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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

„Nun, steuerst Du nicht gegen den Strom, so hat alle Noth ihr Ende. Bei Gott, Mann, kein hartes Wort soll zwischen uns fallen, und daß die Kordel umgänglicher wird, ist meine Sache –“

„Satan!“ fuhr Seiling auf, „weißt Du, was Du verlangst?“

„Sollt’s wohl wissen, calculir’ ich,“ antwortete Klaas anscheinend sorglos, „ich verlange die Kordel zur Frau. Sie hat lange genug in Deinem Fahrwasser gekreuzt, um endlich auch einmal von mir in’s Schlepptau genommen zu werden.“

„Nimmermehr geschieht das,“ versetzte Seiling entschlossen.

„Und ’s wird doch geschehen,“ hieß es zurück, „entweder heute noch schaffen wir klar Deck in der Sache, oder ich verlasse Dein Haus, und was das bedeutet, weißt Du am besten. Ist Dir an Dir selber nichts gelegen, so steht’s um das Mädchen anders. Und ich calculir’, wenn Du’s Ankertau kappst und auf die eine oder die andere Art abtreibst, kenne ich erst recht Mittel, der widerhaarigen Kraft einen richtigen Curs vorzuschreiben. Du verstehst mich.“

Seiling fiel auf seinen Sitz zurück. Erschöpfung schien ihn zu übermannen.

„Thu’, was Dir beliebt!“ sprach er nach längerem Schweigen, „die Kordel will ich in ihrem Sarge sehen, bevor ich Deinen Plänen freien Weg gebe.“

„Ist das Dein letztes Wort?“

„Mein letztes Wort.“

Klaas zuckte die Achseln.

„So ist’s nicht meine Schuld, wenn’s über Dich sammt Deiner Kordel hereinbricht,“ erklärte er, sich abkehrend; „ich gehe jetzt, um im Kruge Quartier zu nehmen. Die Leute werden erstaunen, wenn sie hören, weshalb ich nicht länger meine Füße unter Deinen Tisch stellen mag,“ und bedächtig stieg er niederwärts. „Ei, sieh doch das junge Volk!“ rief er nach einigen Schritten. „Legt der Bursche sein Boot nicht um? Verdammt! Die möchten hinter dem Vorsprunge noch ein Liebesfest feiern! ’s wird ein schönes Erwachen sein heute Abend.“

Seiling blickte nach dem Boote hinüber. Indem er sich wendete, trat Kordel in seinen Gesichtskreis. Wiederum flackerte es wie Entschlossenheit in seinen Augen auf, um indessen ebenso schnell zu erlöschen. Ein wilder Kampf tobte in seinem Innern, ein Kampf zwischen dem Selbsterhaltungstriebe und der Angst um diejenige, die seinem Herzen am nächsten stand. Das Boot glitt hinter den Vorsprung. Seiling raffte sich empor. Klaas war bereits unten angekommen.

„Klaas!“ rief er ihm nach, „bleibe und überlege!“

„Hab’ Alles zehnmal übergeholt!“ antwortete Klaas, ohne seine Bewegung einzustellen, „entweder wir einigen uns heute, oder ’s giebt ein Unglück!“

In der nächsten Minute befand Seiling sich bei ihm.

„Mann,“ flüsterte er, ihn zitternd am Arm ergreifend, „was schreist Du’s in die Welt hinaus? Ist’s Dir nicht genug mit mir? Willst Du auch das Mädchen unter die Füße treten?“

„Nicht meine Schuld!“ versetzte Klaas achselzuckend; „’s könnte Alles klipp und klar sein, allein Du willst nicht.“

„Gönne mir wenigstens Bedenkzeit!“ stöhnte Seiling verzweiflungsvoll, „laß’ mich die Kordel ausforschen, oder suche sie zuvor für Dich zu stimmen!“

„Nicht ’ne Stunde Bedenkzeit!“ fiel Klaas ein, der sein Spiel gewonnen sah, „entweder heute noch klar Deck, oder niemals.“

„Aber wenn nun die Kordel durchaus nicht will?“

„So kenne ich Mittel, ihr den Kopf gerade zu setzen,“ erwiderte Klaas mit einem teuflischen Grinsen, „nur ein paar Worte will ich ihr sagen, und sie sollen helfen, verlaß Dich darauf!“

„Sie darf’s nicht erfahren,“ lispelte Seiling leichenblaß und wie betäubt von diesem letzten Schlage, „nein – es wäre schlimmer als Alles – sprich nicht mehr davon! – ich will sie bitten um ihrer selbst willen, daß sie –“ Schaudernd brach er ab.

„Mehr verlange ich nicht,“ erwiderte Klaas gut gelaunt, „und wenn Du genau berechnest, was auf dem Spiele steht, wirst Du Dein Bestes von selber thun.“

Langsam stiegen sie nach dem Abhange hinauf. Mechanisch setzte Seiling einen Fuß vor den andern. Auf der alten Stelle eingetroffen, kehrten Beide ihre Blicke seewärts. Das Boot schoß eben hinter dem Vorsprunge hervor. Klaas knirschte mit den Zähnen, als er gewahrte, wie Bertus seinen Hut schwang.

„’s ist die höchste Zeit, den Unsinn zu stoppen,“ sprach er finster, „magst immerhin nach Hause gehen und die Kordel in’s Gebet nehmen! Setz’ alle Segel bei! Binnen jetzt und vierundzwanzig Stunden ist Alles geordnet, oder ’s kümmert mich nicht, wie bald es über Bord mit Euch geht.“

Als seien die Worte seines Gefährten ein Befehl gewesen, kehrte Seiling sich der Schlucht zu. Klaas blickte ihm nach, bis er hinter Gestein und Buschwerk verschwand. Dann zündete er seine Pfeife an, und wieder zum Strande hinabsteigend, schlug er die Richtung nach dem Dorfe ein. – –!

Spät Abends heimkehrend, fand er Seiling allein. Kordel hatte sich nach einem langen Gespräche mit ihm in ihr Zimmer hinauf begeben. Ihr letztes Wort war gewesen. „Ich frage nicht, was Dich in seine Gewalt brachte. Wenn ein böses Verhängniß Dich bedroht, so ist es meine Pflicht, Dich zu retten. Sage dem Klaas, Dir zu Liebe würde ich Manches thun, allein ich bedürfe der Zeit, um Alles in meinem Kopfe zurecht zu legen.“ Droben saß die Aermste regungslos in unheimlicher Entschlossenheit. Der Sturz von dem Gipfel glücklicher Hoffnungen in den Abgrund einer gräßlichen Gegenwart war ein zu jäher, zu tiefer; hätte sie vor wenigen Stunden das Schreckliche geahnt, nimmermehr wäre das Glück verheißende, bindende Wort gesprochen worden, welches schon am folgenden Tage wie ein dürres Blatt verweht werden sollte. Schaudernd trachtete sie das Bild des dämonischen Gastes zu verscheuchen – vergeblich.

„Ich überlebe es nicht,“ flüsterte sie, „ich will’s nicht überleben.“ –

Am folgenden Tage befleißigte Klaas sich eines nach seinen Begriffen zuvorkommenden Benehmens. Die Antwort Kordel’s, welche ihm durch Seiling übermittelt wurde, hatte ihn befriedigt, und gern gestand er die kurze Bedenkzeit zu. Die einzige Andeutung, welche er vorsichtig Kordel gegenüber sich erlaubte, war, daß er ihr beim Morgengruße die Hand bot. Sein Blick ruhte dabei forschend auf dem schönen bleichen Antlitze mit dem gänzlich veränderten Ausdrucke, den finster gerunzelten Brauen, den gleichsam drohend schauenden Augen und den wie von verhaltenem Schmerze zusammengepreßten Lippen. Was sich in ihrem Aeußeren offenbarte – mochte es immerhin wenig zu seinen Gunsten sprechen – galt ihm als Beweis, daß Seiling ihn nicht täuschte, daß in der That eine Vereinbarung stattgefunden hatte. Vor der dargereichten Hand bebte Kordel schaudernd zurück. Indem sie aber einen Blick zu ihrem Vater hinübersandte und in dessen Zügen verzweiflungsvolles Flehen entdeckte, zwang sie sich zum ersten Male zu einer Berührung des verhaßten Hausgenossen. Bei diesem neuen Beweise des Einverständnisses zwischen Vater und Tochter nickte Klaas grinsend. Dann verabschiedete er sich, mit schlauer Berechnung den Wünschen Beider entgegenkommend, um den größten Theil des Tages fern von ihnen im Dorfkruge zu verbringen. Auch Kordel verließ das Haus. Auf dem Pfade, welchen sie Tags zuvor nach ihrem Abschiede von Bertus zur Heimkehr wählte, begab sie sich in den Wald. Doch nicht zum Strande stieg sie hinab, sondern da, wo der Pfad sich in einer schluchtartigen Vertiefung hinabschlängelte, ließ sie sich auf der Böschung im Schutze dichter Haselgebüsche nieder. Das Haupt mit den Händen, die Arme auf die Kniee stützend, saß sie lange dort. Der Herbstwind strich rauh durch die Baumwipfel und entführte bald hier, bald dort ein gelbes oder rothes Blatt. Eintönig rauschten dazu die den Strand übersprudelnden Wellen, und verdüsternd spiegelte sich in der regsamen See der grau bewölkte Himmel. –

„Sie thut sich ein Leid an,“ hatte ihr Vater vor sich hingesprochen, als sie starren Antlitzes von ihm schied; „sie thut sich ein Leid an,“ zitterte es fort und fort in seinem Innern, indem er planlos in Haus und Garten sich ab und zu bewegte. Er ertrug die Unruhe nicht länger. Sorgfältig um sich spähend, folgte er seiner Kordel nach. Er wollte sie nicht stören; nur sehen wollte er sie, nur über sie wachen, um sie vor einer That der Verzweiflung zu bewahren. Nicht lange war er einhergeschlichen, als er sie in dem Hohlpfade entdeckte. Was sie empfand, war so sprechend in ihrer gebeugten Haltung ausgeprägt, daß er jammernd hätte zu ihr hineilen mögen; und doch wühlte in seiner eigenen Brust eine Verzweiflung, daß er sich kaum aufrecht zu erhalten vermochte. Allmählich begannen seine Gedanken sich wieder zu ordnen. Wenn Kordel aufsah, mußte sie ihn bemerken, und sie konnte sich doch nur hierher begeben haben, um allein zu

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