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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

arg zerstört worden; zwei andere Häuser am Weichselufer, das Otto’sche und das Reimann’sche Schankhaus, lagen da wie in’s Eis verpackt.

Abgeschlossen von aller Welt, mitten im Wasser und Eise, durchlebten die Bewohner der Ruine Dybow, Thorn gegenüber, und die Schiffer, welche mit ihren Kähnen unter den Bäumen der Bazarinsel Zuflucht gesucht hatten, entsetzliche Stunden. Wohl hatte der Eisgang im Hauptstrome, in Folge der Stopfungen unterhalb, schon am Abend wieder aufgehört, aber mit um so stärkerer Macht nahm das Eis seinen Weg durch den linken Nebenarm der Weichsel nach der linksseitigen durch Dämme nicht geschützten Niederung. Vom Kaszczoreker Sand bis hinüber nach Rudak, von den Festungswerken, die sich bei Thorn an der rechten Seite des Stroms erheben, bis zu dem Damme der Posen-Thorner Eisenbahn, den das Wasser schon zu unterspülen begann – Alles nur eine einzige Wüste von Wasser und Eis. Hier die Eisschollen, in barocken Gestaltungen an einander geschoben und auf einander gethürmt, ruhig liegend, aber jeden Augenblick bereit, bei eintretender Strömung dahin zu gleiten mit furchtbarer Gewalt; dort Wasser und Eis in rasendem Laufe vorüber eilend und Tod und Verderben bringend.

Ebenso traurig sah es in den Niederungsdörfern aus, in Gurske, Schmolln, Pensau und Czarnowo. Nicht allen Bewohnern war es gelungen, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen; vierundzwanzig entsetzliche Stunden verlebten einzelne auf den mitten im Wasser stehenden Häusern, ehe es den Nachbarn gelang, mit Kähnen heranzukommen und sie an’s Land zu bringen. Und zu aller dieser Sorge des Augenblicks noch die bange Frage: was wird die nächste Zukunft bringen? Werden sich die Eisstopfungen unterhalb langsam lösen, wird das Eis von oberhalb auch nicht mit Macht nachdrängen und dann vollends zerstören, was das Wasser verschonte?

Die Bewohner des linken Weichselufers befanden sich in keiner besseren Lage. Die Ländereien von Nessau, Schulitz, Fordon – alle bieten sie denselben trübseligen Anblick – Wasser und Eis, so weit das Auge reicht, nur hier und da ein Baum, ein Dach aus den Fluthen hervorragend, oder allerhand Mobilien, Spiegel, Schränke, Wiegen und Hausgeräth in den Fluthen schwimmend – und der Mensch machtlos dem verheerenden Elemente gegenüber. Ueberall die nämlichen Eisstopfungen , die das Wasser anstauen und übertreten lassen! Die Ortschaften der Culmer Niederung, Grenz und Roßgarten, sind auf’s Höchste bedroht; ein Militärcommando geht eiligst von Culm ab, an der Erhöhung der Dämme zu arbeiten. Die Fischereivorstadt bei Culm steht unter Wasser. Aus der Schwetz-Neuenburger Niederung und aus Schwetz selbst kommen herzzerreißende Nachrichten; eine Eisstopfung, die von der Graudenzer Brücke bis nach Deutsch-Westfalen reicht, setzt die Niederungsdörfer und die Altstadt Schwetz unter Wasser. 135 Häuser, meist von der Armuth bewohnt, sind in der Altstadt von Schwetz dem Elemente preisgegeben, theils schon zerstört, theils dem Einsturz nahe. Aus den Dächern hervor, unter die sie geflüchtet, bringen die Armen, zitternd vor Aufregung und Kälte, ihre wenigen Habseligkeiten bis in die späten Nachtstunden hinein in Kähnen nach der höher gelegenen Neustadt, wo sie in der Stadtschule, im Kreishaus, in Restaurationen vorläufig Obdach finden und die Mitglieder des Frauenvereins in edlem Wetteifer Hunderten von Nothleidenden Nahrung darbieten. Verzweiflung und Dankesgefühl, Furcht und Hoffnung kämpfen in den Herzen. Von Danzig ist ein Militärcommando nach Deutsch-Westfalen abgegangen, um die Eisstopfungen durch Sprengungen zu beseitigen; wird die Hülfe zeitig genug kommen – oder werden auch die bis jetzt verschonten Häuser und mit ihnen die Habe, die zurückgelassen werden mußte, ein Raub der Wellen werden?

Die Hoffnung hat nicht betrogen. Das Unglück, so groß es ist, hat seine Grenzen erreicht. Die Stopfungen lösen sich, das Wasser verläuft sich. Am Nachmittag des 19. Februar hat das Wasser bei Thorn seinen höchsten Stand erreicht mit 25 Fuß 2 Zoll, den höchsten, welchen die Weichsel in diesem Jahrhundert dort gehabt. Nur die Eisgänge der Jahre 1579, 1584 und 1719 mit respective 28 Fuß, 27 Fuß 4 Zoll und 26 Fuß 1 Zoll hatten höheren Wasserstand. Langsam, sehr langsam beginnt das Wasser zu fallen, aber dieser langsame Verlauf erweist sich als ein Glück für die unteren Weichselgegenden; denn das Hochwasser hat Zeit sich zu vertheilen; das Eis kann sich allmählich lösen; ganz normal vollzieht sich der Eisgang im untern Stromlaufe, wo sonst die Gefahr am größten ist. Mit Ende Februar können die Bewohner der Weichselwerder aufathmen; die Weichsel hat ausgetobt. Auf dem Lande, welches der Strom mit seinen Eismassen überzogen, hat er compacte Eismauern bis zu 15 Fuß Höhe zurückgelassen. Als phantastische Eisgebirge, mit seltsam geformten Kuppen, mit Grotten und Thälern liegen die gefesselten Riesen da; die Kraft, die ihnen Leben gab, ist verschwunden; gestern noch der Schrecken der Männer, sind sie heute der Spielplatz der Knaben, und in wenigen Wochen hat die Frühlingssonne ihnen ein Ende gemacht.

Der Schaden, welchen Eisgang und Ueberschwemmung angerichtet, ist noch nicht zu berechnen. Härter als die Zerstörung der Gebäude trifft die Bewohner der Niederungen der Schaden an den Dämmen, zu deren Wiederherstellung die Deichverbände verpflichtet sind, und die Versandung ihrer Ländereien. Mehrere Fuß hoch hat die Weichsel an vielen Stellen den guten, fetten Niederungsboden mit Sand bedeckt, als wolle sie ihrem Zerstörungswerk, auch nachdem sie in ihr Bett zurückkehren mußte, Dauer verleihen. Aber ein kerniger Schlag Menschen sind diese Colonisten, die seit den Tagen der Ordensritter zu verschiedenen Epochen, namentlich unter Friedrich dem Großen, aus allen Theilen Deutschlands nach den Weichselniederungen sich gezogen haben und seitdem, im Gegensatz zu der gemischten Bevölkerung der „Höhe“, einen rein deutschen Stamm und den Kern der bäuerlichen Bevölkerung in dem vorwiegend vom Großgrundbesitz bewirthschafteten nordöstlichen Deutschland bilden. Sie verzagen nicht; mit frischem Muthe, mit unvergleichlicher Ausdauer und mit der alten Anhänglichkeit an die liebgewordene eigene Scholle gehen sie immer wieder von Neuem daran, die Wunden zu heilen, die ihnen die tückische Weichsel schlug, und wenn sie, wie zu hoffen, von der Staatsregierung dabei unterstützt werden, wird es ihnen auch diesmal gelingen.[1]

R. Hupfer.




Ein Schillerpreis-Gekrönter.
Von Otto Hammann.


An einem Herbsttage des Jahres 1870 war auf dem Zettel des Theaters an der Wien zu lesen: „Der Pfarrer von Kirchfeld, Volksstück mit Gesang in vier Acten von L. Gruber.“ Obgleich Aller Augen sich damals auf das Kriegsschauspiel richteten, war das Theater am Abend bis an die Decke gefüllt. Allerlei Gerüchte waren unter die Leute gekommen, dieses Stück eines gänzlich unbekannten Autors enthalte freisinnige Ideen; das Cölibat der Priester würde darin lächerlich gemacht, die Herrschaft des Papstthums bekämpft. Gewiß stellte die größere Zahl der Theatergänger sich den Pfarrer von Kirchfeld als einen niederträchtigen Kerl vor, der unter erheuchelter Frömmigkeit das bekannte Hocuspocusspiel mit der Religion treibt, der hetzt, statt versöhnt, der salbungsvoll die Tugend predigt, um hinter der Gardine mit cynischem Lächeln sich ihrer Verletzung zu freuen. Ein Volksstück! Was für tolle Ungereimtheiten wird es da wieder zu sehen geben, welche Metamorphosen werden die Personen durchleben, um die Wiener zum Lachen zu bringen, und wie plump und aufdringlich wird die freisinnige Tendenz des Stückes den Leuten in’s Gesicht gesagt werden! Was sollte auch von Gruber, den kein Mensch kannte, Gutes kommen!

  1. Von einem Hülfscomité in Schwetz sind Aufrufe zur Hülfe für die von den Fluthen der Weichsel um Hab und Gut gebrachten sehr zahlreichen Bewohner jener Niederungen in der Presse verbreitet worden; auch sie sind, wie die Klagen vom Spessart, vor den verheerenden Wogenstürmen der Theiß verhallt. Der Szegediner Wohlthätigkeitsdrang hatte sein gutes Recht; vielleicht besinnt man sich aber nun auch auf die patriotische Pflicht, die verarmten deutschen Colonisten nicht sich, ihrer Arbeitskraft und der Hülfe des Staats allein zu überlassen sondern jenen deutschen Fleiß so zu unterstützen, daß er seiner Arbeit wieder froh werde.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_274.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)