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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

No. 11. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Das Haus in der Schlucht.
Von Balduin Möllhausen.
(Fortsetzung.)


„Ja, Kordel, in’s Gerede hat man Dich gebracht,“ fuhr Bertus fort, „und am wenigsten durch Deine Schuld; es ist besser, ich verrath’s Dir. Wenn Du’s weißt, kannst Du Dich darnach richten. Die Leute meinen nämlich, es sei ein Jammer, daß Du um des Geldes willen die Frau Jemandes würdest, der nicht nur beinah dreimal so alt, wie Du selber, sondern der auch vom Kopf bis zu den Schuhsohlen herunter nicht so viel werth ist, wie ein einziges Härlein, mit welchem der Wind auf Deiner Stirn spielt.“

„Der Klaas?“ fragte die Kordel entrüstet, „wer hat solche Schande über mich hinausgeschrieen?“

„Er selber, Kordel; gerühmt hat er sich, daß Du und Dein Vater nicht ohne ihn leben könntet; daß schon oftmals ein Fünfzigjähriger ein halbes Kind gefreiet habe, und daß er der Mann sei, frisches Leben in die Schlucht zu bringen, aber auch den Eigensinn Jemandes zu brechen, der sich besser dünke, als andere Menschen. Mochte wohl zu tief in’s Glas gesehen haben, daß er so unehrerbietig sprach.“

„Kann ich auf die Wahrheit Deiner Mittheilungen bauen?“

„So sicher, wie auf meine Hand hier am Steuer.“

„Warum verriethest Du mir das nicht früher?“

„Weil ich fürchtete, Dir entgegen zu sein. Wer konnte wissen, ob’s Dir und Deinem Vater nicht recht, daß der Klaas es in Umlauf setzte, damit es den Leuten später nicht unerwartet komme?“

„Und das hast Du für möglich gehalten, Bertus?“

„Je nun –“ erwiderte er ausweichend, „um Deinetwillen hätte ich wenigstens wünschen mögen, es möchte nicht an dem sein; denn ich kenne ihn. Ob er mich nicht erkannte, oder nicht erkennen wollte, ich ahn’s nicht, und ich selber hatte keine Lust, sein Gedächtniß aufzufrischen. Bin nämlich an Bord desselben Schiffes mit ihm gesegelt, jedoch nur kurze Zeit. Er galt für einen Schurken, dem Niemand über den Weg traute. Woher er jetzt sein Geld hat – und er soll mächtig viel ausgeben – mag Gott wissen.“

„Auch das verheimlichtest Du?“

„Ja, ich verheimlichte es. Wenn der Klaas Dein Mann werden sollte, wär’s ’ne Niedertracht von mir gewesen, ihn und damit auch Dich in den Staub zu ziehen. Mir hätt’s nicht geholfen, Dir aber geschadet, und dazu – nun, Kordel, dazu hatte ich Dich –“ er brach ab. Durch einen kaum bemerkbaren Druck des Steuers machte er es nöthig, sich mit der Segelleine zu beschäftigen.

Kordel beobachtete ihn ruhig. Aber in ihren Augen glühte es, als wolle es in hellen Flammen emporlodern. Sobald das Boot wieder stetige Fahrt gewonnen hatte, hob sie an:

„Sprich es immerhin aus, Bertus – Du hattest mich zu lieb, um mir Schlechtes zu gönnen, und darüber ließest Du noch Böseres auf mich hereinbrechen. Das aber mußt Du wieder gut machen, so viel es in Deinen Kräften steht. Willst Du das?“

„Sage, was ich für Dich thun soll, Kordel, und es geschieht, so wahr Gott mir helfe.“

„Gut, Bertus. Wenn Du also hörst, daß Jemand meinen Namen zusammen mit dem des Klaas in den Mund nimmt, so kläre ihn auf! Sage, Du wüßtest es von mir selber. Beschwöre, ich würde mich lieber von den nächsten Klippen in die Brandung hinabstürzen, bevor ich das Weib eines Mannes würde, der mir Abscheu einflößt. Und woher er sein Geld nimmt? O, meines Vaters Geld ist’s, das er verschwendet, und doch können wir, um meinen Vater zu schonen, nicht mit Gewalt gegen ihn einschreiten. Denn Schweres lastet auf dem armen Manne, und ich möchte weinen bei seinem Anblick.“

„Ich will versuchen, den Leuten Alles auszureden,“ versetzte Bertus dumpf, „aber die Menschen haben ihre Lust am Schlechten; sie werden’s trotz meiner Schwüre nicht glauben. Sie halten Dich für stolz und meinen, Du seist zu vornehm für einen ehrlichen Fischer.“

Kordel beobachtete wieder die regsamen Fluthen, wie sie schäumend an dem Boot vorüberglitten. So verstrichen wohl zehn Minuten. Kein anderer Laut war vernehmbar, als das Rauschen des Wassers vor dem scharfen Bug, und das Hauchen des Windes zwischen der dürftigen Takelage.

„Du magst Dich bereit halten,“ brach Bertus endlich das Schweigen; „ist Dir’s recht, so lande ich Dich gerade vor der Schlucht.“

Kordel kehrte sich um, und unter dem Segel hindurchspähend, sah sie nach dem Strande hinüber. Dann wandte sie sich erschrocken Bertus zu. Sie hatte auf dem Seitenabhange der Schlucht die Gestalten ihres Vaters und des verhaßten Klaas entdeckt. „Nicht vor der Schlucht,“ sprach sie leidenschaftlich", „weiter abwärts der Bucht zu, so weit, daß sie uns nicht sehen, wenn ich das Boot verlasse!“

Eine kurze Bewegung, und das Boot flog herum, so daß Bertus den beiden Männern den Rücken zukehrte. In Kordel schien ein Entschluß zu reifen; denn ihre Brauen rückten wieder

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_173.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)