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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

wieder näher brachte. Nur ein solcher Mann vermocht den Gedanken Wagner’s, aus der Gallerie ein Spiegelbild der Entwickelung der neueren deutschen Malerei zu machen, bis in seine letzten Consequenzen zu verwirklichen. Die königliche Staatsregierung fand die geeignete Persönlichkeit in dem Kunstgelehrten Dr. Jordan, der als Vorsteher des Leipziger Museums ein Verwaltungstalent bekundet hatte, welches die auf ihn gefallene Wahl rechtfertigte. In Schrift und Wort hatte er unermüdlich für die Kenntniß der neudeutschen Kunst gewirkt und viele ihrer Schätze durch Vervielfältigung zum Gemeingut des deutschen Volkes gemacht.

Der deutsche Volkscharakter und die deutsche Volksseele spiegeln sich gerade in der neueren deutschen Kunst, welche die grandiosen philosophischen Dichtungen eines Cornelius, die dramatisch bewegten Historiengemälde eines Alfred Rethel und die naiven, herzigen Familien- und Kinderbilder eines Ludwig Richter umfaßt, am schärfsten und deutlichsten wieder. Kleideten diese Maler zum Theil auch ihre Gedanken in eine antike, durch Carstens begründete Formensprache, so knüpften sie auf der anderen Seite an Albrecht Dürer an, und die kalte Glätte der antiken Kunst ertödtete nicht die Innigkeit des deutschen Gemüths, welches durch die anmuthigen und humorvollen Compositionen Ludwig Richter’s am verständlichsten zum Herzen sprach.

Ebenso reich, wie die Periode des Cornelius, ist eine zweite Epoche der neueren deutschen Kunst, deren Entwickelungsgang mit jener fast parallel läuft, in der Nationalgallerie vertreten: die Düsseldorfer Geschichts- und Genremalerei, wie sie sich unter Wilhelm von Schadow’s Leitung herausgebildet hat. Seit den dreißiger Jahren erregten die Gemälde der Düsseldorfer Meister auf den Ausstellungen der Berliner Kunstakademie ein Interesse, das von Jahr zu Jahr wuchs. Der Consul Wagner ließ kaum eine Ausstellung vorübergehen, ohne seine Sammlung mit diesem oder jenem besonders populär gewordenen Bilde eines Düsseldorfers zu bereichern.

Mit Rücksicht auf die Räumlichkeiten, über welche ein Privatmann verfügen kann, und wohl auch auf seine persönliche Neigung beschränkte Wagner seine Ankäufe vornehmlich auf den Kreis der Genremalerei. Bilder wie Hasenclever’s „Weinprobe“ und „Lesecabinet“, Jordan’s „Heirathsantrag auf Helgoland“, Hildebrand’s „Krieger und sein Kind“, Schrödter’s „Don Quixote“ sind durch Lithographien und Kupferstiche so weit verbreitet worden, daß man in deutschen Landen kaum ein Haus finden dürfte, in welches nicht das eine oder das andere dieser Gemälde, und wenn auch nur in der bescheidensten Photographie, Eingang gefunden hat. Nachdem aber erst der Gedanke gefaßt worden, der modernen deutschen Kunst ein Heim in großem Styl zu errichten, fand auch die Düsseldorfer Historienmalerei, die nunmehr ebenfalls der Vergangenheit angehört, die verdiente Berücksichtigung. Dem Zusammentreffen glücklicher Umstände verdankt die Nationalgallerie den Besitz einiger Hauptwerke der Schule, darunter Lessing’s weltberühmte Composition „Huß vor dem Scheiterhaufen“, welches in einem Umfange wie kein zweites Bild das gesammte künstlerische Glaubensbekenntniß der Düsseldorfer Schule enthält. Heute ist diese Richtung, wie erwähnt, bereits überwunden oder richtiger übertrumpft. Man empfindet diese Thatsache nirgends schärfer, als wenn man vor ein zweites Bild gleichem Umfangs tritt, vor Makart’s Riesengemälde „Venedig huldigt der Katharina Cornaro“, welches die Nationalgallerie als eine charakteristische Probe der neuesten Historienmalerei erworben hat. Wie Altmeister Lessing aber noch selbst über sein Werk hinausgewachsen ist, wie er sich die coloristischen Errungenschaften der Neuzeit noch zu eigen gemacht, zeigt eine fünfundzwanzig Jahre nach dem 1850 vollendeten Hußbilde entstandene Eifellandschaft, auf welcher der Künstler dieselbe großartige Auffassung der Natur bekundet, wie früher in der Schilderung eines bedeutsamen historischen Vorgangs. Wie sich die Düsseldorfer Historienmalerei nach seiner großen That weiter entwickelt hat, zeigt hinwiederum ein großes Gemälde Bendemann’s, „Jeremias bei dem Falle Jerusalems“, welches ebenfalls zu den Schätzen der Nationalgallerie gehört. Es versteht sich von selbst, daß die neueste Blüthe der Düsseldorfer Malerei, das Genre, wie es besonders von Knaus, Vautier und Karl Hoff gepflegt wird, von Seiten der Direction und der Commission, welcher die Entscheidung über die Ankäufe obliegt, eine nicht minder fürsorgliche Berücksichtigung erfährt. In gleichem Maße wird Sorge getragen, daß der Entwickelungsgang der Berliner Malerei in seinen charakteristischen Momenten ausführlich illustrirt wird.

Die Schätze der Sammlung wachsen von Jahr zu Jahr. Mit einer Unparteilichkeit, welche die vollste Anerkennung verdient, sorgt Director Jordan dafür, daß die deutsche Kunst in allen ihren Phasen und in ihren verschiedenen Ausdrucksformen eine angemessene Vertretung in der Nationalgallerie findet. Wenn er bisher noch ihre Pforten dem neuesten, schnell modern gewordenen Ultrarealismus verschlossen hat, so wird er in diesem Verfahren so lange auf den Beifall aller wahren Kunstfreunde rechnen dürfen, bis sich jene Richtung innerhalb der deutschen Kunst besser über ihre ästhetische Berechtigung ausgewiesen hat, als es ihr bisher gelungen ist.

Wer sein theuerstes und edelstes Besitzthum kennen lernen will, muß seinen Feind zu Rathe ziehen. Von jeher haben die Franzosen in den Schöpfungen eines Dürer, eines Cornelius, eines Overbeck, eines Rethel den Höhepunkt der deutschen Kunst gesehen, und stets haben sie mit Verachtung auf unsere coloristischen Bestrebungen herabgeblickt. Seit Cornelius’ Tod haben sie sich um die deutsche Kunst nicht gekümmert. Cornelius, Overbeck und Kaulbach sind todt, sagten sie höhnisch, als sich Deutschland aus Courtoisie in letzter Stunde entschloß, sein edelstes Gut, seine Kunst, auf dem Marsfelde der Kritik seiner Feinde zu exponiren. Was werden uns die Deutschen schicken? fragten sie weiter. Altmodische Bilder und armselige Püppchen! – Der große Erfolg der deutschen Kunst auf der Pariser Weltausstellung hat die beste Antwort auf diese Frage gegeben. Eine[WS 1] bescheidene Auswahl war nur möglich. Der Raum zwang uns, die bedeutendsten Schöpfungen der letzten Jahre zu Hause zu lassen und doch hat die deutsche Kunst durch ihre dem Idealen zugewendete Richtung einen Sieg errungen, dessen nächste Folge hoffentlich diejenige sein wird, daß dem schnöden, kunstwidrigen Realismus, der seit einigen Jahren auch in die deutsche Kunst eingedrungen ist, ein starker Riegel vorgeschoben wird.

Keine Nation kann sich des Besitzes so vieler gottbegnadeter Künstlergenies rühmen wie das deutsche Volk. Mancher dieser genialen Männer ringt freilich noch mit technischer Unbeholfenheit, die eine Folge des in Deutschland leider arg vernachlässigten Kunstunterrichts ist. Aber in der ganzen Summe der französischen Farbenkünstler, welche zweiundzwanzig Säle der Kunsthalle der Weltausstellung mit abenteuerlichen Mordgeschichten und niedlichen, geistreichen Miniaturbildchen gefüllt haben, steckt nicht so viel Genie, so viel Gemüthstiefe, so viel Humor wie in einem Knaus, einem Menzel.

Die Berliner Nationalgallerie darf sich den Hauptantheil an dem Erfolge der deutschen Kunst in Paris zu Gute schreiben. Waren doch aus ihren Schätzen diejenigen Bilder und Statuen genommen, welche in Paris das größte Aufsehen erregten . Knaus’ „Kinderfest“, A. Achenbach’s „Strand von Scheveningen“, Menzel’s „Eisenwalzwerk“, Gebhardt’s „Abendmahl“, Günther’s „Trauernder Wittwer“, Hoff’s „Taufe des Neugeborenen“, Henneberg’s „Jagd nach dem Glück“, Scherres’ „Ueberschwemmung in Ostpreußen“ und Spangenberg’s „Zug des Todes“.

Die letztere, tief ergreifende Composition schmückt in Holzschnitt-Wiedergabe diesen Artikel. Es ist ein gedankenvolles, hochpoetisches Werk, welches in Form und Inhalt an die Tradition eines Dürer und Holbein anknüpft und uns in jenen Ideenkreis einführt, dem die deutschen Maler des fünfzehnten und sechszehnten Jahrhunderts so viele fruchtbare Motive entlehnten.

Die deutsche Kunst machte sich kein Bild von der dämonischen unbegreiflichen Macht des Todes, wie es die Griechen und Römer gethan. Die naive Auffassung des Mittelalters nahm die Wirkung für die Ursache und dachte sich den Tod anfangs in der Gestalt eines verwesten Leichnams, dann als entfleischtes Gerippe. Die moderne Kunst vermochte sich den mittelalterlichen Vorstellungen, die zu tief in den Gedankenkreis des Volkes eingedrungen waren, nicht mehr zu entziehen. Das Gerippe blieb bis auf den heutigen Tag für die Kunst das Symbol des Todes. Auch Gustav Spangenberg, der sich wie nur noch wenige deutsche Maler in die Ideen des späteren Mittelalters und besonders der Reformationszeit eingelebt hat, bildete den Tod als Gerippe. Aber er hüllte ihn in ein weißes Mönchsgewand und gab ihm das Glöcklein des Meßners in die Hand, mit welchem er die Welt durchschreitet und Jedem seine Stunde läutet. In dem

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  1. Vorlage: „Ein“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_255.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)