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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

„Hast Du Schulden?“ fiel der Rath scharf ein und trat gespannt auf den Sprechenden zu.

Der junge Mann warf stolz den Kopf zurück und verneinte.

„Nun denn – wozu? Hält Dich Deine Mutter zu kurz? Und möchtest Du noch mehr solch überflüssigen Firlefanz in Dein Knopfloch hängen, wie Du ihn hier trägst?“ Er war auf die Thürstufe getreten und fixirte die Berloques, die an dem Uhrkettenring des Neffen hingen. Mit spitzem Finger zog er ein kleines goldenes Rund hervor, von welchem ein farbiges Funkeln ausging. „Alle Wetter, die Steinchen sind ja echt! – Ist das Dein Geschmack, Therese?“ rief er über die Schulter in die Küche zurück.

Die Majorin hatte eben ihre blauleinene Küchenschürze abgenommen und hing sie an einen Nagel. Sie kam gelassen, ohne jedwedes Zeichen von Interesse herüber.

„Ich kaufe nie dergleichen moderne Spielereien,“ antwortete sie mit einem prüfenden Seitenblick auf das Schmuckstück, dann aber heftete sie ihr dunkles Auge durchdringend und mit dem Ausdrucke des Untersuchungsrichters auf das wie mit Blut übergossene Gesicht des Sohnes. „Von wem ist die Kapsel?“ fragte sie kurz.

„Von einer Dame –“

„Mein Sohn, junge Mädchen haben selten so viel Geld zu verschenken,“ warf der Rath ein, indem er das Steingefunkel wohlgefällig hin- und herspielen ließ; „will Dir sagen, Felix, von wem das kostbare Andenken ist – von Deiner alten Freundin, der Baronin Leo in Berlin; eine ehrwürdig graue Locke ist drin – wie?“

„Nein, Onkel, eine glänzend braune,“ entgegnete der junge Mann rasch, als sei ihm diese falsche Vorstellung unerträglich – ein stolz glückseliges Lächeln irrte dabei um seinen Mund, aber gleich darauf stockte ihm der Athem; er hatte die Entscheidung herbeigeführt, ohne alle Vorbereitung, und nun standen ihm diese zwei Eisenköpfe gegenüber – Malice und Sarkasmus auf den Lippen des einen, und der andere mit dem unwillig überraschten, durchbohrenden Blicke; nie war Felix diese Wolfram’sche Familienseele in beiden Gesichtern so vernichtend entgegengetreten, wie in diesem peinlichen Moment.

„Ich möchte den Namen der Dame wissen,“ sagte seine Mutter lakonisch und genau mit der Beichtigermiene, die sie vor Jahren angenommen, wenn ihr Knabe in Gesellschaft eines fremden Kindes betroffen worden war. Sie las in den Zügen ihres Sohnes mit der ganzen Schärfe ihres Verstandes und Urtheils; sie sah auch jetzt, wie er mit qualvollen Gefühlen kämpfte, und gerade das ließ sie ohne Rücksicht, unerbittlich vorgehen.

„Mama, sei gut!“ bat er weich und flehentlich: er ergriff ihre beiden Hände und zog sie gegen seine Brust. „Lasse mir Zeit –“

„Nein!“ unterbrach sie ihn entschieden und zog die Hände aus den seinen. „Du weißt, ich mache stets sofort reinen Tisch, wenn ich eine Differenz zwischen uns bemerke – und hier liegt eine bedenkliche. Glaubst Du, ich lasse mich herbei, eine ganze, lange Nacht über den dunklen Weg zu grübeln, den Du offenbar gehst? – Ich will den Namen wissen.“

Die großen, blauen Augen des jungen Mannes funkelten auf in tiefverletztem Gefühl, aber er schwieg und strich sich, nach Fassung ringend, wiederholt mit der Rechten über die Stirn und die prachtvollen, aschblonden Haarwellen, die sie umrahmten.

„Bist ja ein Hauptheld!“ warf der Rath derb und ironisch hin. „Thust ja gerade, als ginge es Dir und dem braunen Lockenkopf an den Kragen. – Hm – ein Bettelmädchen ist’s nicht; sie hat Brillanten zu verschenken, aber mit der Familie, mit der Herkunft hat es seinen Haken – wie? – Du hast alle Ursache, die Sippe zu verleugnen – Du schämst Dich –“

„Schämen? Ich sollte mich meiner Lucile schämen?“ fuhr der junge Mann rückhaltslos auf – um seine Selbstbeherrschung war es geschehen. „Lucile Fournier! – Fragt nach ihr in Berlin, und ihr werdet hören, daß ihr der ganze junge Adel zu Füßen liegt, daß sie sofort in eines der ersten Grafengeschlechter heirathen könnte, wenn sie es nicht vorzöge, mir zu gehören. Aber ich weiß sehr gut, daß eine exotische Blume nicht in den deutschen Ackerboden paßt; ich weiß ebenso, daß Alles, was Kunst heißt, auf dem Klostergute schlecht angeschrieben ist; ich habe mit hartnäckigen Vorurtheilen zu kämpfen, und das machte mich für einen Augenblick befangen, nicht für mich selbst, sondern weil ich sicher bin, daß in der ersten Ueberraschung verunglimpfende Worte über mein Mädchen fallen werden – und die ertrage ich absolut nicht.“

Er schöpfte tief Athem und sah jetzt fest und furchtlos in das Gesicht seiner Mutter, welche, die Hand auf die Tischecke gestemmt, die erblaßten Lippen in den Winkeln tiefgesenkt, starr wie von Stein, ihm gegenüber stand. – „Lucile’s Mutter ist eine berühmte Frau,“ setzte er kurz und entschlossen hinzu.

„So?!“ fragte gedehnt der Rath. „Und der Herr Vater? Ist der nicht berühmt?“

„Die Eltern leben getrennt, wie“ – der junge Mann wollte sagen: „wie die meinen“ – aber ein wildes Auflodern im Auge der Majorin ließ ihn die letzten Worte verschlucken. Nach einem kurzen Schweigen sagte er rasch, wie um der unsäglich peinlichen Spannung sofort ein Ende zu machen: „Madame Fournier ist die Ballerina –“

„Ach was, sprich doch deutsch, Felix!“ fiel der Rath mit cynischem Sarkasmus ein. „Sage, die Tänzerin, die mit kurzem Röckchen und nackter Brust Abends über die Bretter fliegt – brr“ – er schüttelte sich und lachte höhnisch auf – „das wird die künftige Schwiegermutter sein, Therese!“ – Mit strengem Vorwurf erhob er den Zeigefinger gegen die Schwester, und sein scharfgeschnittenes Gesicht erstarrte förmlich in dem menschenfeindlich finsteren Gepräge, das seine Mitbürger an ihm haßten. „Weißt Du noch, was ich Dir vor fünfundzwanzig Jahren prophezeit habe?“ fragte er. „Du wirst die unverständige Wahl Deines Gatten in Deinen Kindern verwünschen – sagte ich nicht so, Therese? Da ist’s nun – das ist sein Blut, das leichte Soldatenblut – Nun schüttle das verhaßte Element ab, wenn Du kannst!“

„Das kann ich freilich nicht mehr,“ antwortete sie tonlos; „aber die leichte Waare, die es mir in’s Haus bringen will, die werde ich abschütteln – darauf verlasse Dich!“

Ein Geräusch in der Küche machte sie verstummen. Eine Magd war unterdessen mit einem Korbe voll Spinat eingetreten und schickte sich an, das Gemüse auf dem Küchentische vorzurichten. Die Majorin ging hinüber, schickte das Mädchen hinaus und schob den Riegel vor die Thür, die nach der Flur führte, dann kehrte sie zurück.

Dem jungen Mann klopfte das Herz zum Zerspringen, als diese Frau im langwallenden Trauerkleid, mit dem völlig entfärbten, aber in jedem Zuge entschlossenen Gesicht festen, raschen Schrittes auf ihn zukam, um „kurzen Proceß zu machen“. Unwillkürlich fuhr seine Hand nach dem Medaillon.

Ein kaltes Lächeln glitt bei dieser Bewegung um die Lippen seiner Mutter.

„Kannst ganz ruhig sein! Das unanständige Präsent da berühre ich ganz gewiß nicht mit meinen ehrlichen Händen – man weiß, woher die Brillanten der Tänzerinnen zu stammen pflegen.... Du wirst so verständig sein, auf meinen Wunsch und Willen hin das Geschenk eigenhändig abzulegen; wenn nicht – dann wird nach schlimmen Erfahrungen eine Stunde kommen, in welcher Du es voller Ekel von Dir wirfst –“

„Nie!“ rief er stürmisch, unter einem halb bitteren, halb jubelnden Auflachen; er hatte das Medaillon losgenestelt und drückte es inbrünstig an seine Lippen.

„Narrenspossen!“ murmelte der Rath grimmig zwischen den Zähnen, während die Augen der Majorin plötzlich in verhaltener Leidenschaft flimmerten. Eifersucht durchschütterte diese anscheinend in Kaltsinn und nüchterner Berechnung gefestete Natur. „Narrenspossen!“ wiederholte der Rath, als Felix das Andenken in der Brusttasche barg und mit zärtlich innigem Blick die Hand darauf preßte, als drücke er sein Mädchen selbst an das Herz. – „Schämst Du Dich gar nicht, vor uns ernsthaften Leuten solche Theaterstückchen aufzuführen? Ich begreife überhaupt nicht, wo Du den Muth hernimmst, hier auf dem Klostergute, Deiner respectablen Familie gegenüber, solche Liaisons zu erwähnen, von welchen andere junge Leute aus gutem Hause nicht zu reden pflegen –“

„Onkel!“ unterbrach ihn der junge Mann, seiner nicht mehr mächtig.

„Herr Referendar?!“ höhnte der Rath kalt zurück. Er schlug die Arme unter, und sein blitzendes Auge fixirte unverwandt und verächtlich das glühende Gesicht des Neffen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_262.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)