unter meinen Schutz gestellt – ich habe zu ihr zu halten von Gottes und Rechtswegen. Oder willst Du mich zum Schurken machen, der ein liebevoll vertrauendes Mädchen hülflos in Nacht und Nebel hinausstößt, damit er am warmen geschützten Herd der Mutter bleiben darf?... Mutter!“ bat er nochmals weich und flehend. „Wenn Du ihr die Aufnahme verweigerst, so verlierst Du Deinen Sohn.“

„Lieber gar kein Kind, als ein entartetes.“

„Aber ich begreife Dich nicht, Felix – wie magst Du Dich so maltraitiren lassen?“ rief Lucile aufgebracht und resolut. Sie hatte längst den furchtsam an seine Brust geschmiegten Kopf erhoben „Madame, Sie sind eine herzlose Frau.“

„Lucile!“ unterbrach sie der junge Mann erschrocken, indem er sie an sich zu ziehen suchte.

„O nein, Felix, lasse mich! Das muß gesagt sein,“ – rief sie und schob seine Hände zurück. – „Es ist zu lächerlich, zu unglaublich, aber ich sehe und höre es doch mit meinen eigenen Augen und Ohren – und da muß es wohl so sein ... Madame, Sie bilden sich offenbar ein, ich müsse es für eine Ehre halten, hier aufgenommen zu werden – großer Gott! – in diesem Hause! ... Und wenn Sie mir alle Schätze der Welt versprechen wollten, ich bliebe nicht bei Ihnen.“ – Sie zog ihren Hut zornig in die Stirn, bei welcher Bewegung die steinbesetzten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_293.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)