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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


hochgethürmten, schönen, schneeweißen Steingebild, und seitwärts schatteten seltene Zierbäume. Die Tuchweber nebenan aber waren viel conservativer, als die Ritterlichen im Schillingshof. Sie rissen nicht nieder und bauten nicht; sie stützten nur, und wo ein Stein wankte, da wurde er mit ängstlicher Sorgfalt wieder eingekittet; deshalb zeigte das „Klostergut“, wie sie ihr Besitzthum fort und fort benannten, nach fast drei Jahrhunderten noch vollkommen die Physiognomie, die ihm die Mönche gegeben. Altersdunkel, dazu in der gewaltigen Balkenlage ein wenig verschoben und scheinbar tiefer in die Erde gesunken, hob sich der Giebelbau ungeschlacht und finster wie immer hinter der Straßenmauer. Und diese Mauer war eitel Flickwerk, wie das eichene Bohlengefüge in ihrem hochgewölbten Thorbogen, wie das Pförtchen zur Seite der großen Einfahrt, an welchem einst die müden Fußgänger um Einlaß geläutet, und das heute noch wie damals in denselben Lauten rasselte und schnarrte, wenn um sechs Uhr Abends die Leute aus allen Gassen und Straßen herbeikamen, um, ebenfalls wie seit alten, alten Zeiten, die Milch bei den ehemaligen Tuchwebern zu holen; denn die Wolframs hatten sehr bald den Webstuhl mit der Ackerwirtschaft vertauscht und emsig, wo sie irgend konnten, Grund und Boden und Triftgerechtigkeiten der Stadtflur käuflich an sich gezogen. Sie kargten und sparten, und zäh, hartköpfig und beständig von Charakter waren sie Alle, wie sie nach einander kamen. Die Männer scheuten sich nicht, hinter dem Pflug herzugehen, und die Hausfrauen, eine nach der anderen, standen zur Abendzeit pünktlich auf ihrem Posten am Milchschanktisch, auf daß kein Pfennig durch ungetreue Mägde in fremde Hand komme.

Und sie thaten recht daran, die Wolframs, wie es sich im Lauf der Zeiten auswies. Ihr Reichthum wuchs und mit ihm das Ansehen; sie wurden, fast ohne Ausnahme, in den Rath der Stadt gewählt, und endlich, nach abermals hundert Jahren kam auch die Stunde, wo die Herren von Schilling es für angezeigt hielten, zu bemerken, daß sie einen Nachbar hatten. Von da an entspann sich ein freundlicher Verkehr. Die hohe Mauer blieb zwar stehen – sie hatte sich inzwischen vom Schillingshofe her mit dem undurchdringlichen Geflecht einer köstlichen Weinrebensorte bedeckt, und drüben umklammerte sie dunkler Epheu mit zähen Armen – aber der Geist einer humaneren Zeit schlüpfte über sie weg; die von Schilling fanden es nicht mehr unter ihrer Würde, einen kleinen Wolfram über das Taufbecken zu halten, und wenn sie den nachbarlichen Senator zu Tische luden, so fiel es ihm nicht ein, besondere Ehre darin zu sehen. Ja, es trat die Macht des Wechsels allmählich, im Lauf des letzten Jahrhunderts, so hart an beide Geschlechter heran, daß, während die einst mißachteten Tuchweber mit Patriciernimbus vor ihren Truhen voll verbrieften, reichen Besitzthums standen, die Kästen Derer von Schilling sich in erschreckender Weise leerten. Sie hatten zu vornehm, in stolzer Ueppigkeit gehaust, und der letzte Senior der Familie, der Freiherr Krafft von Schilling, stand bereits voll zitternder Angst mit einem Fuße über dem Abgrund des selbstverschuldeten Unterganges, als der Vetter starb, dem sie Hab und Gut verpfändet hatten. Und das war die Rettung des sinkenden Geschlechtes – der einzige Sohn des Freiherrn heirathete die hinterlassene einzige Tochter des Verstorbenen und mit ihr alle Güter an das Schilling’sche Haus zurück. Das geschah Anno 1860.

In dieses rettende Jahr fiel aber auch ein Ereigniß, das im Nachbarhause mit einem wahren Jubel begrüßt wurde. Durch mehrere Generationen hindurch hatte die Familie Wolfram immer nur auf zwei Augen gestanden, seit fünfzig Jahren aber war kein männlicher Erbe auf dem Klostergute geboren worden. Der Letzte des Stammes, der Rath und Oberbürgermeister der Stadt, Franz Wolfram, war in Folge dessen zum finstern, wortkargen Eheherrn umgewandelt, dem der Groll sichtlich am Herzen nagte. Fünf Töchterlein hatten nach einander das Licht der Welt erblickt, alle so „unausstehlich“ flachshaarig wie die Mutter, alle mit der Neigung im kleinen, bangen Herzen, sich vor dem gestrengen Vater in dunkle Winkel zu verkriechen, bis sie nach kurzem Dasein die helllockigen Köpfchen erlöst und friedfertig auf das weiße Kissen des Todtenschreins betten durften.... Die Frau Räthin waltete befangen und schweigend, wie eine Schuldbewußte, neben dem erbitterten Eheherrn; nur sein näher kommender Schritt jagte ihr stets die Flamme heftigen Erschreckens über das blasse Gesicht; sonst glich sie einem wandelnden Steinbild mit ihrem stillen, freud- und klanglosen Wesen.

Und nun, sieben Jahre nach dem Tode ihres letzten Töchterleins, lag sie wieder droben in der Hinterstube, unter dem schneeweißen Betthimmel; draußen zogen schwere, dunkle Wolken vorüber, aber ein einzelner Sonnenblitz durchzuckte sie und spielte über der Stirn der blassen Dulderin.

„Ein Sohn!“ sagte feierlich die alte Wartfrau.

„Ein Wolfram!“ brach es wie ein Jubelschrei von den Lippen des Rathes. Er warf zwei Goldstücke in das Bad, das die braunen Glieder des Kindes benetzte, dann trat er an das Bett und küßte zum ersten Male nach zwanzigjähriger Ehe die Hand der Frau, die seinem Sohn das Leben gegeben.

Da kam ein Tag, wie ihn das Klostergut wohl noch nicht gesehen hatte.

Es war nicht die Art der Wolframs, mit Hab’ und Gut zu prunken; sie entzogen im Gegentheil ihre Silber- und Leinenschätze, das Familiengeschmeide, die alten kostbaren Weine in ihren Kellern sorgfältig der Oeffentlichkeit – ihnen genügte es, sich im Besitze zu wissen; in den Nachmittags- und Abendstunden jenes Tages indessen breitete sich in der sogenannten großen Stube, dem ehemaligen Refectorium der Mönche, der öffentlich verleugnete Glanz des Hauses in seinem ganzen Umfange aus. Auf der mächtigen, damastgedeckten Speisetafel funkelte das Jahrhunderte hindurch aufgespeicherte Silbergeräth, die Schalen und Schüsseln, Kannen und schlanken Becher, die riesigen Salzfässer, und rings auf den braunen holzgeschnitzten Wänden vielarmige Leuchter, Alles gediegen, in herrlich getriebener Arbeit. Und in der kleineren Stube nebenan stand der Tauftisch. Die Wolframs waren keine Blumenfreunde; nie hatte sich ein Blumentopf auf den Fenstersimsen breit machen dürfen, und im Obst- und Gemüsegarten hinter den Wirthschaftsgebäuden blühten kaum einige wilde Rosensträucher, die sich freiwillig angesiedelt, in den Ecken – heute aber umstand eine duftende, den Treibhäusern der Stadt entliehene Orangerie den weißbehangenen Tisch mit dem Taufgeräth; den Täufling umrauschte das alte Familienerbstück, eine Taufschleppe von dickem, apfelgrünem Atlas, und auf dem dunkelhaarigen Köpfchen saß die dazu gehörige altfränkische Mütze mit einer kaffeegelben Mechelner Spitzengarnitur und Stickereien von indischen Staubperlen.

Die alte Wartfrau saß derweil droben in der Wochenstube am Bett und erzählte der Frau Räthin von der Pracht drunten, von der stolzen Gevatterschaft in Sammt und Seide, von dem Wein, den man wie Gewürz durch das ganze Haus röche, und daß das „Rathssöhnchen“ wie ein Prinz unter Rosen- und Myrthenbäumen getauft worden sei.

Das vergrämte Gesicht der Wöchnerin lächelte in bitterer Wehmuth; ihren kleinen Mädchen hatte die Taufschleppe nicht gebührt – sie war von der Urahne nur für die männlichen Nachkommen gestiftet worden – es hatten auch keine Rosen und Myrthen um das Taufbecken gestanden, und der Silberschatz des Hauses war unter seinen schützenden Lederdecken verblieben. Auf den Wangen der blassen Frau begannen auch Rosen aufzublühen, dunkle Fieberrosen, und während drunten die Gläser klangen zum Wohl und Gedeihen des heißersehnten Stammhalters, theilten sich droben die weißen Bettvorhänge, und fünf Kinder schlüpften herein – sie waren alle da bei der Mutter, die kleinen Mädchen, und sie herzte sie heißinbrünstig und spielte mit ihnen Tag und Nacht in seliger Mutterlust, und die Aerzte standen rathtos um die unaufhörlich flüsternde Frau, bis sie mit müdem, seligem Lächeln den Kopf in das Kissen drückte und einschlief für immer. –

Ihr Heimgang hinterließ keine bemerkenswerthe Lücke. Der kleine Veit hatte eine Amme, und wenige Stunden nach dem letzten Athemzuge der Hausfrau kam die Schwester des Rathes, die schöne bitterernste Frau, aus ihrem Wohngelaß im oberen Stockwerke herab, um die Schlüssel und mit ihnen die Leitung des verwaisten Hauswesens zu übernehmen.

Sie war eine echte Wolfram in ihrem ganzen Thun und Wesen, wie in der äußeren Erscheinung, an welcher sechsundvierzig Lebensjahre fast spurlos vorübergeglitten. Nur einmal in ihrem Leben hatte sie die Leidenschaft über die anerzogenen strengen Principien siegen lassen, und das war ihr „folgerichtig“ zum Unheil ausgeschlagen. Sie war neben dem Rath die einzige Miterbin des Wolfram’schen Besitzthums und dabei ein selten schönes

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_226.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)