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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Fiel aber der Schnee in solchen Massen, daß der vollständige Untergang der Thiere durch Futtermangel herbeigeführt werden konnte, so wurden sie nach Lopshorn eingetrieben und dort gefüttert. Kam der Frühling, so labten sie sich an den frisch aufbrechende Knospen der Bäume, sie waren aber in dieser Zeit nach den überstandenen Winterstrapazen so bis auf die Knochen abgemagert, daß, wer sie nicht als Senner kannte, wie Prizelius sagt, sie nicht einmal hätte geschenkt haben mögen. Besonders schlimm war der Senner, wie oben schon gesagt, in Bezug auf das Wasser daran, das je nach der gefallenen Regenmenge in verschiedener Quantität im Gebirge vorhanden ist. Bei großer Trockenheit mußten die Thiere oft mehrere Meilen weit nach Wasser laufen, und indem sie dann erhitzt den Durst mit dem kalten Gebirgswasser löschten, das durchschnittlich nie mehr als sechs Grad hält, wurden die schwächeren lungenfaul; oder das Wasser stand, wie an vielen Orte des Waldes, wo es keinen Abfluß hat, in sumpfigen Lachen, war also faulig und ungesund.

Wie unter der Hitze, hatten die Thiere aber auch unter dem rauhen Klima von Herbst und Winter zu leiden; denn wenn am Fuße des Gebirges in Detmold Schlackenwetter herrscht, liegt eine halbe Stunde davon im Gebirge schon ein paar Zoll Schnee. Wie ernst aber dieser Kampf mit Klima und Nahrungsverhältnissen zu nehmen ist, und wie zerstörend er oft in den Bestand des Gestüts eingriff, dafür einige Beispiele! Noch im Mai 1773 kamen im Schnee drei Stuten und zwei Füllen um. Der Winter von 1740 räumte ganz besonders stark im Gestüte auf; ab und zu gelang es, ein schon halb erfrorenes Thier auf Schlitten nach Lopshorn zufahren und dort zu retten. Namentlich standen die Thiere bei starker Kälte in den Dickichten, wo sie dann schwer aufzufinden waren. Solche schlimme Jahre hatten natürlich auf die Abfohlung den nachtheiligsten Einfluß, sodaß z. B. 1748 von hundertelf Stuten, welche tragend sein sollten, nur achtundzwanzig es wirklich waren und außerdem sechsundzwanzig und mit ihnen alle Füllen bis auf zwölf starben. Endlich war auch eine Folge dieser Einflüsse die langsame Entwickelung des Senners; die Stute war oft unverhältnißmäßig lange über die normale Zeit tragend, und der Senner brauchte sechs bis sieben Jahre zu seiner völligen Entwickelung, ehe er in Dienst gestellt werden konnte. Die Vermehrung soll oft nicht mehr als 38 Procent betragen haben; Prizelius versichert freilich, daß er eine solche bis zu zwei Drittel erzielt habe. Wie dem nun auch in Bezug auf die Quantität sei – in Betreff der Qualität wirkte dieser ausgesprochene Kampf um’s Dasein vortrefflich – die schwachen Thiere gingen zu Grunde, und nur die starken, ausdauernden pflanzten sich fort.

Um dem Bestand größere Regelmäßigkeit zu verleihen, trieb man die Thiere seit der zweiten Hälfte des vorige Jahrhunderts die Wintermonate über nach Lopshorn, wie dies bis auf die neueste Zeit stattgefunden hat. Im Frühjahr wurden ihnen die Thore geöffnet, und sie stoben dann – ein prächtiger Anblick – zu Rudeln gesellt in wilder Jagd nach dem geliebten Walde zu auseinander.

Wie alle wilden Pferde lebten die Senner auch in Rudeln, und es zeigten sich in ihrer Lebensweise alle Erscheinungen der Heerdenbildung. Nur Senner hielt sich zu Senner; nur was als Saugfüllen mit der Sennerstute durch den Wald zog, wurde unter ihnen geduldet. Gerieth ein fremdes Pferd unter ein Rudel, so konnte es von Glück sagen, wenn es mit dem Verlust von einigen Fetzen Haut und Fleisch lebendig wieder herauskam, denn sofort fiel das Rudel mit Schlagen und Beißen darüber her – ein Grund zugleich, weshalb das Gestüt von fremden Stuten rein blieb. Mit den Hirschen dagegen vertrugen sich die Senner ausgezeichnet, und die Rudel der Pferde und Hirsche sah man immer bunt unter einander weiden. Jedes Rudel hatte seine bestimmten Wechsel, die es genau einhielt. Kein Thier trennte sich vom Rudel, und geschah dies beim Treiben einmal, so ruhte es nicht, bis es wieder bei den Seinigen angelangt war. Besonders interessant ist die Beobachtung, daß eine zum ersten Mal tragende Stute sich von den übrigen trennte und den bereits tragenden zugesellte, die sie auch willig in ihrer Mitte aufnahmen.

Dieselbe Anhänglichkeit, welche das einzelne Thier an sein Rudel bindet, macht sich auch dem heimischen Weidegend, dem Gebirge gegenüber, geltend. So kam es öfters vor, daß Senner, die in die angrenzenden Gegenden verkauft worden waren, nachdem sie sich ihres Reiters entledigt hatten, mit Zaum und Sattel in den Wald zurückkehrten und von Neuem eingetrieben werden mußten. Wie stark aber oft diese Sehnsucht nach den heimathlichen Bergen war, zeigt eine Thatsache, welche Zugleich jenen räthselhaften, gegenwärtig durch den Brieftaubensport wieder vielfach besprochenen Zug des Thierlebens zeigt, sich von den entferntesten Gegenden in die Heimath zurückzufinden. Man hatte einen Senner nach Frankreich verkauft, es waren aber kaum einige Woche vergangen, als er mit französischem Zaum und Sattel schaumbedeckt über die Senne daher seinem Walde zugejagt kam. Wie sich herausstellte, hatte er seinen französischen Reiter, der freilich nicht mit einem Senner umzugehen verstanden hatte, mit kurzem Ruck der französischen Erde übermittelt, war zum Rhein geeilt, hatte diesen durchschwommen und erschien so wieder in den heimischen Weidegründen.

Die Aufsicht über den Bestand des Gestütes, speciell der einzelnen Rudel, lag dem Gestütswärter ob – wie man denken kann, kein leichtes Amt, das übrigens in der Familie forterbte. Wie der Forstmann die Wechsel des Wildes, so kannte der Gestütswächter mit seinen Untergebenen die Wechsel der Sener. In früher Morgendämmerung, wenn der Thau noch auf dem Boden lag, saß er auf und folgte den im thaufeuchten Grase noch deutlich erkennbare Spuren der Pferde. Unsere Illustration zeigt ein Rudel in der Morgenfrühe, welches soeben das Herannahen des Gestütswächters wittert. Wurde ein krankes, lahmes oder sonstwie beschädigtes Thier angetroffen, so mußte es allein oder mit seinem Rudel eingetrieben werden. Bekam man ein Rudel in Sicht, so wurde genau notirt, welche Thiere man gesehen; Abends wurde dann ein Rapport in’s Gestütsbuch eingetragen; ergab sich daraus übereinstimmend, daß ein bestimmtes Stück mehrere Tage hinter einander nicht beobachtet wurde, so war die Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß es „ausgetreten“ sei. Dieses Austreten bestand darin, daß ein Thier das Gebirge und die Senne verließ und sich in’s Preußische oder nach Waldeck etc. begab, ja sie liefen oft bis nach dem Rhein in’s Sauerland hinein, da sie, wild und scheu wie sie waren, nicht leicht von den Bewohnern eingefangen werden konnten. Der Gestütswächter mußte dann von Ort zu Ort in den angrenzenden Landschaften Umfrage halten, ob ein Senner beobachtet worden sei; wurde er gefunden, so wurde ihm ein Lasso über den Hals geworfen und er vorsichtig zurücktransportirt.

Eine andere Art des Austretens oder vielmehr Uebertretens der Pferde war das Einbrechen in die Felder der Bauern. Zwar waren dieselben durch Hecken und Gatter geschützt, welche bei Strafe in gutem Stande und verschlossen gehalten werden mußten, aber die Thiere fanden ab und zu doch ihren Weg in die Aecker, wobei gewöhnlich ein altes erfahrenes Thier die anderen auf den verbotenen Weg führte. Es geschah dies in doppelter Weise, durch Bohren oder Springen. Im ersteren Falle suchte das Leitthier eine lockere Stelle in der Hecke, wo es mit der Nase durchdringen konnte; dann legte es sich mit aller Gewalt hinein und brach so lange, bis der Durchgang fertig war und nun das ganze Rudel folgte. Im anderen Falle gelangten sie mit einem Sprunge über alle Hindernisse in das Feld, und man erzählt sich in den Dörfern des Waldes von manchem mächtigen Sennersprung. Im Herbst und Frühjahr zogen sich die Senner oft bis an die Vorgärten Detmolds heran. Früher war nur ein Theil des umliegenden Landes durch dergleichen Hecken und Gatter geschützt; im Jahre 1864 ist ein großer Theil des Gebirges und der Haide, 30,000 Morgen, durch ein Drahtgitter abgegrenzt worden.

Zu den Obliegenheiten des Gestütswächters gehörte ferner das Eintreiben der Thiere, sei es, daß der Fürst einmal das Gestüt zusammensehen wollte, sei es zum Einfangen der in Dienst zu stellenden Thiere oder endlich alljährlich zu Züchtungszwecken. Daß dies keine leichte Arbeit war, beweist schon der Umstand, daß, sollte das ganze Gestüt vereinigt sein, das Treiben acht Tage vor dem festgesetzten Termin beginnen mußte. Abgesehen davon, daß die Thiere oft in den Dickichten nicht oder sehr schwer aufzufinden waren, hatten die Treiber, unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Querschnitte des Terrains sowie der gewohnten Wechsel, darauf zu sehen, daß die Pferde die Köpfe in der Richtung nach Lopshorn vorzeigten, wenn es nicht geschehen sollte, daß das mit dem Gebirge vertraute Rudel plötzlich zur Seite ausbrach, meilenweit zurücklief und das Treiben dann von Neuem beginnen mußte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_240.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)