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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


Allerheiligen im Schnee.
(Mit Abbildung.)


Grüß dich Gott, du Pracht in Trümmern,
Schlanke Säule, kühnes Thor!
Wie die schönen Glieder schimmern
Aus dem Winterkleid hervor!
Göttlich ist der Schönheit Reine –
Andacht faßt mich, da ich steh’
Vor dem Hochamt deiner Steine,
     Allerheiligen im Schnee.

Sieghaft predigst du das Leben;
Deiner dunklen Tannen Zier
Und des Epheus grüne Reben
Sind dein offenes Brevier;
Mitten in Zerstörungsschauern,
Wintertod und Winterweh
Schmückt das Leben deine Mauern,
     Allerheiligen im Schnee.

Und lebendig im Geranke
Ragst du selbst, verstörter Bau,
Denn der Schönheit Gottgedanke
Wohnt im Steine morsch und grau;
Ob gestürzt der Flammen Wüthen
Dich von deines Glanzes Höh’ –
Dein Gedächtniß wird er hüten,
     Allerheiligen im Schnee.

Nicht mit frommen Litaneien
Naht dir mehr der Beter Schaar,
Doch dem Geist, dem göttlich freien,
Bist du jetzo noch Altar;
Und entbehrst du Glockentöne,
Orgelklang und Kyrie –
Heilig macht dich deine Schöne,
     Allerheiligen im Schnee.




Irrende Sterne.
Novelle von Georg Horn.
(Fortsetzung.)
Nachdruck und Dramatisirung verboten.
Uebersetzungsrecht vorbehalten.

Die Stirn der Geheimräthin zog sich drohend über den Brauen in Falten: ein häßlicher Verdacht war in ihr erweckt worden.

„Verzeihen Sie, daß ich hier störend eintrete!“ sagte sie, „aber da der Fuß einer Frau stets gebannt sein wird, wo immer sie nur das Wort Herz oder Liebe aussprechen hört, so brauche ich mich wohl nicht zu entschuldigen, wenn ich von dieser kleinen Schwäche meines Geschlechtes keine Ausnahme mache.“

Doris empfand einen Schauer. Im Nu jedoch war sie wieder gefaßt. In solchen Momenten übertrifft die Geistesgegenwart der Frauen die der Männer.

„Allerdings haben Sie recht gehört, verehrte Freundin; ich sprach dem Herrn Präsidenten –“ mit diesen Worten faßte sie Lideman scharf in’s Auge, damit ihr keine seiner Mienen, seiner Bewegungen entgehen sollte – „ich sprach ihm von meiner lieben Else.“

„Von Elschen?“ rief Frau von Wandelt.

Alle Schatten des Argwohns waren mit einem Male der sonnenhellen Freude gewichen. Also das sollte der „Fels in den brandenden Wogen“ bedeuten, und was er „in seinem Herzen so tief fühlte“!

„Ich dachte schon – verzeihen Sie! – aber da es Else bedeutet –“

Dann faßte die glückliche Mutter im Jubel ihres Herzens Doris am Arm und zog sie mit sich fort. Lideman hätte der Geheimräthin einen Dolch in’s Herz stoßen mögen.

Wenn er geahnt hätte, daß Doris schon nach ein paar Minuten wieder allein war! Die Geheimräthin hatte sie mit dem Bemerken verlassen, daß sie nur schnell ihren Mann suchen müsse, denn jetzt müsse das Eisen geschmiedet werden, und Doris hätte nun unaufgehalten den Garten verlassen können; sie that es nicht. Das Wort, das Lideman zu dem jungen Mann gesprochen hatte – es kam ihr nicht aus dem Sinn; es war der Bann, der sie hier fest hielt. „Hat ein Weib, wie es auch in seinem Herzen widerstreben möge, nur einmal den vibrirenden Ton der Leidenschaft gehört, so kann es sich des Mannes nicht mehr erwehren – nie, nie wieder!“

Sie war ja in dieser Lage – hatte er wirklich Recht, und war sie unrettbar verloren? Sie sah ihn wenigstens immer neben sich, als sie durch die stillen, dunklen Gänge des Parkes zum Pavillon hin wandelte. Er ging mit ihr in allen ihren Sinnen. Es war ihr, als würde ihr jetzt erst klar, daß er ein schöner Mann war – daß Nerv zu spüren war in Allem, was er that, was er sprach, in jedem seiner Schritte. Und wenn sich die dunklen Augen mit ihrem bläulichen fast geheimnißvollen Weiß schlossen, wenn aus diesen vollen Lippen ein halbgebrochener Laut, ein Hauch auf sie herüberglitt, wie die Botschaft eines höheren Glückes, einer tieferen Beseligung, als sie bis jetzt an sich erfahren – –

Mit einer jähen Bewegung fuhr sie auf. Aber nicht etwa, weil sie sich diesen Eindrücken entziehen wollte, die ihre Willens- und Denkkraft vollends zu betäuben drohten: ein Vogel hatte sie geschreckt, der sich im dichten Laub schon gebettet hatte und nun, aufgescheucht durch die Anwesenheit eines anderen Wesens, aus seinem Neste davonflatterte. So hätte auch sie aufschrecken müssen – aus diesem Hinträumen, das sich über sie breitete. Aber sie gab sich demselben ohne Widerstand hin. So eigen umfächelte sie der Lufthauch – so mag ihn der Träumer empfinden, den die Flügel des Vampyrs umfächeln; die Wellen rings um den Pavillon, ein leises Aufrauschen, ein Flüstern, der Duft, der von den Jasminblüthen herüber wehte, und jetzt die Töne eines Saiteninstrumentes, nur vereinzelte Töne, wie halb erstickte Seufzer, wie fieberndes Liebesathmen – auf ihren Lippen schwebte ein bebender Laut – ein Name – –

Sie hörte nicht die Schritte, die ihr nahten; erst als eine Gestalt vor dem Pavillon ihr entgegen trat, eine männliche Gestalt, da hob Doris die traumschweren Lider –

„Erich, Erich!“

Es war ein Schrei, ein aus tiefster Brust kommender Schrei, an dem Angst und Freude gleichen Antheil hatten, in welchem reuiges Schuldgefühl und Dank den Weg zu dem Ohre und dem Herzen des Angerufenen suchten. Dann trat ein Moment der Todtenstille ein. Doris glaubte wirklich eine Traumerscheinung vor sich zu haben, die wie ein guter Engel an einem Scheidewege ihr entgegengekommen sei. Dann trat sie einige Schritte weiter zu ihm hin und suchte seine Hand zu fassen. Die Hand entzog sich ihr.

„Komm’, Doris. Dieser Pavillon am Wasser – Du könntest Dich hier erkälten. Es ist nicht gut gethan, wenn junge Frauen sich von der übrigen Gesellschaft absondern.“ Er reichte ihr seinen Arm, um sie zur Gesellschaft zu führen.

„Wie kommst Du aber hierher?“ stammelte sie. „Ich hatte Dich nicht so früh zurück erwartet.“

„Das glaube ich – sonst würdest Du wohl auch der Einladung nicht gefolgt sein.“

„Die Geheimräthin wollte es durchaus! Ich konnte mich ihrer nicht erwehren. Ich trage eigentlich die geringste Schuld daran – frage sie selbst, und sie wird es Dir bestätigen. Auch Regina meinte – –“ sie blickte zögernd zu ihm auf.

Erich sprach kein Wort. Lautlos gingen Beide durch die Gänge des Gartens dahin; der Sand knisterte unter ihren Füßen.

„Hat sich denn etwas Außerordentliches ereignet, daß Du so früh zurückkehrst? Geht es Dich persönlich an, Erich? O sprich doch! Eine namenlose Angst preßt mir das Herz –“

„Mir ist sehr wohl. Nur als ich nach Hause kam und Dich überraschen wollte – ich hatte Dir deswegen nicht telegraphirt – und das Haus dann leer fand und das Bettchen Liddy’s unbewacht von dem Auge der Mutter – da – da –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_136.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)