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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


geht es emsig, wenn auch heimlich zu, denn Ulrich Wirschung, der lustige Handlungsdiener, hat mit seinem nicht minder lustigen „Nebengesellen“ Bastel Nibelunger im geräumigen Hofe unter Fässern und Waarenballen eine Narrenfuhre in Gestalt eines großen Drachen vorbereitet, auf welcher Aerzte und Apotheker, mit großen Spritzen bewaffnet, des Augenblickes harren, wo das Glöcklein von St. Sebald zum Beginn des Schembarts erklingen soll. Die schönen Töchter des Kaufherrn sind aus den oberen Gemächern im Treppenhause erschienen und schauen neugierig durch das zierlich durchbrochene Steingeländer der breiten Wendelstiege dem Treiben der fröhlichen Gesellen drunten zu, wobei sie den in seinem rothen Doctorkleide gravitätisch einhersteigenden Ulrich nicht wenig hänseln.

Draußen auf den Straßen ist es immer lebendiger geworden. Ein glücklicher Zufall will es, daß die Stadt zur Zeit in Frieden mit den meisten ihrer Placker lebt. Die gewaltigen Thore sind deshalb schon um Sonnenaufgang sammt den Fallgattern, Sperrketten und Schlagbäumen geöffnet worden, und aus ihren dunkeln Wölbungen tritt manche Gestalt in die sonnigen Straßen, die zu anderer Zeit den Stadtbann mit ihrem unnachsichtigen Blutrichter wohlweislich gemieden. Der wetterharte, sonnenverbrannte Gesell aber, der an der Seite seiner abenteuerlich aufgeputzten Burgfrau jetzt auf magerem Gaul hereinkleppert, hat zur Zeit Frieden mit den Krämern. Der Rottmeister der städtischen Söldner, welch letztere auf besondern Rathsbefehl heute statt der Partisane die Hakenbüchse mit dem noch nicht allzulange von dem Nürnberger Schlosser Hans Ehemann erfundenen Radschloß führen, läßt denn auch den ihm aus manchem Strauß wohl bekannten Landstörzer ungehindert seines Weges ziehen. Einem Raubvogel gleich, lugt der hungerige Edelmann unter der verrosteten Stahlhaube hervor nach den Schätzen, welche sich seinem gierigen Blicke in den Gewölben der Gold- und Silberschmiede, den gleißenden Auslagen der Harnischschmiede zeigen. Nicht minder begehrsam blickt seine Ehehälfte nach den Wundersachen, mit welchen die reichen Bürgerweiber sich schmücken und die einer rechtschaffenen Frau von Adel so selten zu statten kommen. In dem niedern Thorwege einer kleinen Herberge am Weinmarkt verschwindet das Paar, der behäbige Wirth aber mag sich nur wenig von solch verdächtiger Einkehr versprechen, denn stumm deutet er mit dem Daumen über die Schulter nach den Ställen, wo der Ritter mit einer derben Verwünschung über das hochmüthige Bürgerpack die Gäule eigenhändig unterbringt, um sich dann in das Innere der Herberge zu begeben.

Mit der fortschreitenden Stunde wird auch das Leben an den Thoren immer bewegter, und nicht blos armes Volk ist es, welches heute die Gastfreundschaft der Stadt in Anspruch nimmt. Lustiger Trompetenschall schmettert durch die Thorwölbung, und vieles Volk sammelt sich dort, denn der Culmbacher Markgraf ist es, der sammt dem feisten Bischof von Bamberg mit schimmerndem Gefolge einreitet. An den Trompeten flattert das Fähnlein mit dem rothen brandenburgischen Aar – auch in der Ecke der ritterlichen Pelzschaube sehen wir das alte Wappenthier des Nürnberg sonst so feindlich gesinnten Hauses eingestickt – heute aber will der Fürst allen Streit vergessen, und lachend die erröthenden Mädchen droben in den Erkern begrüßend, trabt er mit dem schwerfälligen, aber nicht minder vergnügungslustigen Kirchenfürsten dem Gasthause „Zum Bitterholz“, der damaligen Fürstenherberge, zu.

Weniger glänzend erscheinen uns die müden Knaben, welche soeben das Thor passiren. Es sind fahrende Schüler in zerrissenem, schwarzem Röcklein, zum Theil barfuß, zum Theil in groben bestaubten Bundschuhen. Die so treuherzig dreinschauenden verhungerten jungen Burschen erwecken das Mitleid eines alten Mütterchens – es weist sie zu dem stolz in die Straße springenden Eckhause einer reichen Bürgersfrau. Hier intonirt ihr Meister mit kräftiger Stimme eines der neuen Kirchenlieder, und mit heller Knabenstimme, die gleich Silberklang über den weiten Platz dringt, fallen die kleinen „Schützen“ sicher und kunstgerecht ein. Nicht allzu lange sollen sie auf den Lohn zu warten haben, denn hochgeschürzte Dienstmägde, die Galanterien des Meisters mit Lachen erwidernd, bringen für die hungernden Knaben nicht nur warme Suppe, Schwemmklöße und Peterlefleisch die Menge – auch ein Lebkuchen wird Jedem zu Theil, und in die Ledertasche, welche neben dem Schreibzeuge am Gürtel des Meisters hängt, gleitet ein blanker Gulden Nürnberger Gepräges.

Da ertönt das Glöcklein zu St. Sebald, Stadtdiener in roth und weiß getheilter Tracht rufen den Beginn des Schembarts aus, und fröhlich stürzen sich die erquickten jungen Gesellen in das vor ihnen immer lustiger aufsteigende Fastnachtsgetümmel. Aus allen Häusern springen sie hervor, die Mummen: Mohrenweiber und Heidenmänner, lustfeine schöne Frauen und fahrende Weiber, einige als Vögel, Meerweiber, heidnische Prinzessinnen, andere als Schäferinnen, Zauberinnen, Nonnen, Klausnerinnen, Besenmädchen etc. vermummt. Zwischen Sängern, welche sofort das alte: „Jungfer Bäschen, wo gehst Du hin?“ anstimmen, Pfeifern, Leiermännern, Bauern und Mönchen sehen wir Pickelhäringe und Markolfe mit Feuerkolben umherspringen. Lustig sprühen die kleinen Raketen ihren unschädlichen Feuerregen über die zuschauende Menge – Geschrei, Gelächter ob des allzu Furchtsamen, fröhliches Jauchzen, lustige Weisen schallen wieder auf allen Plätzen und Gassen, und als nun gar Ulrich Wirschung mit seiner Narrenfuhre zum Thorweg hinaus in das Gedränge schießt, scheint die Lust ihren höchsten Gipfel zu erreichen.

Doch siehe da, sind jene Knaben, welche hinter den Sackpfeifern auf der Narrenfuhre hocken, nicht unsere fahrenden Schüler von vorhin? Zur guten Stunde sind sie unserm Ulrich in die Hände gelaufen, denn ihr heller Gesang wird den Effect seiner Narrenfuhre erhöhen. Nach einem kurzen Vorspiel der Sackpfeifer tönt denn auch bald aus den geübten Kehlen der Vaganten das alte Schelmenlied: „Die Filia zur Mater sprach“ etc. über den Platz – Jedermann kennt die Volksweise, und lustig singend, ausgelassen tanzend bewegt sich der Zug vorwärts.

Bastel Nibelunger, auf einem grauen Esel sitzend, reitet vorauf. Er führt das Narrenpanier, welches die Viatis’schen Töchter gestickt und mit Spitzen und Bändern geschmückt haben. Dabei wirft er mit dem Rufe: „Herbei, Ihr Schlecker!“ Hornaffen (ein beliebtes Gebäck) aus. Hinter ihm gehen zwei grotesk gekleidete Schreiber mit riesengroßen Tintenfässern und Schreibfedern, sodann zwei lustige Dirnen, welche allerhand Brezelwerk auswerfen. Zwölf Männer aus der noch nicht allzu lange entdeckten neuen Welt machen einem Reiter Platz, welcher auf einem mit buntem Lappenwerke gezierten Zelter sitzt. Es ist der junge Hieronymus Viatis, welcher als Thorheit einhergeritten kommt und von den Jungfrauen aus den Fenstern mit dem Gesange begrüßt wird:

„O liebe Thorheit schön und fein,
Zur Fastnacht komm’ zu uns herein!“

Ein Luchsauge auf der Stirn, mit Schellen, Pfauenfedern, Spiegeln und allerlei Tand geziert, trägt die Thorheit einen mit Narrenköpfen eingefaßten großen Spiegel in der Hand und blendet die lachenden Jungfrauen. Jetzt kommt Ulrich’s Narrenfuhre, auf deren Drachenschwanze ein Kranker zwischen zwei Meßpfaffen liegt, welche plärren: „St. Urbane, da nobis vinum et recipe aegrotum – Heiliger Urban, gieb uns Wein und nimm Dich des Kranken an!“ Auf der Fuhre selbst aber steht Ulrich, von allerlei vermummtem Volke umgeben, und schreit mit Stentorstimme sein Doctorsprüchlein hinaus:

„Willkommen, werthe Schlemmerzunft
Voll Aberwitz und Unvernunft.
Wer krank ist, den curir’ ich gleich
Allhier in meinem Narrenreich.
Ich häng’ ihm seine Schelle an,
Sei ’s Bauer, sei es Edelmann!”

Hinter dem Drachenschwanze aber sprengt auf schwarzem, wildem Rosse Frau Holda, die wilde Jägerin, daher, stößt in’s Horn und schwingt, ihre schwarzen Haare wild umher schüttelnd, die knallende Peitsche. Ihr nach aber tobt das wilde Heer, gehörnt, geschnäbelt, geschwänzt, bekrallt, bebuckelt, sausend und brausend, schnalzend, pfeifend, zischend, schnarrend, blökend und brummend. Es sind lauter fröhliche Zechgesellen, welche das Gefolge der Frau Holda bilden. Besonderes Aufsehen erregt eine vollendet nachgebildete Maske Freund Klapperbeins, welche mit einem meckernd einherspringenden Ziegenbocke den zierlichsten Reigen tanzt. Die beiden lustigen Gesellen sind jedem guten Nürnberger als Schüler Albrecht Dürer’s wohl bekannt, denn unter der grinsenden Todtenmaske lachen die klugen Augen Hans Schäuffelein’s, des Verfertigers der prächtigen Holzschnitte in Pfinzing’s „Teuerdank“, hervor, während aus dem gehörnten Ziegenhaupte das glatte bartlose Gesicht Glockenton’s, des Illuministen obiger Goldschnitte, hervorschaut. Beide Schelme singen

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