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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

und wenn man den Schaden besieht, ist gar keiner da, kein Eindruck, noch weniger ein Loch, und die Baumwolle in ihrem früheren Zustande, als ob nichts vorgefallen wäre.“

So geht es auch mit der Feuerbestattung. Als vor einigen Jahren die Wellen der Bewegung hoch gingen und in Zürich sogar ein Journal gegründet wurde, das in Prosa und Versen nach allen Seiten hin Feuer gab, wie der Drehthurm eines Panzerschiffes, wurde auch in Genf eine Versammlung gehalten, in welcher ich das Wort ergriff und darauf aufmerksam machte, daß es uns, den Anhängern der Feuerbestattung, erst nach jahrelangem, unablässigem Ringen gegen confessionelle und juridische Bedenken gelingen werde, dahin zu kommen, wohin man in Gotha jetzt gelangt ist. Ich behielt Recht. Und doch brannte die Sache in Genf dem Publicum sehr empfindlich auf die Nägel.

Man erlaube mir ein Wort in der Sache, mit der ich mich praktisch zu beschäftigen Gelegenheit hatte. Seit Jahren schon sieht man den Zeitpunkt herannahen, wo man in Genf, auf dem jetzigen Friedhofe, nicht mehr wird beerdigen können; seit Jahren suchen die Stadtbehörden nach einem neuen zur Beerdigung geeigneten Platze in der Nähe der Stadt, ohne einen solchen finden zu können. Ich war selbst Mitglied einer Commission, die über ein Jahr lang in Thätigkeit war, die verschiedenen Plätze nach allen Seiten hin untersuchte und experimentell prüfte, indem sie Thierleichen einscharren ließ, welche nach Monaten wieder ausgegraben wurden und so einen praktischen Maßstab der Verwesung im Boden gaben. Ich gab nach allen diesen Untersuchungen in einem sehr ausführlichen Gutachten mein Urtheil dahin ab, „daß keiner der vorgeschlagenen neuen Friedhöfe einen wirklich passenden Boden besitze, gegen den keine Einwendungen gemacht werden könnten, und daß man deshalb auf künstliche Weise den Fehlern abhelfen müsse.

Das war ein vermittelnder Vorschlag, den ich machen mußte, weil ich mir wohl bewußt war, daß die zwangsweise Feuerbestattung nicht eingeführt werden (ihre begeistertsten Anhänger verzichten auf den Zwang) und daß die freiwillige, facultative Feuerbestattung dem Uebel, wie es sich in Genf und den meisten Städten zeigt, nicht abhelfen könne.

Da liegt der Haken.

Abgesehen von religiösen und juridischen Bedenken, über die ich noch später einige Worte sagen will, wird die obligatorische Feuerbestattung durch den Umstand unmöglich, daß, wie dies ja auch Professor Reclam sagt, sie in kleineren Orten nicht anwendbar ist, man also dort bei dem Begraben verharren wird – bei einem so tief in alle Verhältnisse einschneidenden Gegenstande aber, wie die Art und Weise der Leichenbestattung es ist, wird der Gesetzgeber sich wohl hüten müssen, einen Gegensatz zwischen Stadt und Land zu schaffen, der zu den ärgerlichsten Folgen führen könnte. Die facultative Leichenbestattung aber, die sich nur sehr langsam Bahn brechen kann, hilft der Ueberfüllung, auch der städtischen Friedhöfe, nicht ab, die durch Generationen hindurch stets dringender wird.

Nehmen wir ein Beispiel! Genf begräbt mit seinen beiden Vorstädten, Pleinpalais und Eaux-vives, welche besondere Gemeinden bilden und den jetzigen Friedhof noch mitbenutzen, jährlich etwa 1000 Todte. Vom Ende des Jahres 1880 an wird man mehr als die Hälfte dieser Todten nicht mehr auf dem jetzigen Kirchhofe begraben können, ohne Gräber aufzuwühlen, die erst seit 8 oder 6 Jahren besetzt, deren Leichen noch nicht vollständig verwest sind. Man errichtet eine Feuerhalle – nehmen wir das an. Wenn bis zum Ende des Jahres 1880 sich zehn Personen verbrennen lassen, so wird man im Lager der Feuerbestatter jubeln, und wenn im folgenden Jahre sich fünfzig verbrennen lassen (was kaum glaublich), so wird man entzückt sein über den Erfolg. Mit vollem Rechte. Was fängt aber die Stadt Genf mit den 450 Leichen an, die nicht verbrannt werden dürfen und die sie doch nicht beerdigen kann?

Das Uebel liegt in dem zunehmenden Wachsthum der Städte. Die jetzigen Friedhöfe, welche früher außerhalb des Weichbildes lagen, werden nach und nach von Stadtvierteln umschlossen; ihre Vergrößerung wird durch den Preis des Bodens in der Umgebung, der zu Bauplätzen verwerthet wird, unerschwinglich; die Liegenschaften in der Nähe der Stadt steigen ebenfalls mehr und mehr im Preise oder müssen stundenweit entfernt gesucht werden. Alle Städte ohne Ausnahme sind jetzt schon gezwungen, die sogenannte Rotation eintreten zu lassen, das heißt die Gräber nach einer gewissen Zeit (10 bis höchstens 20 Jahre) zu eröffnen und neu zu besetzen. Schließlich sättigt sich der Boden in solcher Art, daß auch eine solche Rotation nicht mehr möglich ist. Die kürzere oder längere Frist, innerhalb welcher sie stattfinden kann, hängt von der Beschaffenheit des Bodens ab; er darf weder zu durchlässig für Luft und Wasser sein, noch diese beiden Elemente der Verwesung allzusehr in ihrer Circulation hindern. Solcher Boden ist höchst selten. Was nun?

Es bleibt nur das Eine übrig, daß man der Bestattung ihren bisherigen Gebrauch, so viel es thunlich, läßt, aber solche Methoden ausfindig macht, welche so wenig Platz als möglich beanspruchen, eine schnelle Rotation ermöglichen und somit Zeit, Geld und Mühe sparen. Ehe ich auf einen Vorschlag in dieser Richtung eingehe, möchte ich mir noch einige Worte über die Feuerbestattung selbst erlauben.

Professor Reclam hat ganz Recht, wenn er in dem erwähnten Aufsatze sagt, „daß Feuerbestattung Vortheile bietet für die Gesundheitspflege, für die Pietät gegen die Todten und für die Gemeindeverwaltung in den Städten“, wenn er aber hinzufügt, die Einsichtigen hätten erkannt, „daß weder juristische noch religiöse Bedenken gegen dieselbe bestehen“, so kann ich diesen Worten nicht unbedingt beipflichten. Einsichtige können für sich selbst keine religiösen Bedenken haben, aber nichts desto weniger erkennen, daß dieselbe bei Anderen bestehen; und daß dies bei der großen Masse der Fall ist, kann keinem Zweifel unterliegen, namentlich bei den Anhängern derjenigen Kirchen, welche die Tradition höher halten, als die Protestanten. Im Anfange wurde das Begräbniß, die Beisetzung in Höhlen, Katakomben etc. als das wahre christliche Begräbniß betrachtet, dem die heidnische Verbrennung, wider welche die Kirchenväter donnerten, gegenüber stand; der Glaube an die Auferstehung der Todten und ihre Erscheinung beim letzten Gerichte war dem materiellen Begräbniß ein mächtiger Rückhalt. Wir Einsichtigen wissen recht gut, daß die Verbrennung nur eine gewaltsame Beschleunigung des in der Erde vor sich gehenden langsamen Prozesses ist, daß beide Prozesse genau dasselbe Endresultat haben – aber die Einsichtigen bilden nur die Minorität gegenüber den großen Massen, die sich nur schwer von Vorstellungen lostrennen können, welche auf mehr oder minder handgreiflichem Grunde beruhen. Ich sprach einmal mit einem bibelgläubigen Protestanten über die Leichenverbrennung. „Ganz gut, Herr,“ sagte er mir, „wie hätte aber Christus am dritten Tage wieder auferstehen können, wenn er am zweiten nach seinem Tode verbrannt worden wäre? Ich will begraben werden, wie unser Herr Christus.“

Es ist also Unrecht zu sagen, die Einsichtigen hätten erkannt, daß der Leichenverbrennung keine religiösen Bedenken entgegenstehen; die Einsichtigen müssen im Gegentheil erkennen, daß dieselben bestehen in allen Lagern der religiös Gesinnten, am stärksten bei den Katholiken und Griechen, wo die Tradition der Kirche eine wesentliche Rolle spielt und der Cultus der Todten weit allgemeiner und inniger ist, als bei den Protestanten. Wer den 2. November, den Tag der Todten in romanischen Ländern verlebt hat, wird mir zustimmen müssen.

Hinsichtlich der juridischen Bedenken aber bin ich der Meinung, daß sie bei den Einsichtigen gerade schwer in das Gewicht fallen. Ohne Zweifel sind schon Giftmorde durch Ausgrabung der Leichen entdeckt oder bestätigt worden. Die meisten Giftmorde werden durch Arsenik begangen, der gerade die Leichen conservirt und nach Jahren noch mit vollständiger Sicherheit sich nachweisen läßt. Bei der Verbrennung verflüchtigt sich der Arsenik und mit ihm der materielle Nachweis des Giftes. Die Chancen des Entschlüpfens vor der Strafe, die ohnehin schon bei dem Giftmorde größer sind, als bei anderen Verbrechen ähnlicher Art, werden also durch die Feuerbestattung vermehrt. Auch diese Erwägung wird die Leichenverbrennung der Sympathie der großen Masse gewiß nicht näher bringen.

So wird also diese neue Form der Bestattung nur höchst langsam sich Bahn brechen, vielleicht erst in Jahrhunderten so allgemein werden, daß man sie obligatorisch machen kann, und bis dahin muß Rath geschaffen werden. Der Tod wartet nicht auf die Beseitigung von Vorurtheilen und Bedenken.

Hier setzt nun der Vorschlag eines meiner Bekannten, des Architekten Schaeck-Jacquet in Genf, eines geborenen Oesterreichers, ein. Derselbe beruht auf dem Studium der Nekropolen, wie sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_231.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)