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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


No. 15. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Im Schillingshof.
Von E. Marlitt.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
3.

Die Majorin kehrte mit einem Achselzucken an den Küchentisch zurück.

„Mit dieser Art Leuten ist nicht viel anzufangen – sie sind gleich außer Rand und Band,“ sagte sie gelassen wie immer.

„Nun, den möchte ich doch sehen, der sein inneres Gleichgewicht behält, wenn er ungerecht beschuldigt wird und darüber auch noch sein Brod verliert!“ rief ihr Sohn tieferregt. „Sei nicht böse, Mama – aber auf dem Klostergute werden seit Jahrhunderten nur reiche, kluge Leute geboren – kein warmblütiges Menschenherz.“

„Wir backen ‚seit Jahrhunderten’ wöchentlich sechs Armenbrode, mag das Korn gerathen oder nicht,“ entgegnete sie, ohne auch nur eine Miene ihres ernsten Gesichts zu verziehen. „Wir unterstützen auch vielfach auf andere Weise, wenn wir das auch nicht an die große Glocke hängen. Aber wir sind bedächtiger Natur und rennen nicht mit jedem Kopf, der oben’naus will.... Du bist allerdings nicht auf dem Klostergute geboren“ – die gelassene, gleichmütige Stimme konnte sehr spitz werden – „Du bist auch so ein neumodischer Brausekopf, der den Einen in den Himmel hebt und dabei das gute Recht eines Anderen zertritt. Meinst Du wirklich, der Onkel solle öffentlich erklären, daß er um ‚das Geheimniß’ des Herrn von Schilling nicht gewußt hat?“

„Das durchaus nicht, aber –“

„Es würde auch dem wunderlichen Menschen, dem Adam, nichts nützen, so wenig wie dem alten Mann im Schillingshofe zu helfen ist,“ fiel sie ihm in’s Wort. „Die ‚brillante’ Heirath hat die verpfändeten Güter nicht so unbedingt an die Familie wieder zurückgebracht. Der Vormund der jungen Frau, ein schlauer Fuchs, hat einen Ehecontract aufgestellt, der den Schillings sehr viel zu wünschen übrig lassen soll – daher die grimmige Laune, die der Alte drüben nun an der Dienerschaft ausläßt.“

„Der arme, alte Papa Schilling!“ rief Felix bedauernd. „Da mag er freilich tief erbittert sein und um den gescheiterten Plan doppelt grollen – der Kohlenfund hätte ihm jedenfalls wieder zu eigenem Vermögen verholfen. Es thut mir unsäglich leid – er büßt doch zumeist für die Sünden seiner Vorfahren.“

Die Majorin räusperte sich vernehmlich – sie wußte es jedenfalls besser – aber sie erwiderte kein Wort; sie widersprach nur, wenn sie im eigenen Interesse mußte, dann aber auch energisch. Während ihr Sohn einigemal mit raschen Schritten die Hausflur durchmaß, schälte sie eine frische Gurke zum Salat.

„Wunderbar aber ist und bleibt es, daß zwei Köpfe fast zur selben Stunde den gleichen Gedanken hegen, einen Schatz zu heben, an welchem alle Vorfahren und sie selbst so lange Zeit ahnungslos vorübergegangen sind,“ sagte der junge Mann nach einem augenblicklichen Schweigen gespannt und trat wieder auf die Schwelle der Küchenthür.

„Hm – ich frage den Onkel sehr selten und lege mir alle Vorkommnisse selbst zurecht,“ entgegnete seine Mutter, ohne von ihrer Beschäftigung wegzusehen. „Der Onkel wird schon längst ebenso klug gewesen sein, wie der Herr Ingenieur, aber er hat wohl die Unruhe und das Risico des Unternehmens gescheut. Nun ist der kleine Veit angekommen – die Wolframs blühen wieder auf, und da wird jeder neue Erwerb zur Pflicht.“

„Mein Gott, soll denn dieses fieberhafte Erwerben bis in alle Ewigkeit fortgehen, Mama? Ich sollte doch meinen, Deine Familie hätte längst übergenug.“

Die Majorin fuhr wie entsetzt herum, und ein langer, unwillig überraschter Blick maß strafend den Sohn – es glimmte doch auch nicht ein Funke des Wolfram’schen Familiengeistes in ihm. „Uebergenug haben!“ Den vermessenen Gedanken hatte man auf dem Klostergute noch nicht gedacht, geschweige denn laut werde lassen – wie den Schlafwandelnden, so schreckt ja ein unbesonnener Anruf das scheue Glück vom Wege und macht es stürzen.

„Ueber die Vermögensverhältnisse spricht man in unserer Familie nicht – das merke Dir!“ wies sie ihn scharf und schneidend zurecht. Sie drehte an einem Hahn über dem Spültisch und ließ sich das frische Brunnenwasser über die Hände laufen.

„Dein spätes Mittagbrod ist fertig – gehe in die Stube! Ich komme gleich nach,“ sagte sie kurz über die Schulter.

Das war ein barsches Commando. Felix biß sich zornig auf die Unterlippe und schritt an seiner Mutter vorüber in die anstoßende Stube. Da hatte zu allen Zeiten der Eßtisch gestanden, und der tiefe Fensterbogen war der unbestrittene Platz der Hausfrau gewesen. Die Fenster gingen, wie die der Küche, auf den Hinterhof, den die Wirthschaftsgebäude und nach dem Schillingshofe zu eine Mauer umschlossen. Vor dem oberen Stockwerk der Gebäude hin lief ein bedeckter Gang; eine Reihe kleiner Fenster, von schmalen Thüren unterbrochen – einst die Mönchszellen – mündeten auf ihn; das waren jetzt die Heu- und Kornböden, die Obstkammern. Spreusiebe und Rechen hingen an den Außenwänden,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_245.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)