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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

man oft meinen, daß er gottlos sei.’ Wie dieses aber auch sein mag, gewiß ist, daß der Ebenhiesel so vieles Unglück erfahren, wie sonst kein Mensch am ganzen Attersee. Sie hätten ihn auch um seine Geschichte fragen sollen, denn sie ist recht interessant. Wenn ich an sie denke, so sage ich immer: ‚Gott, ich danke Dir, daß Du mich liebst.’ Denn Gott hat mich wirklich –“

Aber es interessirte mich wenig, warum der Krämer Mittendorfer zu Unterach überzeugt war, daß Gott ihn liebe. Und noch weniger muthete es mich an, von diesem aufgeklärten Manne die Geschichte des unglücklichen Greises zu erfahren. Ich wandte mich mit kurzem Gruße zur Thür und trat vor’s Haus. Da sah ich noch einmal die gebückte Gestalt des Ebenhiesel, er lenkte gerade langsam in jenen Thorweg ein, der zur Rechten von dem Platze vor der Krämerei zum Friedhof führt. Ich gestehe, ich blieb einen Augenblick unschlüssig stehen und kämpfte mit meiner Neugier, ob ich ihm folgen solle. Dann aber siegte doch eine bessere Empfindung in meinem Herzen, und ich ging still meiner Wege.

Jene Geschichte habe ich gleichwohl erfahren, einige Tage später und ohne darum zu fragen. Ich glaube nicht, daß sie, wie Herr Mittendorfer meinte, „recht interessant“ ist. Wie jene Gewalt, die über uns Allen ist, Schlag auf Schlag führt gegen ein armes, verblutendes Menschenherz, das vermag nur Grauen und Mitleid zu wecken. Was über diesen armen Mann gekommen, mag sich vielleicht auf Erden, wenn nicht oft, so doch zuweilen schon zugetragen haben; wie er es getragen und überdauert, nur dieses schien mir werth, daß du es vernehmest, Leser, ob du nun glücklich bist oder unglücklich, gläubig oder ungläubig. Aber das Seelenleben des Greises, wie es sich mir in jener seltsamen Kritik des Buches Hiob offenbart, rückt ja erst dann in das Licht des Merkwürdigen, wenn man erfährt, was er erlebt. Nur darum erzähle ich seine Geschichte. Ich will es, so weit mir dies möglich, mit seinen eigenen Worten thun.

Es war wenige Tage nach jener ersten Begegnung, an einem trüben, düsteren Morgen. Als ich da wieder zur Krämerei ging, gewahrte ich, wie eben ein tiefer Abzuggraben von diesem Hause gegen die Straße gezogen wurde, welcher den Weg zur Kirche mitten durchschnitt. Und als ich hinaustrat, sah ich, wie der Blinde ahnungslos am Hause vorbei gegen jenen Graben zuschritt. Ich rief ihn an und warnte ihn. Er blieb stehen, und mich rührte der hülflose Ausdruck seiner Züge und der traurige Blick dieser klaren und doch lichtlosen Augen. Ob ich ihm helfen könne, fragte ich und trat auf ihn zu.

„Ach, Herre! Ihr seid es.“ Er erkannte mich sofort an der Stimme. „Ja, sehet – nun weiß ich nicht, was beginnen. Wollt’ auch heut’ meinen einzigen Weg gehen, zu den Meinen. Jetzt ist hier der Graben, und den andern Weg, die Straße hinab und dann durch des Fleischerwirths Garten, trau’ ich mich nicht. Bin ihn nie mehr gegangen, seit die Nacht über mich gekommen.“

Es war völlig gleichgültig, wo ich den Qualm meiner nassen Cigarre in die Luft blies, und nicht das geringste Opfer meinerseits, als ich mich erbot, ihn jenen Weg zu führen. Während wir nun so neben einander herschritten, erzählte er mir, daß er Matthias Pölzleithner heiße und sich mit seinem dreizehnten Jahre, nachdem Eltern und Geschwister früh weggestorben, das Brod in den kaiserlichen Wäldern des Kammerguts verdient, zuerst als Helfer und Botenbub’ der Holzknechte, bis er es endlich selbst zum Holzknechte gebracht. „Und die letzte Zeit,“ sagte er stolz, „bin ich sogar Aufseher gewesen und hab’ darum eine Pension vom Kaiser, drei Gulden monatlich.“ Auf meine Frage, ob dies genüge, versicherte er lächelnd, er lebe „gar bequemlich“, wenn auch leider bei fremden Leuten zu Kost und Miethe; nur auf die Todtenmessen reiche es nicht immer. „Aber um dessentwillen“ fügte er hinzu, „grollet mir nicht einmal der Herr Pfarrer, und Gott wird noch viel milder sein.“

Damit waren wir an der Pforte des Friedhofs angelangt, und ich wollte mich verabschieden. Er aber hielt meine Hand fest und bat. „Nun kommet noch ein Stücklein – will Euch die Meinen zeigen.“

Er ging voran, hier kannte er jeden Fleck und brauchte seinen Stock wenig. Dabei erklärte er mir, wer in den Gräbern ruhe, und fügte immer einen kurzen Gruß an den Todten hinzu. So, als wir an dem Grabe eines Gastwirths vorübergingen: „Hier liegt der Loydl. War ein guter, mitleidiger Mensch. Gelt, Loydl, jetzt freuet Dich jeder Bissen, den Du den Armen gegeben.“ Dann aber deutete er auf einige eingesunkene Gräber an der Mauer und sagte. „Da sind die Meinen.“

Ich trat näher heran und beugte mich zu den morschen Kreuzen nieder. Aber die Blechtäfelchen, auf welchen einmal die Namen der Schläfer geschrieben gewesen und wohl ein frommer Spruch dazu, waren arg verrostet, und kaum hier und da ein Buchstabe noch kenntlich. Der Blinde errieth mein Thun.

„Zu lesen ist es nicht mehr, aber ich kann Euch sagen, wer da ruht, und Jener, der einst an dieses Grab treten und den Namen hinab rufen wird, wird ihn nicht erst vom Täfelchen lesen müssen.“

Er setzte sich auf einen Stein zwischen den Gräbern.

„Sehet!“ sagte er und deutete zu. Rechten, „hier liegt meine Kathrein. Sie war ein brav und getreues Weib und hat Alles mit mir getragen, bis zum Ende. Um ihrer Schönheit willen hab’ ich sie einstens, vor fünfzig Jahren zum Weibe begehrt, aber diese Schönheit ist rasch gewelkt, noch ehe sie mir angetraut worden. Denn sie war ein armes Mensch, wie ich, und hat hart schaffen müssen, und erst wie ich fünfunddreißig war und sie nicht viel jünger, haben wir an den eigenen Hausstand denken dürfen. Es war aber der Segen Gottes darauf, und wir haben uns endlich sogar ein eigen Häuslein erwirthschaftet – drüben am Ufer, nahe dem Kaltenbrunn ist es gestanden – und vier gute blühende Kinder sind uns herangewachsen. Sehet, hier sind sie: der Hans, die Afra, der Paul, der Franzl.“

Und bei jedem dieser Namen deutete er mit dem Stecken auf eines der Gräber um ihn, und während sich mir das Herz mitleidig rührte, lächelte er so mild, so fröhlich vor sich hin, als stünden seine Kinder in blühender Lebenskraft um ihn her.

„Lange hat das Glück gewährt,“ fuhr er fort, „zwanzig Jahre. Und darauf ist das Unglück gekommen. Als ich einstmalen am Samstag Abend aus dem Forst bei Schärfling heimgehe, den Sonntag daheim zu verbringen, da begegnen mir an der Brücke über die Ache, zwischen See und Unterach, im Dunkel einige Männer, welche eine Bahre tragen. Ich acht’ nicht darauf und will rasch vorbei, da rufen sie mich an: ‚Ebenhiesel! wir bringen Dir Deinen Hans.’ Und da haben sie ihn vor mich hingestellt, todt, mit zerschmetterter Brust – er war auch ein Holzknechte und die Andern hatten kein Warnzeichen ausgestellt beim Fällen einer Tanne, und so ist mein armer Bub zugetreten und die Tanne hat ihn erschlagen. Das war ein Blitz aus blauem Himmel, und der erste Schnitt in mein Fleisch, und darum habe ich damals an jener Brücke laut geschrieen und gegen Gott gerufen: ‚Wodurch habe ich Solches verdient?!’ Und auch beim Zweiten habe ich es gefragt, aber schon leiser und demüthiger. Das Zweite war, daß mein Paul hinab ist in’s Welschland und hat bei Magenta eine Kugel bekommen in die Brust, und ist siech heimgekommen, um zu sterben. Aber wie ich ihm die Augen zugedrückt, da habe ich doch auch gesagt: ‚Herr Gott, Dein Wille ist unerforschlich, aber ich danke Dir, daß er hier gestorben und daß wir ihn zur Seite haben, wenn wir selbst schlafen gehen.’ Und beim Dritten habe ich nicht einmal mehr gefragt, sondern nur noch stumm mein Haupt gebeugt. Sehet, das war die Afra, eine schöne, starke Dirn’ und stolz und brav. Als sie siebenzehnjährig gewesen, hatte sie der Hofwirth zum Weibe begehrt, ein reicher, achtbarer Mann, aber von dem wollte sie nichts hören, weil er ein Wittiber war, und auch Jüngeren, so viele sich fanden, hat sie nicht einmal ein freundlich Gesicht gemacht zum Dank für die Werbung. ‚Afra!’ hab ich oft gesagt, ‚bist arm; ’s ist ein öd’ Leben als arme, einschichtige, alte Dienstmagd.’ Sie aber hat nur immer gelacht: ‚Vater, der Rechte kommt schon.’ Ist auch Einer gekommen, war aber nicht der Rechte – ein Jäger von Mondsee drüben, ein schöner Mensch, aber wüst und schlecht. Hat die arme Dirn’ bethört und hat sich dann versetzen lassen, in’s Salzburgische, der Heirath zu entgehen. Wir haben nichts davon gewußt, die Kathrein und ich, bis sie einmal vor uns hintritt, blaß wie der Todt: ‚Höret – ich bin in Schimpf gerathen mit dem Jäger, und er will nicht seine Schuldigkeit an mir thun, und in vier Monaten ist meine schwere Stunde – aber Ihr sollt nicht in Schande kommen!’ – ‚Was willst Du thun?’ jammert mein Weib, und die Afra antwortet ganz ruhig: ‚In den See geh’ ich.’ Da haben wir sie angefleht, die furchtbare Sünde nicht auf ihre arme Seel’ zu laden, die Sünde an sich und am jungen Leben dazu, und sie hat’s uns versprochen. Ob sie Wort

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