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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


No. 14. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Im Schillingshof.
Von E. Marlitt.


1.

„Der Schillingshof“ hieß es, das herrliche, alte Haus, nahe der Benediktinerkirche; im Volksmund aber war und blieb es „das Säulenhaus“, ob auch die Neuzeit ganze Straßenfronten mit Säulen und Säulchen schmückte und so eigentlich die Auszeichnung aufhob. Ein Benediktinermönch hatte das Haus gebaut.

In jenen Zeiten, wo die Beherbergung von Reisenden noch kein städtisches Gewerbe war, nahmen sich die Klöster und Ritterburgen der durchziehenden Fremden an. Mancher Klosterorden errichtete zu diesem Zweck ein Hospiz auf seinem Grund und Boden – so war das Säulenhaus entstanden. – Das Kloster war ein sehr reiches, und Bruder Ambrosius, der Baumeister und Bildhauer, war schönheitstrunken von Italien heraufgekommen; zudem galt es, ein standeswürdiges Logement zu schaffen für gefürstete Häupter und hochgräfliche Herren, die mit Ehegemahl und Gefolge oft des Weges daherzogen und gern an das Klosterthor klopften. Dies Alles machte, daß sich neben dem plumpen Giebelbau des Bruderhauses jene köstliche Façade erhob, die auf einem hallenartigen, weitgeschwungenen Säulengang ein Obergeschoß mit halbrundbogigen Fenstern trug und in jeder Bogenfüllung, auf Consolen und Friesen und auf den Pfosten der mächtigen Rundbogenthür, innerhalb der offenen Halle, den bewunderungswürdigen Schmuck einer ganzen steinernen Vegetation zeigte.... Während der Oberbau zu beiden Seiten zurücktrat, lief das Erdgeschoß mit seinem Säulengang um je drei Fenster flügelartig weiter; so stieß nur dieses untere Stockwerk hart an die südliche Klosterwand und bildete, durch Steinbalustraden gekrönt, zwei luftige Seitenterrassen, auf welche verschiedene Thüren des Obergeschosses mündeten.

Was dieser Fremdling auf deutschem Boden in jenen versunkenen Zeiten erlebt und gesehen, davon wußte das neunzehnte Jahrhundert nur wenig. Damals hatte das Benediktinerkloster außerhalb der Stadt, im freien Felde gelegen; nur einige Lehmhütten hatten sich wie versprengt am gegenüberliegenden Saume der Heerstraße in das Strauchwerk geduckt und kaum die Holzladen ihrer Fensterlöcher gelüftet, wenn Abends Pferdegetrappel und herrische Stimmen vor der gewaltigen, die Klostergebäude umschließenden Mauer laut geworden waren.

Der grell auftauchende Flammenschein der Pechfackeln im Hofraume, der infernalische Lärm, den die tobenden Klosterhunde und die Reisigen mit ihren wiehernden und stampfenden Rossen verursachten, erlosch nach kurzem wie ein toller Spuk, und die Hüttenbewohner krochen neidisch in ihre Höhlen zurück; denn so viel wußten sie, daß das Kloster einen herrlichen Wein schenkte und seine Schlöte Tag und Nacht dampften.... Drin aber, hinter den teppichverhangenen Fenstern der weiten Säle flimmerte das Licht dicker Wachskerzen von den eisernen Reifen der Deckenleuchter, und die hochgeborenen Herren und Frauen, der beengenden und verhüllenden Reitertracht ledig, sammelten sich um die langen, mit dem fürstlich reichen Silbergeschirr des Abtes beladenen Eichentische. Da kreisten die Becher oft bis weit über Mitternacht; die Würfel klirrten, und die fahrenden Spielleute, denen drüben im Bruderhause zur nächtlichen Rast Stroh auf die Steinfließen geschüttet worden, sie durften kommen und aufspielen, so lange die müden Finger und Kehlen aushielten.

Sie kamen oft, von verschiedenen Seiten her, die großen und mächtigen Herren, um in dem durch Klosterschutz gefeiten Säulenhause geheime Vereinbarungen zu treffen; manche wichtige Urkunde aus jenen Zeiten bezeichnet das Benediktinerkloster als den Ort ihres Ursprunges. Und die Herren Benediktiner hatten sich nicht schlecht dabei gestanden. Sie waren stets, ohne im Säulenhaus gegenwärtig zu sein, lediglich vermöge ihres Scharfsinnes, ihrer feinen Combinationsgabe, den geheimen Verhandlungen ihrer Gäste gefolgt, und dieses oft an das Wunder grenzende Wissen hatte ihnen einen unberechenbaren Einfluß ist die Hände gespielt.

Später, zu Ende der Reformation, wanderten die Klosterbrüder aus. Das Säulenhaus und den größeren Theil von Wald, Wiesen und Feld brachte das Geschlecht Derer von Schilling an sich, die kleinere Hälfte aber und das Kloster selbst mit seinen Wirtschaftsgebäuden kam in die Hände des Tuchwebers Wolfram. Die von Schilling brachen die hohe Mauer weg, die das Säulenhaus von der Heerstraße trennte, und verlegten sie, so hoch sie war, zwischen ihr Grundstück und das des Tuchwebers, denn dazumal war eine freundnachbarliche Gemeinschaft undenkbar.... Die Lehmhütten verschwanden; der betriebsame Geist der Stadt sprengte die enggewordenen Stadtmauern; er schob neue Straßen wie Fangarme in das Feld hinaus, und nach Verlauf kaum eines Jahrhunderts lag das Säulenhaus inmitten eines stattlichen, volksbelebten Stadtviertels, wie ein wunderseltenes Goldkäferlein, verstrickt in die Netzfäden einer fleißigen Spinne.

Und die Herren von Schilling waren mit diesem neuen Geist gegangen. Ein Nürnberger Meister hatte ihnen an Stelle der niedergerissenen Mauer die Straße entlang ein kunstreiches Eisengitter, klar und durchsichtig wie ein Brabanter Spitzenmuster, aufgestellt; den ehemaligen grünen Anger dahinter durchkreuzten schmale, mit farbigem Sand bestreute Gänge und theilten ihn in einzelne Rasenstücke und Blumenbeete voll Rosen, Salbei und bunter Nelken; vor der Säulenhalle sprangen Brunnen aus einem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_225.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)