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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

erhalten. Welchen Aufwand solche Instrumente erfordern, erkennt der Leser aus der einfachen Notiz, daß die Linse des Wiener Refractors allein über 80,000 österreichische Gulden kostet; sie ist ein Werk Grubb’s in Dublin, der zugleich die Montirung des Instruments übernommen, sowie die Construirung der Drehkuppel vollendet hat.

An die Mittelkuppel des Observatoriums schließen sich im Norden, Osten und Westen drei große Säle an, von welchen der östliche und der westliche für die Meridian-Instrumente bestimmt sind, während der nördliche Saal zur Aufstellung eines kleineren Fernrohres benutzt wird, das sich nur in der Ost- und Westebene bewegen läßt.

Die Instrumente dieser drei Säle sind weniger wegen ihrer Größe als wegen der unglaublichen Genauigkeit, mit welcher sie arbeiten, und wegen der ausgesuchtesten Sorgfalt, mit der sie behandelt sein wollen, besonders beachtenswerth. Das größte und zugleich das unentbehrlichste Instrument jeder selbstständigen Sternwarte ist ein Meridiankreis. Der Wiener, dessen auf das Feinste getheilte Kreise einen Durchmesser von über einen Meter halten, macht es möglich, mit Hülfe des Mikroskops noch Winkel von 1/100 Bogensecunde zu bestimmen. Zur Erläuterung dieser staunenswerthen Genauigkeit will ich hinzufügen, daß ein Millimeter erst in einer Entfernung von über 200 Metern (genau 206 Meter) dem Auge unter dem Winkel einer Bogensecunde erscheint. So würde eine Strecke von zwei Meilen auf der Sonne uns fast genau unter dem Winkel von 0,01 Bogensecunde erscheinen.

Wie schon angedeutet, können die in den genannten drei Sälen fest aufgestellten Instrumente stets nur in ein und derselben Ebene bewegt werden; es mußte deshalb auch für sie in der Richtung der letztern ein Dach und Wände durchschneidender Spalt angebracht werden. Der östliche und der westliche Saal zeigen je zwei von Süd nach Nord gehende, und der nördliche Saal zwei von Ost nach West gehende Durchschnitte dieser Art, die sich durch gut eingerichtete Klappen leicht öffnen und schließen lassen.

Den Abschluß der drei kurzen Arme des Kreuzes bilden wiederum drei, jedoch kleinere Thürme, aber ebenfalls mit drehbaren Kuppeln von je circa 8 Meter Durchmesser. Obgleich die hierher bestimmten Instrumente immer noch von achtunggebietenden Dimensionen sind, so müssen sie doch mit ehrfurchtsvoller Scheu zu dem Riesen in ihrer Mitte aufblicken. – Im westlichen Drehthurm wird ein Aequatoreal (Instrument zur Bestimmung der geraden Aufsteigung und Abweichung der Gestirne) von nahe 300 Millimeter Oeffnung und über 5 Meter Brennweite aufgestellt und soll namentlich zu den laufenden Beobachtungen der sich so rapid mehrenden kleinen Planeten und der Kometen verwandt werden. Von A. Clark zu Cambridgeport, Massachusetts, gebaut, kostet es sammt Montirung 12,000 Gulden.

Die östliche Kuppel dient zur Aufstellung eines Heliometers oder eines Heliographen, und in der nördlichen endlich wird ein Instrument seinen Platz finden, mit welchen man leicht einen sehr großen Theil des Himmels durchforschen kann, hauptsächlich zur Positionsbestimmung von Kometen und anderen solchen am Himmel vagirenden Körpern. Diesem Zweck entsprechend hat das drehbare Kuppeldach nicht einen von der Spitze bis zum Rande sich gleichbleibenden Spalt, sondern es läßt sich fast um einen ganzen Quadranten öffnen, wodurch es ermöglicht wird, gleichzeitig fast den ganzen vierten Theil des Himmels zu übersehen.

Alle diese großen Instrumente sind, wie es jede nur irgendwie genaue Beobachtung erfordert, auf völlig isolirten großen Steinpfeilern aufgestellt, deren die ganze Sternwarte, beiläufig gesagt, 21 besitzt.

Neben den in allen Beobachtungsräumen enthaltenen, außerordentlich genau gehenden Uhren werden noch eine bedeutende Anzahl kleinerer, älterer und neuerer Instrumente, so namentlich die den Bestand der jetzigen Sternwarte bildenden, theils in den Sälen, theils in dem eigens zu diesem Zwecke bestimmten, um den ganzen Fuß der großen Kuppel herumlaufenden Corridor aufgestellt werden.

Im Süden endlich erhebt sich das dem Ganzen sich anschließende Wohngebäude mit einem prachtvollen Treppenhaus, das, ganz mit Glas gedeckt, eine Eleganz entfaltet, deren sich kein fürstlicher Palast zu schämen brauchte. Rings um diese Treppenhalle schließen sich Wohn- und Arbeitsräume, sowie der Saal für die Bibliothek an. Die Frontseite nimmt die Wohnung des Directors ein. Da das Observatorium auch akademische Zwecke zu verfolgen hat, so ist ein Hörsaal für astronomische Vorlesungen vorhanden. Kleine Lichthöfe ermöglichen die innere Erleuchtung und hauptsächlich die Ventilation bequem.

Noch in diesem Jahre vielleicht wird die Sternwarte in Thätigkeit treten, und es kann die Wissenschaft mit Recht stolz sein auf diese herrliche Schöpfung Österreichs. Leider erlebte Karl Ludwig von Littrow die Erfüllung seiner sehnlichsten Wünsche nicht mehr. Er starb am 16. November 1877 in Venedig. In ihm wurde der Wissenschaft einer der eifrigsten und genialsten Förderer entrissen.

L. Ambronn.




Irrende Sterne.
Novelle von Georg Horn.
(Fortsetzung.)
Nachdruck und Dramatisirung verboten.
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


9.

Es war einen Tag später. In ihrem abendlich dunklen Zimmer saß Regina in stillem Brüten.

Sie war nicht bei dem gestrigen Feste gewesen. Sie kannte Wandelt’s, hatte jedoch keine geselligen Beziehungen zu ihnen, und die Geheimräthin lud nur Leute ein, die nach irgend einer Richtung für sie wieder ausgiebig waren. Was sollte ihr dieses Mädchen ohne gesellschaftliche Stellung, ohne glänzende Toilette, die mit ihrer Persönlichkeit, ihren Anschauungen nicht jenen leichten Verkehr bot, welchen die Gesellschaft von ihren Theilnehmern fordert; die man als „Clavierlotte“ nicht einmal an das Piano setzen konnte, um einen Contretanz zu spielen! Was hätte auch für Regina selbst das Fest Verlockendes gehabt? Erich war ja nicht da! Daß er sobald wieder zurückkommen, daß seine Rückkehr eine Katastrophe, wie die eben geschilderte, herbeiführen würde, das hatte sie nicht geahnt. Sie brauchte keine anderen Menschen, keine Zerstreuung. In ihrem Stübchen mit sich allein zu sein, mit ihren Empfindungen, ihren Hoffnungen, ihrem Hinausträumen und Hinstreben auf ein ersehntes Ziel – wo hätte es für sie einen höhern Genuß geben können? Geliebt, geliebt von dem Manne, von dem sie es sein wollte – sie keine Einsame mehr!

Sie wußte, was sie that, als sie Doris zu dem Feste freundlich hindrängte. Sie hatte nie mit Lideman ein Wort ohne Zeugen gesprochen, aber sie verstand ihn, durchschaute ihn und seine Absichten. Er war ihr stiller Verbündeter. Durch ihn konnte sie zu ihrem Ziele gelangen, konnte das Band, das Doris und Erich vereinte, zerrissen werden. Und wenn die Dinge zwischen Beiden ferner eine Entwickelung wie bisher nahmen, dann war sie ihres Sieges gewiß.

Erich, Erich! Der Gedanke an ihn versetzte sie wie in eine glühende Atmosphäre, die ihr den Athem zu rauben drohte. Sie sprang von dem Sitze und riß das Fenster auf, um die Abendluft hereinströmen zu lassen. Sie hörte nicht, wie es an ihre Thür klopfte. Ein zweites Mal, stärker. Ihr Herz zog sich in jäher Bewegung zusammen. Wenn Erich es wäre – wenn er zurückgekommen! Nein, der kahle Schädel ihres alten Freundes über ihr erschien in der Thür.

Herr Warbusch setzte sich, ohne ihre Einladung abzuwarten, auf einen Stuhl, schlug die kurzen Beine über einander und klatschte vor Freude mit beiden Händen auf dieselben. So hatte ihn Regina nie gesehen, und Herr Warbusch las auch ganz deutlich die stumme Verwunderung darüber in ihrem Gesichte.

„Wissen Sie denn noch nichts, verehrte Freundin? Leviathan ist geborsten – mit eitel Geprassel und Gestank, daß das Entsetzen darüber heute noch wie ein Dunstkreis über der Stadt steht.“

„Was ist? Wer?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_154.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)