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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

ich, so oft ich Dich sehe, wahnwitzig werden möchte, daß ich lieber mit Dir auf dem Meeresboden läge, als Dich eines anderen Mannes Frau werden zu sehen, das darf ich immerhin ausprechen, ohne mich zu versündigen.“

Schweigend hatte Kordel ihm zugehört; als er geendigt, säumte sie eine Weile, bevor sie wie beiläufig antwortete:

„Also nur um mir dergleichen Undinge zu sagen, wolltest Du mich begleiten? Nur um mir sinnloses Zeug vorzuschwatzen, hast Du mich zu der Fahrt gedrängt? Nun, ’s ist das letzte Mal, daß Du mich hinübersegelst. Wenn ich überhaupt heirathen will, was kümmert’s Dich, wen ich wähle? Und gar hier Deine Tollheiten auszukramen, hier, wo ich Dir nicht ausweichen kann, hier, wo Du weißt, daß unser Leben von einer unvorsichtigen Bewegung abhängt! Möchtest sonst wohl gar die Hand nach mir ausstrecken? Hab’s geahnt, daß Dein Seefahren Dir den Kopf verwirrte, und darum fürchtete ich Deine Begleitung auf dem Landwege, wo Segel und Sturm Dich nicht gebannt hätten.“

„Ich wiederhol’s, Kordel,“ erwiderte Bertus, „lange genug hab’ ich’s mit mir herumgetragen, und noch länger hätte ich geschwiegen, aber das schäumende Wasser und Deine Bitterkeit haben’s mir angethan, daß ich nicht länger lügen mag. Und ein Lügen war’s, wenn ich beim Begegnen Dir ruhig in die Augen sah, wenn ich Dir lustig wie ’nem guten Freunde die Hand drückte, während mir vor heimlichem Jammer und Elend das Herz hätte zerspringen mögen. Das ist jetzt vorbei. Was See und Wind hören, verschweigen sie, und trägst Du’s selber weiter, soll’s mir kein Gram sein. Mögen die Leute mit Fingern auf mich weisen und mich verspotten, weil ich der stolzen, braunen Kordel eingestand, was in meiner Brust bohrt – ich schere mich nicht drum. Du aber weißt jetzt, daß, wenn ich Dir die Hand reiche und die Tageszeit biete, es in meinem Herzen brennt, daß ich für Dich sterben möchte und zufrieden damit wäre.“

„Du wirst mir die Hand nicht mehr reichen,“ erwiderte Kordel, trotz des sie umtosenden Elements mit wachsender Leidenschaftlichkeit; leidet Deine Mutter darunter, so bist Du selber verantwortlich dafür. Denn ich weiß, nie gab ich Dir Grund, Undinge zu mir zu sprechen –“

Sie stockte.

Mit einer kurzen Bewegung hatte Bertus das Steuer herumgedrückt. Das Boot schwang sich in den Wind hinein und schoß an einer heranrollenden Woge hinauf, zugleich flatterte das Segel nach hinten. Es war ersichtlich, die nächste Woge mußte über das seines Haltes beraubte Boot hinstürzen. Doch Kordel, vertraut mit dem Wasser und durch die abendliche Dämmerung hindurch die Umrisse der nächsten See erkennend, griff hastig nach dem Steuer, und es der erschlaffenden Faust des Geführten leicht entwindend, brachte sie das Fahrzeug in seinen alten Curs zurück, bevor das Verhängniß über dasselbe hereinbrach. Ein kurzer Kampf mit dem zischenden Schaumkamme folgte, und wie ein Pferd nach empfangenem Peitschenhieb, schoß das Boot durch die verdichtete Atmosphäre auf sein unsichtbares Ziel zu.

Bertus schien die Besinnung verloren zu haben. Das Haupt auf die Brust geneigt, gab er willenlos den heftigen Schwankungen nach. Kordel dagegen führte das Steuer mit einer Sicherheit, wie sie nur im jahrelangen Verkehr mit der See erworben wird.

„Hast Du Dich jetzt beruhigt?“ fragte sie nach längerem dumpfem Schweigen; „hast Du überlegt, wo wir uns zur Zeit befänden, hätte ich nicht eingegriffen?“ Hast Du bedacht, daß Deine arme Mutter kinderlos wäre, hätte ich Deinem Wahnsinn nicht gesteuert?“

„Wir lägen Beide unten, und ich hätte Ruh’,“ antwortete Bertus zerknirscht.

„Eine theuer erkaufte Ruhe,“ versetzte Kordel so gleichmüthig, als hätte es sich um eine zu brechende Blume gehandelt, „aber nimm das Steuer zurück, mache, was Du willst – mich soll’s nicht kümmern. Meinst Du indessen, mich durch irgend eine Drohung einschüchtern zu können, so täuschest Du Dich. Es ist überhaupt eine schlecht gewählte Zeit jetzt zu Gesprächen, wie das Deinige. Du glaubtest, mich in Deiner Gewalt zu haben, mich zittern zu sehen. Doch ich zittere nicht leicht; dazu ist mein Leben nicht freudevoll genug – ich will’s Dir beweisen,“ und das Steuer noch immer haltend, drehte sie das Boot jetzt selber in den Wind. Der Bug war aber noch nicht herumgeschwungen, obwohl das Segel schon zu flattern begann, als Bertus ihr das Steuer gewaltsam entriß und die Gefahr beseitigte.

„Ich habe gelobt, Dich hinüberzuschaffen, und mein Wort halte ich, sprach er zähneknirschend, und er hatte nur noch Blicke für die brausenden Wogen und die Lage des Bootes, „aber ich gesteh’s – ich war unsinnig; wie Wahnwitz kam’s über mich, und ich danke Dir, daß Du mich wieder zur Vernunft brachtest. Ich wiederhol’s, wenn die See’n brausen und der Sturm dazu heult, möchte ich aufschreien vor Lust, und weil ich Dich so lange kenne und Du so warm neben mir saßest, traf’s Dich. Jetzt ist’s vorbei, Kordel. Das Sprühwasser und Deine Worte haben mich abgekühlt. Denke nicht mehr daran, Kordel! Meine Zunge soll verdorren, bevor ich noch einmal von Liebe zu Dir rede.“

Er lachte, wie sich selbst verhöhnend, in den Wind hinein, und da Kordel schwieg, fuhr er in demselben herben Tone fort:

„Besuchtest Du meine Mutter nicht mehr, so würde das der armen Frau viel Gram verursachen. Sie würde errathen, daß ich’s verschuldete, und die Strafe wäre zu hart. Vergiß daher Alles, um meiner Mutter willen! Denke, Du habest geträumt,“ und bitterer und zugleich entschlossener klang seine Stimme, „oder ’ne böse Krankheit habe mich befallen, daß ich nicht wüßte, was ich thät. Sollst nie mehr dergleichen erleben; weit aus dem Wege will ich Dir gehen, und begegnen wir uns zufällig, so begrüße mich nach alter Weise der Leute wegen! Denn würdest Du mir die Hand reichen und mich versöhnlich anschauen, so gedächte ich der jetzigen Stunde – Kordel; legte ich meine Hand auf rothglühendes Eisen, es würde weniger brennen, als die Erinnerung an den heutigen Abend.“

(Fortsetzung folgt.)




Die Pest.
Ein vorläufiges Wort zur Orientirung.


Nicht ohne anzuklopfen, weder unbekannt noch unerhört, aber auf einem früher nicht benutzten Wege hat gegen den Schluß des vergangenen Jahres die Pest ihren Eintritt in Europa gehalten, ein „neuer Feind mit altem Gesicht“. Ja, es ist viel gezeichnet worden, dieses Schreckensantlitz, zu einer Zeit, da es weder der weitschweifigen Signalements der Aerzte, noch der Beobachtungsgabe gelehrter Chronisten bedurfte, um seine Züge zu erfassen. Wem hatte es in jenem berüchtigten Pestjahrhundert nicht irgendwo einmal entgegengegrinst?“

In künstlerischer Weise und mit großer Naturtreue malt es der treffliche Alessandro Manzoni in den „Verlobten“. Der wüste Don Rodrigo kehrt im August 1630 in Mailand nach seinem Hause zurück, begleitet von einem der wenigen ihm treugebliebenen Diener. Er kommt aus einer Gesellschaft von Fremden, die sich gewöhnlich zu schwelgerischem Schmause versammelten, um die finstere Betrübniß der Zeit zu vergessen; jedesmal stellten sich neue Freunde ein; jedesmal vermißte man alte. Indem Rodrigo aber vorwärts schreitet, empfindet er ein befremdliches Mißbehagen, eine Niedergeschlagenheit, eine Schwäche in den Beinen, eine Beschwerde beim Athemholen, eine innere Hitze, die er gern ganz und gar auf Rechnung des Weines, der durchwachten Nacht oder der Jahreszeit setzen möchte. Nachdem zu Hause das Licht angezündet, betrachtet der Diener das Gesicht seines Herrn: es ist verzerrt, entflammt, die Augen hervorgetreten und glänzend. Und so hält er sich fern; denn in solchen Tagen hatte der gemeinste Knecht sich bereits das Auge eines Arztes angeschafft.

„Ich bin gesund, geh!“ sagt Don Rodrigo, da er in den Geberden des Dieners den Gedanken liest, welcher ihm durch den Kopf fliegt. „Ich bin ganz gesund, ich hab’ aber getrunken, hab’ vielleicht ein wenig zuviel getrunken. ’S war so ’n weißer, süßer Wein. Mit einem tüchtigen Schlaf ist Alles abgemacht. Er liegt mir in den Gliedern. Bring’ mir das Licht aus den Augen! Es blendet mich; ich kann’s nicht leiden.“

Nun kommt die Nacht; das Kissen drückt ihn wie ein Gebirg;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_144.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)