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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Aber der Greis schüttelte den Kopf.

„Nun wohl,“ rief er, „um die Juden will ich mich nicht kümmern, ob ihnen heiß wird oder nicht, aber auch für einen jungen hochwürdigen Herrn wär’ es manchmal eine Gefährlichkeit. Das zweite Buch aber,“ fuhr er fort, „ist gerade jenes selbige Buch Hiob, nach dem Ihr mich nun benennet in meinen alten Tagen. Ich will es nicht hören – dieses Buch ist nicht gut. Denn zum Ersten will es mir gar nicht gefallen, daß Gott Vater eine Wette darin abschließt mit dem Teufel über den Mann im Lande Uz. Eine Wette mag der Kraushans’l abschließen mit dem Weberton’l, wer von ihnen schneller seine Plätte nach Weißenbach rudern kann, oder Ihr, Krämer, mit dem Solterer, wer im Monat mehr Waar’ verkauft, aber dem Herrn geziemt es nicht, mit dem Teufel zu wetten. Ganz und gar nicht geziemt ihm das. Wohl sage ich mir, daß Solches sich noch in der jüdischen Zeit begeben hat, und daß er es heute nicht mehr thäte, weil ihm unser Herr Jesus Christus und die heilige Gottesmutter davon abrathen würden, aber auch damals schon hätte er es nicht thun sollen, und wenn er es gethan hat, so hätte er es verschweigen sollen und nicht offenbaren in einem heiligen Buch.“

„Ebenhiesel!“ verwies der Krämer, „was Ihr für Reden führet – wenn das der Herr Pfarrer hörte!“

„Hab’s ihm selbst erzählt,“ erwiderte der Blinde, „und darauf hat er mir jenes Wort gesagt vom Alten Testament, aber dieses war seine ganze Widerlegung, auch bezüglich des Zweiten und Dritten, wo mir dieses Buch nicht gefällt. Denn zum Zweiten ist es nicht schön vom Hiob, daß er endlich doch an Gott verzweifelt und gegen ihn murrt – solches steht keinem Menschen zu, am wenigsten jenem, welcher fromm ist. Was Gott thut, ist wohlgethan – allimmer und allüberall. Und wenn schon beim ersten schweren Leid eine Klage verzeihlich ist, so doch gewißlich nicht beim letzten, weil da schon Gottes Hand und Wille deutlich sind. Aber dieser Hiob ist ja zudem ein Mensch, der sich am liebsten hat – er klaget erst, als die Hand Gottes seinen eigenen Körper trifft – und doch thut es dem Herzen des Frommen größer wehe, wenn seine Kinder dahinwelken oder zur Grube fahren, wie vom Blitz getroffen, als wenn ihn selbsten ein Unglück trifft an Augen oder Gliedern. Ja, viel mehr, Herre – dieses weiß ich, denn ich habe Beides erfahren!“

Das Letztere sagte er mit zitternder Stimme und in so eigentümlichem Ton, daß es mir an’s Herz griff. Erst nach einer Weile fragte ich:

„Und warum gefällt Euch das Buch Hiob zum Dritten nicht?“

„Zum Dritten,“ war die Antwort, „weil Hiob auf dieser Erde noch Alles wieder bekommt, was er verloren hat. Haus und Hof und Heerden, Gesundheit des Leibes und sogar blühende Kinder. Sehet – vielleicht war es wirklich so, aber dann hätte man es doch nicht schreiben sollen. Denn gewöhnlich sieht der Mensch auf Erden nimmer wieder, was er verloren, und todt bleibt Alles, was ihn einst erfreuet. So wird durch das Geschick des Hiob nur der Neid geweckt oder die thörichte Hoffnung. Denn auf Erden hat der Mensch nichts zu erwarten, als Kummer und Herzeleid, und erst drüben kommen die Freuden, und man weiß, warum man gelebt hat und gelitten.“

„Und wenn sie auch drüben nicht kommen?“ fragte der Krämer und lächelte selbstgefällig über seine große Aufgeklärtheit. „Habt Ihr’s denn schriftlich, Ebenhiesel?“

„Schweiget!“ rief dieser heftig und auf dem sonst so milden Antlitz lag ein Zug düsterer Strenge. „Schweiget, Krämer! Wer an der künftigen Ausgleichung zweifelt, zweifelt an Gott und ist ein Sünder. Aber,“ fuhr er ruhiger fort, und allmählich milderte sich seine Stimme zu sanfter Weichheit, „wenn Euch jene Frage wirklich vom Herzen gegangen ist, so will ich Euch nicht zürnen, denn dann seid Ihr gestraft genug. Wie könnet Ihr dieses Leben nur eine Stunde ertragen, so es Euch nicht ein Vorhof ist für den ewigen, gerechten Zustand? Dann seid Ihr ja arm und gar viel ärmer als ich, den Ihr den Hiob nennet.“

„Bin ja gläubig!“ erwiderte der Krämer etwas kleinlaut. „Müsset nicht gleich predigen wie der Pfarrer.“

„Der predigt anders,“ sagte der Greis lächelnd, „ganz anders!“

„Ist er Euch nicht fromm genug?“ fragte ich.

„Zu fromm!“ erwiderte er kurz. „Predigt, als ob der Mensch ein Engel sein sollt’, und ’s ist doch schwer genug ein Mensch zu sein.“ Dann aber zog er sein Lederbeutelchen und reichte es dem Krämer , daß dieser sich den schuldigen Betrag selbst daraus entnehme.

„Man sieht, daß Ihr erst seit Kurzem das Augenlicht verloren,“ bemerkte ich. „Sonst kann ein Blinder die Münzen nach dem Gefühl unterscheiden.“

„Freilich wohl,“ bestätigte der Greis. „Aber meine Hand ist rauh vom schweren Schaffen und kann das Kleinzeug nimmer unterscheiden.“

„Wie seid Ihr erblindet?“ fragte ich, nicht blos um ihn zu weiterer Rede zu bewegen, sondern weil mir seine Augen völlig ungetrübt, ja, in so schöner Klarheit entgegenblickten, wie sie in hohem Greisenalter sehr selten zu finden.

„Sehet,“ war die Antwort, „es war keine Leichtsinnigkeit dabei und kein Verschulden und keine Krankheit – nur Gottes Hand war’s. Vor drei Jahren hat sich’s begeben in der Lenzzeit und am Kirchhof. Dort ist ein Plätzchen, wo ich am liebsten bin, mitten unter den Meinen; sie hören mich nicht, wenn ich zu ihnen rede, aber mir wird das Herz doch leicht und getröstet. Da sitze ich also an jenem wunderschönen Tag und sehe zu, wie die kleinen Sommervöglein (Schmetterlinge) dahinflattern über das junge Gras, und mir wird das Herz gar bang und schmerzlich. Alles Gethier wird wach, denke ich, und nur die Todten modern in den Grüften. Ja, geklagt hat mein Herz, aber nicht gemurrt, und Ihr dürfet also nicht glauben, daß es Gottes Strafe war. Schmerzlich habe ich geklagt, und da sind mir wieder die Thränen gekommen, die lieben, tröstlichen Thränen – ach, Herr, es ist eine milde Wohlthat, wenn man recht weinen kann, und ich hatt’ es vordem durch lange Zeit nicht gekonnt und mich darum recht ausgeweint an jenem Tag. Und wie mir also die Thränen strömen und das Herz bebet, da zuckt es plötzlich durch mein morsch Gebein, nur einmal, aber übermächtig, vom Wirbel bis zur Zehe, als hätte mich ein Blitz durchfahren. Die Glieder werden mir starr, und es wird Nacht vor meinen Augen. Die Lähmung hat sich verloren, aber die Nacht ist geblieben bis auf diesen Tag. Was liegt daran? Das innere Licht leuchtet mir tröstlich und helle.“

Er schwieg.

„Wohl ein partieller Nervenschlag,“ sagte ich sinnend nach einer Pause.

Der Greis schüttelte das Haupt.

„So Aehnliches hat auch der Arzt gesagt, aber es war Gottes Hand. Seid wohl auch ein Arzt?“

„Nein,“ erwiderte ich. „Aber so viel weiß ich: es ist nicht unmöglich, daß Euch das Augenlicht allmählich wieder komme.“

„Glaub’s nicht!“ sagte der Blinde und lächelte traurig vor sich hin. „Und hoffe es nicht und wünsche es nicht. Was hätte ich davon? Habe nichts mehr anzuschauen auf Erden, und käme es wieder, ich müßte wieder dafür zittern. Denn auf Erden hat man nur für Solches nichts zu befahren und zu befürchten, was man bereits verloren hat. Behüt’ Euch Gott mit einander!“ Und er nickte uns zu und tastete dann langsam mit seinem Stecken zur Stube hinaus.

Ich brachte mein Geschäft mit dem Krämer zu Ende, aber diesmal ohne Murren und schweigend. Und selbst auf seine Frage, wie mir der alte Holzknecht gefallen, hatte ich nur eine sehr kurze Antwort. Gleichwohl sagte der gebildete Mann herablassend. „Es ist sonderbar, weil ja der Ebenhiesel ein ganz ungebildeter Mensch ist – aber die Herren Sommergäste discutiren alle gern mit ihm. Da war im vorigen Jahre ein junger blasser Priester aus Wien hier, ein Professor vom Schottengymnasium, der hat oft stundenlang mit dem Alten gesprochen, aber sonst mit keinem Menschen. Und zu Weihnachten hat er ihm eine ganze Kiste mit Geschenken geschickt und dazu geschrieben: ‚Danket mir nicht, denn ich bleibe doch ewig in Eurer Schuld – in schweren Kämpfen bin ich in Euer Dorf gekommen, Ihr aber habt mich wieder still und gut gemacht.’ Ja, diesen Brief habe ich selbst gelesen, auch der Herr Pfarrer. Der hochwürdige Herr war aber sehr ungehalten darüber und hat gemeint. ‚Wenn mein Bruder in Christo, der Herr Professor, in innern Kämpfen war, so hätte er sich an mich halten sollen, und nicht an den Ebenhiesel. Und,’ hat unser Herr Pfarrer noch gesagt, ‚wenn dieser alte Mann nicht so fromm wäre, so könnte

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